Eingeschlagene Eintagsfliegereien oder Die lange Nacht der kurzen Erfolge

Es war, so Moderator Sam Pirelli scherzend, die «53. Ausgabe» der Sedel-Jahreshitparade. Aber eine schöne und lange Tradition ist es schon. Waren es früher die eigentlichen Hitparadensongs, die Sedelbands per Los zugeteilt wurden, auf dass sie es live interpretieren mögen, so ist das System gewechselt worden zu Themenabenden. Diesmal, eine lange Nacht von Samstag auf Sonntag lang, waren One Hit Wonders dran. Dazu das länglich geratene Protokoll.

Bobby McFerrin hatte so ein Ein-Schlag-Wunder. Die Älteren unter uns erinnern sich: «Don’t Worry Be Happy» (1988). Musikalisch ist er danach nicht abgetaucht, nur den Titel singt er bestimmt nicht und nie mehr und ansonsten, auch schon mal im Luzerner KKL, macht er irrsinnig mitreissende Mitsingabende oder dirigiert er Mozart. Immerhin und nicht zu verachten: «Das Lied hat mein Haus finanziert und die Schulbildung meiner Kinder.» Reicht doch! Wenn man von einer Single in guten alten Zeiten 10 Millionen Stück verkaufen konnte. «Don’t Worry Be Happy» ist in der Schüür nicht dabei. Dafür viele andere, gespielt von 20 Bands, davon allein 12 aka 60 Prozent aus dem Sedel selber. Dazu eben zugewandte Kapellen, Combos, Gruppen und Formationen. Grundsätzliche Vorrede: One Hit Wonders schlagen einmal ein, und bei so manchen ist man froh, dass es beim einen Mal geblieben ist. Andere sind Würfe, und man mag bedauern, dass eine Band nicht noch nachlegen konnte. Alles klar machte im Voraus Gössis schönes Schwarzweiss-Plakat mit einem Hau-drauf-Motiv: herumfliegende Fliegen der eintägigen Art, ein Stapel-Single-Plattenspieler (portabel) und eben kaputt gemachtes Vinyl. So freute man sich darauf: One Hit Wonders, bis zur Kenntlichkeit entstellt, mit gutem Grund in Grund und Boden gerockt. Ob aber auch liebevolle Interpretationen im grossen Cover-Reigen möglich sein würden? Sam Pirelli ist rechter Hand im Scheinwerferlicht platziert in seiner Funktion als MC des Abends. Dafür, dass er erst mit Wissensstand Nachmittag flugs die Moderationsrolle übernommen hat, gebührt ihm hier ein durchaus auch sehr buchstäblich zu verstehendes «Chapeau!». Der Herr Moderator scheut nicht die Mühe des mehrmaligen Tenüwechsels, ab und an wird gar auflockernde Lyrik (der Herren Ringelnatz und Morgenstern) vernehmbar. Und mehr als einmal: ein Tänzchen in Ehren. Pädagogisch wertvoll werden die Originale angespielt (Aha-Effekt stellt sich ein) und kommentiert («Beweis für die Geschmacksfreiheit der CD-kaufenden Masse», weitere siehe unten). Der Reihe nach. Die bauchfrei antretende «hoffnungsvolle Jungformation» (Pirelli) Krug darf den Anfang machen mit «Take On Me» (etwa: «Nimm an mir») von einer Band namens A-Ha. Mit dabei: Hänge-Keyboard und Sonnenbrillen. «Eine gnadenlose Version» wird im Folgenden vorab versprochen. «Runaway Train» der Titel, Soul Asylum die Band im Original, in der Schüür das Duo Fenchel, das das Abhau-Zug-Stück «wunderbar verunstaltet» (Pirelli). «I’m Blue (Da Ba Dee)» heisst der hochtrabend daherkommende Titel von Eiffel 65, ein Exempel für nervötetenden Euro-Trash, das von Seed of Pain in einer hochdeutschen Übersetzung als Schlepprockgedonnere interpretiert wird. Besser als das Original allemal: The Scouts, mit angenehmen Chörli-Gesang, bringen «74-75» von The Connells, «eine ausgesuchte Schrecklichkeit» (Pirelli). Eine fünfköpfige Käppi-Combo (es sind Play To Destroy) baut eine Flip-Chart mit mitsingbaren Keywords mit und macht «Ice Ice Baby» von «Vanilla Ice» den fröhlichen Garaus. Im musikalischen Schwarzgewandgenre zuhause sind Christ Fucking Embryo, die «Babylon Zoo» von Spaceman mitgebracht haben, um es deftig und mit Einsatz von Drehleier (!) abzuspielen. «Two Princes» haben Spin Doctors einst verbrochen. Liebevoll nehmen sich Alteration, sowohl kostüm- wie maskiert, der 1993er-Schrecknummer an. Wie uns das epidemisch verbreitete «Macarena» einst genervt hat! Und der dazugehörige Tanz erst! Los del Rio heissen in der Schüür The Unborn Chikken Voices, die alles schön abmildern in Mundart (!), das Stück dem Restaurant Magdalena (aka Magdi) widmen und einen Bongo spielenden Saxofonisten mit dabei haben. Und, man wünscht sich ja gerne Kommentare: fast schon Radio-Pilatus-tauglich. Ein echt angemalter und strubelhaarperückierter Afro Man ist bei «Afro Man» singend zugange. Verkleidet machts wie immer mehr Spass, auch bei den Moped Lads wieder, welche die Kiffer-Hymne «Because I Got High» (neckisch auch abgewandelt in «Get me more hair») intonieren. Einen brachialen Zugang zum Original des Verirrungshits «I Get Knocked Down» (Chumbawamba, auch schon mal Luzern-Gäste) finden zur Halbzeit Easy Tiger. Rauchpause draussen vor der Tür. «Es tönt schlimm», kündet Pirelli das kommende Unheil an, in welchem Fall dann Peng den US-Rap «I Got 5 On It» (Luniz) intonieren. Ob der einschlägige Sportverband das durchgehen liesse, sei hier offen gelassen: SexSexSex bringen in Judo-Gwändli Carl Douglas’ üble Nummer «Kung Fu Fighting» (1974) in hübscher Heavy-Version. Wir schreiben jetzt hier nicht, wer dazu tanzt, während vorne Six Was Well (mit weiblicher Trompete) sich an «Lambada» zu schaffen machen, «eine Widerlichkeit sondergleichen» (Pirelli) von Kaoma. Es steht zwar geschrieben: Big Mountain und «Baby I Love Your Way». Das Stück, das Marygold in Urbesetzung geben, ist aber glaub, entgegen dem ausgedruckten Programm, etwas von Black Rebel Motorcycle Club. Aber natürlich auch so gut. Auch hier wieder: Käppis (plus körperbetonte Unterhemden, wenn nicht gar baren Oberkörpers). Für die Nummer «Here Comes The Hotstepper» von Ini Kamoze haben sich 7 Dollar Taxi, die zu Dreivierteln eben noch in Fussball-Horw spielten Schönes ausgedacht: Melodica-Intro und Doppel-Drums. «OOOH, OO! OOH-HOO-HOO-HOO-HOO – OO-OOH-HOO-HOO-HOO-HOOOO-AHH-HAA»: 4 Non Blondes sind aus dem Pflegeheim ausgebrochen am Samstag nach Mitternacht, um per Rollstuhl und Rollator durch die ganze Schüür-Länge den Weg auf die Bühne zu finden, wo weiss gekleidete Pfleger ihnen das Instrumentarium reichen. Auf dass es von The Bonkers, die sich hinter dem Showact verstecken, los geht. Die Nummer «What’s Up» wird schön punkig weggefegt. Signor Pirelli muss selber noch in die Hosen steigen, wozu er sich für den Reggae «Informer» von Snow eine Tarnperücke aufsetzt und die Edelgitarre umschnallt. Gesungen wird von einer weiblichen Stimme eines Musikverbundes mit dem Namen Der Triumph des guten Geschmacks. Baha Men hiessen die Mannen, die einst die Pop-Verirrung «Who Let The Dogs Out» in die Welt hinaus posaunten. In der Schüür machen es ihnen punkig Empty Fridge nach, teilweise in Vollmontur (≠ full monty) in einem aparten Ganzkörperhundekostüm. Noch eine «Schrecklichkeit» (Pirelli) wird mit «Lemon Tree» der Pforzheimer Fool’s Garden geboten, als angenehme Druckrocknummer von Zipper, wo – statistisch auffällig – von einer Dame nicht nur gitarristisch, sondern auch vokal mitgetan wird. Zum krönenden Schluss kommen die Chefköche von Kunz & Knobel (zu viert) an die Reihe mit einem Verbrechen auf Schallplatte aus dem 1992er-Jahr. Es handelt sich um nichts Höheres als Haddaways «What Is Love», als Mitsingsong gebracht («Ou ou ou o-oo») und natürlich, wie man es erwartet, kongenial ins Hochdeutsche übersetzt («Was ist Liebe? – Tu mir nicht weh»). Bis zum nächsten Mal. Mehr One-Hit-Wonders (mit den Plattencovers) hier.