Dünnes Geheule im schottischen Hochmoor

Luzerner Theater, 18.12.2011: Geht das? Eine «Norma» ohne betörende Norma, eine «Tosca» ohne charismatische Tosca, eine «Lucia di Lammermoor» ohne mitreissende Lucia? Das Luzerner Theater beantwortet zumindest letztere Frage ganz entschieden mit «Ja» und setzt statt auf Belcanto auf Belluce inklusive Trockeneis und Schnürbodenschnee.

(Bilder: Toni Suter/zvg)

Vieles gelingt auf der Ebene der Beleuchtung und Verschleierung, und es resultiert manches wirklich schöne Tableau und Arrangement im Einheitsbühnenbild mit den zahlreichen dunklen Zwischenvorhängen (Bühne/Licht: Werner Hutterli, Gérard Cleven). Im rabenschwarz-nächtigen schottischen Nebelgewaber des Beginns hebt eine Art schwarz-weisser Ball an, vielleicht ein Totentanz, in welchem lediglich der blaue Bademantel der Hauptfigur, viel rotes Blutgeschmiere und die überkandidelten Festkleider einer Hochzeitsgesellschaft einige Farbtupfer setzen. Schwarz begann es, schwarz endet es. Schön, schaurig schön ist das Bild der wahnsinnig gewordenen Lucia, die sich auf der Hochzeitstafel engagiert wälzt und robbt. Das bisschen Spannung, das an dieser Stelle aufkommt, der Hauch von Gänsehaut, der einen überläuft, hat viel mit den schauspielerischen Qualitäten und der agilen Körperbeherrschung der Hauptsängerin Khori Dastoor zu tun. Zwischen den schwarzen Vorhängen und bedrohlichen Lichtgarben sind die Figuren malerisch arrangiert, stehen oder sitzen auch gerne mal an der Rampe oder absolvieren mit ein paar simplen Requisiten die schlichten Gesten und Gänge, die auf Opernbühnen immer wieder gerne gesehen werden. Das ist alles wahrscheinlich bewusst minimalistisch gehalten, aber doch nicht so, dass irgendetwas verrätselt erscheinen würde. Wenn einer vom Schreiben singt, dann macht er auch mit dem Finger auf dem Bühnenboden die Bewegung des Schreibens. Auch sind viele Dolche, Schwerter und Pistolen im Spiel. Das hat damit zu tun, dass uns Regisseurin Susanne Øglaend irgendeine Geschichte über brutale Männer mit schwarzen Seelen (von daher doch das Schwarz des Bühnenkastens!) und eine missbrauchte multitaskende Frau erzählt. Und einige Zeit nachdem wir das alle kapiert haben, fällt auch eine Puppe aus dem Schnürboden, die den gleichen blauen Bademantel trägt wie die Lucia, und an der nun der Bass Patrick Zielke in der Rolle eines katholischen Priesters herummanipuliert (!). Der Priester ist im übrigen sängerisch die überragende Figur der Produktion und füllt so als Nebenrolle die akustischen Lücken, die anderswo gerissen werden. Ähnliches lässt sich von Orchester und Dirigent sagen. James Gaffigan führt mit Schmiss und dramatischem Zugriff gleich in die Ouverture und sorgt durchwegs für Spannung und tragische Auftürmungen. Das Orchester folgt gerne mit aparten Klangmischungen, wilden Schreien und resignierten Seufzern.

Gelegentlich ist es sehr gut, dass das Orchester die Sängerleistungen gnädig zudeckt. Die Herren sind ihren Partien durchwegs einigermassen gewachsen, ohne dass man nun deswegen in Begeisterung ausbrechen müsste, was man natürlich bei einer Belcanto-Oper eigentlich müsste. Carlo Jung-Heyk Cho sticht mit gelegentlichem tenoralem Glanz hervor. Die Primadonna wurde in den USA eigens gesucht und gefunden. Wer sich speziell für ihre Leistung interessiert, höre ihre musikalischen Visitenkarten auf der Homepage ihres Agenten. Sie hat sich zu Beginn der Vorstellung offensichtlich noch etwas geschont und dann, man muss es gerechterweise sagen, gesteigert, auch wenn der Schlusston ihrer Partie dann doch wieder unhörbar blieb. Die Verantwortlichen für diesen Sängerimport müssen sich nun fragen, ob so etwas in einem Ensemble, wo gute Sopranistinnen verpflichtet sind, und in einer Stadt, wo viele begabte junge Talente studieren, gute Laune schafft. Nach der «Wahnsinnsarie» der Lucia wurde hastig weitermusiziert, damit der ausbleibende Applaus nicht auffiel; und ganz am Schluss freute sich ob der Protagonistin lediglich eine ganz schüttere Claque im zweiten Rang. Ansonsten war der Applaus endenwollend. Die «Bravos» galten durchaus den richtigen. In früheren Zeiten fanden tolle Sängerinnen und Sänger den Weg von Luzern aus in alle Welt und machten zum Teil Weltkarriere. Das ist sicher der bessere Weg als der, unbegabte aus Übersee nach Luzern zu holen. Die Produktion läuft noch bis im April 2012. Mit einem Relaunch wäre sie zu retten.

Bis 19. April 2012, Luzerner Theater