Dreizehn ist ihre Zahl – Alice Schmid im Stattkino

«Dreizehn ist meine Zahl», heisst das Romandebüt der preisgekrönten Filmemacherin und Regisseurin Alice Schmid. Am Mittwoch las die Autorin daraus und füllte das Stattkino bis zum letzten Platz, was im sonst spärlich besetzten Saal eher selten ist. Luzia Stettler, Literaturredaktorin von DRS 1, führte durch den Abend und verwickelte die Autorin in ein äusserst interessantes Gespräch rund um ihr Buch und ihren neusten Dok-Film «Die Kinder vom Napf», der im Zusammenhang mit dem Roman entstand. Für ihren brillanten Erstling gewann Alice Schmid den Hauptpreis der Zentralschweizer Literaturförderung 2010.

(Von Simon Meienberg)

Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn, elf, zwölf, dreizehn! Insgesamt dreizehn Mal knarrt die alte Holztreppe, wenn sich Lillys Vater morgens nach der Arbeit hinaufschleppt. Und wenn er sich danach zur Ruhe legt, muss Lillys Handörgeli verstummen, und wehe man hört auch nur einen Ton, das hat ihr die Mutter unzählige Male eingeschärft, dann gibt's Ärger. Seit Lilly zählen kann, zählt sie. Dreizehn ist ihre Zahl. So oft haut die Mutter sie auf den Rücken. Dreizehn, eine Zahl, die sonst mit allen erdenklichen Negationen verbunden wird, hat für die Autorin jedoch einen magischen Wert. Sie selbst sei ein Zahlenmensch, sagt sie. Für sie birgt das Zählen eine unerschöpfliche Quelle der Energie, der Inspiration. Seit nun schon bald vierzig Jahren pflegt Alice Schmid eine persönliche Beziehung zum Napfgebiet. Die Erzählung ihres beklemmenden und zugleich faszinierenden Romans arrangiert die gebürtige Luzernerin im Zwielicht einer schaurigen-schönen Kulisse. Der zerfurchte und unwegsame Landschaft des Napfgebietes im Luzernischen Entlebuch. Schmid kennt sich aus in der Gegend. Mit feinfühligem Gespür und einem Auge fürs Detail erzählt die Autorin aus dem Blickwinkel der neunjährigen Lilly, die irgendwann in den 50er-Jahren oberhalb des «Änzilochs» aufwächst. In einer Gegend, wo die Arbeitslosigkeit grassiert und die Hoffnung schon längst das Weite gesucht hat, sind Gewalt und Misshandlungen an der Tagesordnung. Von ihren Ängsten geplagt, versucht Lilly sich der rohen und unbarmherzigen Erwachsenenwelt mit ihrer blühenden Fantasie mehr und mehr zu entziehen. Indessen träumt sie vom Abstieg ins «Änziloch». Dieser legendenumrankten Schlucht in der Gemeinde Romoos, die Schutz bietet vor den schmerzhaften Rutenschlägen der Mutter und den einschüchternden Predigten des despotischen Dorfpfarrers. Und nur die einsame Linde hat ein Ohr für Lillys Sorgen. Sie hört geduldig zu, hat Verständnis für Träume, denen zuhause keine Beachtung geschenkt wird. Entstanden ist dieses brillante Werk in einer Scheune neben der Distillerie Studer in Escholzmatt. Die intensiven Auseinandersetzungen und Begegnungen mit Kindern, eine unglaubliche Faszination für die Landschaft des Entlebuchs und nicht zuletzt ihr unbändiger Tatendrang verleiteten die lebenserfahrene Drehbuchautorin zum Schreiben. Auch in ihren Dokufilmen stehen Kinder im Mittelpunkt. Seit Jahren horcht Alice Schmid den Stimmen der Kinder und sorgt mit ihren Filmen dafür, dass deren Meinung auch in der Erwachsenenwelt Beachtung findet. In ihrer langjährigen Betätigung als Filmemacherin und Regisseurin entstanden unter anderem der Filmklassiker «Sag Nein» zum Thema Sexueller Kindesmissbrauch, «Jeder Tropfen für die Zukunft», «Ich habe getötet» und zahlreiche weitere Dok-Sendungen fürs Fernsehen. Während der Lesung halten die Zuschauer den Atem an. Alice Schmid versteht es, mit ihrer lebendigen Sprache zu fesseln. Realitätsnah entführt uns die Autorin in die Welt der jungen Lilly. Wiederholt setzt sie das Zählen als stilistisches Mittel ein und unterstreicht so die spielerische Art der Ich-Erzählerin. Teilweise meint man sogar Einblick in ein geheimes Tagebuch zu haben, was die Spannung zusätzlich steigert. Eins ist ganz sicher: «Dreizehn ist meine Zahl» wird einen Logenplatz auf so manchem Nachttisch einnehmen. Ein niveauvolles Buch von bestechender Authentizität. Zu erwerben ist dieses Meisterwerk für CHF 23.90 im Buchhandel. Ein Ausschnitt aus dem Buch wird in der Literaturpause der März-Nummer des Luzerner Kulturmagazins zu lesen sein. Veranstalterin der Lesung war die Stadtbibliothek Luzern in Zusammenarbeit mit der Hirschmatt Buchhandlung Luzern.