Dirty Reggae - Signed, sealed, delivered – Aggrolites & The Roaring Twenties im Sedel

Alle, die mit Schmudo und Co. nichts am Hut haben, fanden im Sedel Asyl. Oi! Viele bekannte Gesichter traf ich an, rund um Bitxidenda und die Roaring-Twenties-Fanbase. Doch die üblichen Skinheads, die ich sonst beispielsweise auf den Rudeattack-Nightern antraf, blieben weg. Warum, wurde mir später nicht eindeutig klar, es zeichnete sich jedoch eine Vermutung ab.

(Von Emel Ilter)

Fulminant begann der Abend mit veganischem Essen von der Bitxidenda-Food-Front-Crew. Als dann der Club bis zur Hälfte locker gefüllt war, begann der Konzertabend mit der Luzerner Skinhead-Boygroup-Formation The Roaring Twenties («Chipooo!»), leicht bis tendenziell sehr nervös. Neue Songs gab es von den Roarings zu hören, die bereits seit sechs Jahren zusammen Musik machen und Bier trinken. Überraschend erfrischend: die mutigeren Schlagzeugrhythmen von Tobi und Mättus Saxofon-Soli, die ich selten so ungeniert und sexy erlebt habe. Zu den MCs Fusi und Adrian meinte mein Bandkollege Ibrahim T.: «Die müssen mehr nach Alkohol klingen.» Pfui! Und das von einem Familienvater! Doch es hat was. Meine Stimme heute beweist mir, dass das mit dem Gin wirklich hilft. Esst mehr Gin, danach kann man gut! Roar ... Die Aggrolites mit Jesse Wagner als Sänger beweisen nämlich genau das. Skinhead-Reggae muss irgendwie schwarz klingen. Als ihre Basis bezeichnen die Aggrolites den frühen Reggae aus Jamaika und 60ies-Soul. Skinhead-Reggae ist eher ein europäisches Phänomen und hängt mit den weissen Kids aus London zusammen, die in den 60er-Jahren durch die schwarzen Einwanderer («Rude boy!») den Reggae als Soundtrack ihrer Subkultur gewinnen konnten. Fragt mich nicht, wie dieses Skinhead-Ding in Los Angeles landete. Jedenfalls: Egal, wie sehr Aggrolites auf dem «Dirty Reggae»-Hey-wir-repräsentieren-Roots-Image beharren, ihr Auftreten hat etwas sehr, sehr Sauberes an sich. Ein Detail: Der Herr Roadie beispielsweise. Handtücher und Wasserflaschen überall abgezählt und liebevoll parat gemacht. Während dem Konzert ein sorgenvoller, aufmerksamer Blick auf die Band. Braucht der Bassist mehr Monitor, richtet er sich an den Roadie, der wiederum das Signal in Roadie-Techniker-Geheimzeichensprache an den Techniker durchgibt. Wenn der Fotograf – für wen auch immer er fotografiert haben mag – zu viel Fotos macht, bekommt er vom Roadie den Zeigefinger ins Gesicht. Wow! Ich will auch jemanden, der mir alles von den Lippen ablesen kann. Die Herren von und zu Aggro sind verdammt gute Entertainer, das muss man denen lassen, und noch höflich und bescheiden, wenn auch auf eine leicht aufgesetzte amerikanische PC-Art-und-Weise. Sie teilten mindestens dreimal den an sie gerichteten stürmischen Jubel mit der Vorband («Give it up for The Roaring Twenties!!!»). Sie sind routiniert, sie haben die absolute Kontrolle über sich und ihre Instrumente. (Ich bin Fan von Roger, dem Organisten. Alter Schwede!) Und sie gehen verdammt gut aufeinander ein, ebenso auf das Publikum, das bei Klassikern wie «Someday», «Free Time» und Co. das Angebot zum Mitgrölen und -klatschen gerne annimmt. Für mich aber alles eine Spur zu perfekt, um ehrlich zu sein. Die Aggrolites sind definitiv Profis. Und alles was zu professionell ist, ist für mich leicht säuerlich im Abgang, insbesondere wenn es um Nischenmusik geht. Ausserdem hab ich fundamentale Probleme mit missionarischem Ehrgeiz. Jedenfalls, nach dem Konzert richtete sich Pater Henning Boogaloo mit seinem Rare Soul, R’n’B und Co. KG an die lichter werdende Gemeinde. Ich wurde «best–friends» mit Gin Tonic, Männerklo und Fussweh. Aggrolites-Sänger Jesse begleitete zusammen mit meiner Bandkollegin Cristina enthusiastisch die Soul-Tunes mit Schellenkranz und Maracas (kicher). Bassist Jeff versuchte sich an Northern-Soul-Tanzschritten und Gitarrist – wie hiess er gleich?! – verfolgte mich mit seiner Fotokamera, nachdem Fusi mich kopfüber durch den Backstage trug und wahrscheinlich allen präsentierte, was sich jenseits der Grenzen meines Minirocks befand. Und du so? Nun zieht der jamaikanische Föhn aus Los Angeles über Zürich weiter gen Norden, um seine nächste LP «Rugged Road» an Mann und Frau zu bringen. 200 Tage im Jahr touren und das seit über 8 Jahren. Das muss ja irgend etwas Richtiges an sich haben. Oi!