Die Gibsons hängen tief – Favez im Sedel

Laut waren sie, dauernd auf Overdrive. Trotz dem üblichen, durchaus gewohnten Pathos machte das Konzert grossen Spass – lediglich dass alle Helikopterlandeplätze schon ausgebucht waren und man auf das Dach des Kantonsspitals ausweichen musste, trübte die Erfahrung ein wenig.

(Von Girafo Gondolfsky)

Favez, die seit 1990 (!) zum Inventar europäischen Indie-Musikschaffens zählen, beehrten Luzern wieder mal mit einem Besuch, stilgemäss im Sedel. Das Publikum folgte der Einladung zahlreich und begeistert, und offenbar von weither – die Parkplätze waren bis nach Rathausen besetzt, und der Helikopterlandeplatz auf dem Sedel-Dach drohte zum ersten Mal seit seiner Errichtung 1992 (ihr erinnert euch, das war, als Prince Roger Nelson noch die Pianobar betreute und auf schnellstmöglichen Transport beharrte) aus allen Nähten zu platzen. Die Musiker kamen je in eigener Stretchlimo angefahren – die Gerüchte über ein Zerwürfnis zwischen Gitarrist Borel und Drummer Marguerat schienen sich zu bestätigen. Wenig erstaunlich allerdings war, dass Frontman Wicky das grösste Fahrzeug für sich beanspruchte: eine dreiachsige Corvette C3 – man ist immer wieder verblüfft über die Vielzahl und -falt an Groupies, die der Altstar mit sich zu führen pflegt. Der fröhliche Konzertreigen wurde von den Come Ons eröffnet, von denen der Autor dieses Tatsachenberichts allerdings nichts mehr mitbekam, da er zu lang in den Armen seiner Geliebten weilte vorgängig. (Und nachgängig, deshalb die noble Verspätung dieser Publikation.)

Als Favez dann, von zwölf in genau abgestuften pastellfarbenen Tüll gehüllten Eunuchen in Sänften getragen, die Bühne enterten, gab es im Publikum kein Halten mehr, rund siebenundzwanzig Sicherheitsleute waren nötig, um die Band vor den anbrandenden Fans zu schützen. Die jungen Damen in den ersten dreizehn Reihen kreischten so laut, dass man kaum Wickys scherzhafte Nachfrage verstand, wie viele der Gäste Favez denn schon gehört hätten, als die Band 1999 zum ersten Mal im Sedel spielte – es gab tatsächlich einige im Publikum, die im letzten Jahrtausend schon Konzertreife erlangt hatten, sie schienen aber in der Minderheit zu sein, was allerdings auch nur so gewirkt haben mag wegen der grösseren Durchschlagskraft jugendlicher Stimmbänder.

Favez brachten ihr eigenes Lichtequipment mit, alle Scheinwerfer waren in Weiss gehalten, keine Farbe sollte der verdienten mythischen Überhöhung der geläuterten Rocker – von denen man munkelt, sie hätten in einem Lauterbrunner Ashram zum Pastafarismus gefunden – in die Parade fahren. Und hell waren sie, wahre Lichtfluten ergossen sich über Bühne und Publikum. So weit, so gut.

Ebenfalls importiert hatte die Band den Soundmenschen, mit dem allerdings ein Hühnchen zu rupfen wäre: Der Mix war durchs Band weg wie eine dieser neumodischen MP3-Produktionen: immer sehr laut, immer am Anschlag, von Dynamik war wenig zu spüren. Dass Favez gleich mit zwei Tasteninstrumenten angereist waren (bedient von Maude Oswald und Jeff Albelda – mit Fender Rhodes!), machte sich zum allgemeinen Bedauern nur pantomimisch bemerkbar; man hörte die Dinger kaum.

Die Musik war druckvoll, freudig gespielt, mit einem allerdings oft dominierenden Hang zum Pathos, der unglücklich verliebten Teenagern besser anstünde als den gestandenen Herren und der einen Dame. In ihren starken Momenten wirken Favez wie einst Rage Against The Machine oder die jungen Chili Peppers – ungemein satter, perkussiver, zum Tanzen verlockender Groove mit einfacher harmonischer Ausgestaltung –, doch können sie der Versuchung nie lang widerstehen und bauen sehr schnell wieder sehr viele Akkorde ein; vielleicht wärs ja sonst nicht mehr Indie. Hier rächte sich auch ein wenig, dass Bassist Lechef, der als einziger Besaiteter nicht auf Gibson, sondern auf Fender setzte, sich darauf kaprizierte, ausschliesslich mit Plektrum anzuschlagen – das nimmt dem Basssound halt schon etwas an Varianz. Aber vielleicht sieht man das auch zu eng. Auf jeden Fall wars laut, rockig, von herausragender Präzision – ein grosses Vergnügen. Sänger Chris Wicky war äusserst gut gelaunt, scherzte mit dem Publikum, moderierte die Songs genussvoll an; bei aller Routine war stets die Freude zu spüren, genau jetzt genau hier zu aufzutreten.

Genau so gerierte sich auch die Band: Wer je Nachhilfe brauchen sollte in Sachen kunstvoll eingesetzte Rockposen, wäre an diesem Abend hervorragend bedient gewesen. Und Humor macht einen wesentlichen Bestandteil des Favez-Liveerlebnisses aus: So berichtete Wicky in einem eigens geschriebenen Song als zweitletzte Zugabe solo davon, wie er den Sedel-Shuttle demoliert hatte aus Versehen – «I’m sorry». Favez’ neue Platte, «En Garde», lohnt den Kauf, zumal sie auch als Doppel-LP zu haben ist, wobei die Band netterweise einen Download-Code beifügt, falls man den waghalsigen Sprung ins digitale Zeitalter bei aller Vinylaffinität zumindest partiell doch geschafft haben sollte.

Apropos Vinyl: Ausnehmend gut gefiel uns der offenbar sehr kurzfristig (am gleichen Abend) gebuchte Sam Pirelli, seines Zeichens mit der Psycho Radio Show so legendär wie vorhersagbar, der sich diesmal hingegen ganz auf Rockabilly konzentrierte und ein durchaus hörenswertes Set ablieferte – mit dem er allerdings den Sedel in Rekordzeit leer spielte. Aber «Honey Baby» von Griz & Fizz, «Voodoo Cadillac» von Southern Culture on the Skids, »Cry on the Wind» von den Blue Cats, «How Mean You Really Are» von den Riptones oder «One Cup of Coffee» von den Caddy Cats laut über das feine Sedel-PA zu hören, lohnte das Experiment durchaus – und zumindest die unvermeidliche Turbojugend hatte ihre helle Freude an der Musik.

Chris Wicky mit Groupie