Die Familie wächst

Ein denkwürdiger Abend im Treibhaus wurde gestern zum «Place To Be» für Schweizer Freunde des deutschen Rap. Das Duo Herr von Grau machte bei seiner «Herrbst»-Tour Halt in der Schweiz und begeisterte seine Luzerner Anhänger während mehr als 90 Minuten bereits zum dritten Mal.

(Von David Buntschu)

Treibhaus Luzern, Samstag, 17.10.2012. Zum Auftakt gabs E-Rich. Das ist eine Einmann-Show, die Herr von Grau während seiner «Herrbst»-Tour überall hinbegleitete. E-Rich mag noch nicht ein so vielbeschriebenes Blatt wie der Hauptact des gestrigen Abends sein, deklarierte aber schnell dass er ein ehrlicher Mensch sei, der ehrliche Musik mache. «Musik gegen den Hass» rief er einmal zwischen zwei Songs heraus, nachdem er (gekonnt) als Schlichter des Zanks zwischen zwei Konzertbesuchern fungierte. Ein Handklatsch mit beiden und «das Ganze (den Song) halt nochmals von vorn.» «Ich kenne euch Schweizer nicht so gut», meinte er weiter. E-Rich war letztenendes dennoch glücklich, dass er seine erste Show im Ausland hier in Luzern feiern durfte. Sein ständiger Begleiter, der DJ Laptop, spielte Songs ab seiner aktuellen EP «6». Auf dieser unterscheidet er musikalisch zwischen Ernst und Party. Sein Aufbäumen gegen das Verkommen des Deutschen Rap ist gekoppelt mit nostalgischen Tracks und teils reggae-nahen Oden ans Leben. Ein Song für den Hinterkopf: «Über der Stadt». Nach seinem Debüt in der Schweiz meinte E-Rich, er meine, er sei doch fantastisch gewesen. Das Publikum quittierte mit grossem Beifall. Zurecht. Gratis-Songs von E-Rich gibt’s hier. Unmittelbar danach bewegte er sich von der Bühne und nahm DJ Laptop und sein Banner mit. Es setzten Herbstklänge ein, die den nicht mal zehnminütigen Umbau für die Herr-von-Grau-Show auch für den Besucher auffallend angenehm gestalteten. Eine herbstlich hergerichtete Bühne und teils eigens mitgebrachtes Lichtequipment war in der Folge das wahrhaftige «Mise en place» für Kraatz und Benny aus Berlin. «Die Familie wächst», meinte Herr-von-Grau-DJ Kraatz nach einigen Songs im Set. Damit stellte er klar, wie erfreut er über die Besucheranzahl des Konzerts ist. Zum dritten Mal in Luzern wurde die Stadt unlängst zu einer Hauptader der Herr-von-Grau-Auslandbeziehungen mit der Schweiz. Von Anfang an brüllte das Treibhaus, das zum Bersten voll war, die Berliner an und rappte mit wo möglich. In ihren Texten sezieren Herr von Grau den Menschen. Sie berichten aus dem Leben und strotzen dabei vor Intelligenz. Wer Gangster-Elemente oder sexistische Texte sucht, wird bei ihnen nicht fündig. Wie vom Veranstalter angekündigt, machen Herr von Grau Rap für alle. Und «alle» waren gestern Abend auch zugegen. Jungspunde, schon etwas ältere, von weit her, von nebenan. Nix gleichte einem Szenenanlass, dennoch herrschte ekstatische Stimmung. Kraatz machte mit Eskapaden ans Schlagzeug auf seine Perkussionskünste aufmerksam, Benny beatboxte und rappte sich, je länger die Show dauerte, in einen Rausch. Seine Stimme, klar, oft auf der gleichen Höhe und unverschwommen, rappte zu Songs, die von der aktuellen EP «Herrbst» und weiter aus einem Sortiment von elf Releases (seit 2007!) stammen. Eine gezielte Auflistung soll erspart bleiben. Essentiell ist, dass die Besucher beim Auftakt vieler Songs Beifall verlauten liessen. Alle Dämme brachen spätestens dann, als Benny zu einer «Wall of Love» aufforderte und seine Fans eng umschlungen eine Massenpogo veranstalteten. Mitternacht war längst vorbei, als sich Benny und Kraatz aus Luzern verabschiedeten. Von Fulda angereist, gings nach Luzern nun nach München, um den «Herrbst» noch weiter auszukosten. 28 Konzerte in eineinhalb Monaten zeigen auf, wie ernst es Herr von Grau mit der Musik meinen. Von dieser können sie seit Kurzem auch leben. Jeden Treibhaus-Besucher dürfte dieses Faktum nur all zu sehr erfreuen.