Die einen sparen beim Geld, die anderen beim Denken. Wer beides tut, macht Bildungspolitik – Kabarettwoche im Kleintheater

Die Kabarettwoche im Kleintheater Luzern ist eröffnet! Den Anfang machte das politisch-satirische Theaterkabarett Birkenmeier. Freuen darf man sich noch vier Mal auf Künstler wie Manuel Stahlberger oder Serdar Somuncu.

Die Geschwister Birkenmeier kennen keine Tabus. So setzten sie gestern Abend im Kleintheater nach einem etwas gar plakativen Einstieg über den allgemeinen Zertifizierungswahn zu einem Rundumschlag an, den wir – sofern die Hirne auf «on» waren – eher wütend als belustigt verliessen. Was wir an der jungen Slam- & Kabarettszene oft schmerzhaft vermissen – Ecken und Kanten, politisches Bewusstsein, Wut, aber auch Hunger nach Leben und der Veränderung von herrschenden Zuständen – wurde hier geboten. Endlich mal etwas, das NICHT von einer Grossfirma für einen internen Anlass gebucht werden wird. Mit Sätzen wie «die Gegenwart ist die Vergangenheit der Zukunft» begann ein fiktiver Rückblick auf die vor uns liegenden Jahre – und den ominösen Kettenriss, der an dieser Stelle obskur bleiben und zum Selber-schauen-gehen animieren soll. Teile des Programms – allem voran die dystopischen Visionen – erinnerten an «Corpus Delicti» (von Samir am Luzerner Theater inszeniert) und waren vier Tage nach der Einführung des Rauchverbots in Beizen und der jüngsten Hexenjagd auf die Übergewichtigen, die neuen Opfer der «Gesundheitsfaschisten» (dieses Wort stammt nicht von uns) erschreckend aktuell. Nach der Aufführung hätten wir uns übergeben oder an 'ner 1.-Mai-Nachdemo beim Steineschmeissen beteiligen können, so unerträglich präzis wurde der desolate Ist-Zustand evoziert. Dies alles mit einer schauspielerischen, gesanglichen und sprachlichen Virtuosität, wie wir sie uns all zu oft nur wünschen können. Von gewissen Einfällen – wiederholte Stromausfälle beispielsweise – mögen wir halten, was wir wollen. Und «My Boni is over the ocean» ist mittlerweile so abgelutscht, wie weiss nicht was. Dass solche Details jedoch blitzartig ambivalent auffallen, zeugt von der hohen Messlatte, die der Rest setzt. Vom hiesigen Bildungssystem über den Impfwahn zur Europäischen Gemeinschaft («Man bildet heute Bündnisse, wie man Kriege erklärt») wurde alles durch den Satirewolf gedreht. Dazwischen fügten sich Bruchstücke von alten Programmen des Duos stimmig ein. Eine weitere deliziöse Szene zeigte die Birkenmeiers zusammen unter einer Lampe, erleuchtet von der letzten verbleibenden Nicht-Sparbirne, wo sie «Wie einst Lili Marleen» sangen und die Kriege von gestern mit dem Kollektiv-Wahn von heute verglichen. Ebenda fiel dieser Satz mit den Gruppen und den Kriegen. Als auf den manischen Lobbrief eines ausgestiegenen Entwicklers von Apple an den Computer, den er entwickelt hatte, das Lied vom «Quali-fick» – klingt beim Nacherzählen evtl. etwas pubertär, ist es aber nicht –folgte, gab's fürs Publikum im gut gefüllten Kleintheater kein Halten mehr. Das Theaterkabarett Birkenmeier verliess nach den Zugaben die Bühne, der Applaus hallte nach. Apropos Publikum: Das war gestern relativ in die Jahre gekommen. Wo blieben die Jungen, die Lehrer, die Gymnasiasten? Gerade für die wäre der Stoff essentiell und evident gewesen. Obwohl ... eventuell würden die das gar nicht mehr verstehen. Zu vieles Eric-Emmanuel-Schmitt-Lesen und Kampfdeklinieren von Verben, wie das beinahe-nicht-Vorhandensein von politischer Bildung sollen ja den Gesamtblick trüben ... sagt man. Diesen Abend habt ihr verpasst, vier liegen vor uns. Heute: Uta Köbernick und Manuel Stahlberger. Donnerstag: Werner Brix. Freitag: Serdar Somuncu. Samstag: Robert Kreis.