Das Salz in der Stadtsuppe

Seit die Stadt Luzern bekannt gegeben hat, welches Kunstwerk die Vorzone der Messe und des Fussballstadions schmücken wird, ereifern sich die Internetkommentatoren über den «Stein des Anstosses». Mit einer Interpellation der SVP wird der Klotz definitiv zum Politikum.

(Von Hansruedi Hitz)

Ein Künstler macht einen «mutigen, subtil-subversiven» Vorschlag, vermag die Jury zu überzeugen, die direkt Betroffenen wehren sich, unsere Zeitung setzt einen süffigen Titel über ihren Bericht, und schon kommen quasi auf Knopfdruck reflexartig die Reaktionen: Von «Sowas klotzt mich einfach an...» über «Absolut hässlich und schade um jeden einzelnen Franken» bis zu «140'000 Fr. teures Urinal» lauten die abschätzigen Kommentare im Internet, während die Kulturszene positiv auf den Juryentscheid reagiert. Auf der politischen Ebene möchte die SVP der Stadt Luzern mit einer Interpellation den Klotz auf der Allmend verhindern und die Kunst im öffentlichen Raum am liebsten ganz abschaffen.

Der Klotz von Felix Kuhn

Der Klotz von Felix Kuhn (Bild aus dem Jurybericht) Die bisherige Debatte über den Klotz auf der Allmend wirft einige Fragen auf: Braucht es Kunst im öffentlichen Raum? Schon vor der Sphinx bei den alten Ägyptern gab es Kunst im öffentlichen Raum – nur die Partei, die den Staat auf einen Nachtwächterstaat reduzieren möchte, beantwortet diese Frage mit einem Nein. Kunst im öffentlichen Raum hat verschiedene Funktionen: Sie stellt aktuelle Bezüge zum Ort her – der Klotz thematisiert die Menge der auf der Allmend verbauten Materialien. Sie irritiert und regt zum Nachdenken an – z.B. über das Verhältnis der für die Kunst aufgewendeten Gelder zu den auf der Allmend verbauten 250 Millionen. Denkmäler, die nicht mehr zum Nachdenken anregen, sollten ausgewechselt werden. Kunst im öffentlichen Raum bringt Passanten bisweilen zum Schmunzeln und vermag im besten Fall sie zu berühren, wie z.B. Niki de Saint Phalles «Ange Protecteur» im Zürcher Hauptbahnhof, der die Reisenden «beschützt». Sie sollte nicht nur dekorativ sein, sondern im Betrachter und in der Betrachterin etwas auslösen. Kunst im öffentlichen Raum ist das Salz in der Stadtsuppe.

Wer soll über Kunst im öffentlichen Raum entscheiden? Ein künstlerischer Akt beruht auf der Kreativität eines Individuums, manchmal eines kleinen Kollektivs, wie z.B. beim Künstlerduo Fischli/Weiss, nie aber ist Kunst Resultat eines demokratischen Prozesses. Kunst ist subjektiv und wird auch immer subjektiv beurteilt. Da Kunst im öffentlichen Raum aber alle betrifft, muss die Öffentlichkeit mitreden und mitentschieden können, welche Kunst öffentlich zum Ausdruck gebracht werden soll. Sonst verliert die Kunst im öffentlichen Raum ihre Legitimation. Doch welche Form der Mitbestimmung ist geeignet? Wenn über Kunst demokratisch abgestimmt wird, bleibt nur noch mehrheitsfähige, stromlinienförmige, dekorative Kunst übrig – «Kreiselkunst», die nicht irritiert, nicht zum Nachdenken anregt und nicht zu berühren vermag, die aber auch nichts bewirkt und letzlich ihre Aufgabe nicht erfüllt. Deshalb sollen staatlich berufene Fachgremien über Kunst im öffentlichen Raum entscheiden. In der Wettbewerbsjury für Kunst im öffentlichen Raum in der Vorzone Allmend waren übrigens die direkt Betroffenen mit beratender Stimme vertreten und konnten den Meinungsbildungsprozess mitprägen. Wenn sie bei der Jurierung nicht mitmachten, so wurden sie weder übergangen noch ausgebotet, sondern haben freiwillig auf ihre Mitsprache verzichtet und sich selbst aus dem Spiel genommen.

Darf Kunst dem (Messe-)Kommerz im Weg sein? Ob es für einen 6x6x6-Meter-Kunst-Klotz eine Baubewilligung braucht, sollen Baujuristen klären, ein Baubewilligungsverfahren würde es jedoch ermöglichen, die nachbarschaftlichen Verhältnisse zu klären, wie Grenzabstände, Sichtlinien, Anlieferung, Zufahrt von Feuerwehr und Sanität etc. – schliesslich will niemand den FCL-Fans den Weg zum Heimspiel versperren. Es kann sein, dass der Klotz von Felix Kuhn dem Messekommerz «im Weg» ist. Dennoch ist es kaum nachvollziehbar, dass sich die Messe, die von den Millionen der öffentlichen Hand stark profitiert (neue S-Bahn-Station unmittelbar vor dem Eingang), sich gegen die öffentliche Kunst in ihrem Umfeld zur Wehr setzt. Offenbar ist alles, was sich nicht unmittelbar rentabilisieren lässt, vor allem «Kunst, die da kratzt, wo es erst morgen beisst» (Felix Kuhn), ein «Affront»(Markus Lauber, Messe AG), den es zu bekämpfen gilt. Will Kunst im öffentlichen Raum etwas bewirken und nicht einfach den Vorplatz der Messehallen verschönern, dann muss sie sperrig sein. Dass der Klotz der Messe AG ein Dorn im Auge ist, zeigt nur, dass sich die Jury für das richtige Projekt entschieden hat. Schliesslich gehört die Allmend allen und nicht nur der dem FCL oder der Messe AG.