«Da huere Gotthälf!»

Der Gotthelf-Stoff, doppelt gemoppelt, als Theater im Theater: Mit Beat Sterchis starkem Stück «Annebäbi im Säli» von 2004 tourt eine aktuelle Produktion (Regie: Livio Andreina) über die Innerschweizer Dörfer. Wir waren gestern Samstag am ersten Auswärtsspiel im Entlebucher Dorf Flühli dabei.

(Bilder zvg)

Die Idee ist bestechend: Eine Laientheatertruppe will als neue Produktion Gotthelfs «Annebäbi Jowäger» (gibts auch als Schwarzweiss-Film von Franz Schnyder aus dem Jahr 1960) aufführen und hat dazu einen deutschen (!) Regisseur angeheuert, der es ein bisschen anders machen will als gewohnt. Was bei dem einen oder der anderen schon für Unmut sorgen kann. Sterchis Stück, entstanden im Gotthelf-Jahr 2004, verschränkt nun das Probentreiben mit dem Gotthelf-Stoff selber. Das heisst es wird Theater im Theater gespielt, das Private der Spielenden, die soziale und wirtschaftliche Lage draussen in der Welt – sie spielen im Stück mit eine Rolle. Es fängt – nach Hackbrett- und Talerschwingen-Intro – mit stark akzentuiertem Hochdeutsch an, als Vorblende sozusagen. Wer da spricht, wird erst unerwartet mit ins Boot geholt. Es ist die serbische Serviertochter im «Ochsen», wo eben im Säli geprobt wird. Ausgerechnet «e Tüütsche» mit neumodischen Regievorstellungen (plus: Atemübungen, das macht man heute auch im Laientheater zur Auflockerung) orchestriert das Theatertreiben, das zu scheitern droht. Denn Unmut macht sich gegen die Art des Theatermachens breit («Dasch es Chrampftheater»); ebenso erschwerend sind aber die weiteren Umstände: Liebeskrach unter den Spielenden, Diskussionen über die Rollenverteilung, einer kommt, um eigentlich zu sagen, er könne nicht kommen, eine ist gar nicht gekommen, weil sie noch in den Ferien weilt.

So geht es schön hin und her zwischen den Ebenen: Durchlauf bzw. Aufführung in Kostümen, sprachlich im stilisierten Emmentaler Dialekt von einst (19. Jahrhundert) und die Probenarbeit selber. Der Bauer, der mitspielt, ist gar keiner mehr, seine Hofstatt ist zum Puff geworden, ein anderer wird den Hof verlieren, eine der Spielerinnen beschimpft ihren afrikanischen Ex-Freund am Handy als «Motherfucker». Und überhaupt, kann mit einer solchen Schrumpfkolonne das Gotthelf-Stück überhaupt durch- und aufgeführt werden? Wir sollen eine Menschenmenge spielen mit nur fünf Leuten?, wird gefragt. Regisseur Holger Tetschke darauf: «Fassbinder hat mit einem einzigen Schauspieler Massenszenen gedreht.» Er kommt gar auf die Idee, mit echter Gülle auf der Bühne dem Ganzen eine spezielle «Duftnote» zu verleihen. No way! Das alles ist immer noch das gute Stück, der starke Text von Sterchi, was alles äusserst gut in Szene gesetzt und gespielt wird im schön stilisierten Bühnenbild von Anna Maria Glaudemans Andreina. Heimattheater einmal anders, das nicht im Altbackenen stecken bleibt, sondern mit etwelcher Komik als aktuelle Volkskultur das Heute mit ins Theater hereinholt. Ebenso bestechend wie die Stückanlage selber: Die bis Ende Mai realisierte Idee, dieses «Annebäbi» tatsächlich in echten Beizen-Säli zu spielen, wandernd von einem Dorf zum anderen. Insgesamt 17-mal, von Flühli über Adligenswil und Melchnau bis Romoos. (Eine Reportage zum ersten Auswärtsspiel des Wandertheaters «Annebäbi im Säli» findet sich in der Mai-Ausgabe des «Kulturmagazins»)

Werkstatt für Theater/Somehuus Sursee: «Annebäbi im Säli» von Beat Sterchi; Aufführungen bis 28. Mai, www.annebaebi.ch