«Bücherlesung – nicht jedermanns Sache»

Kleintheater, Freitag, 1.2.: In die Mitte der dreitägigen Veranstaltungsreihe des Kleintheaters «schräge Vögel» trat am Freitag das skurrile Duo «das wüste Gobi» auf. Sein Programm ist eine Dichte herrlich gescheiten Unsinnes in Gestaeiner ernsthaft gespielten Lesung zur Vielfalt ornithologischer Fiktionen. Untermalt und zuweilen überlagert wird der ganze Spuk von einem musikalisch ansprechenden Potpourri aus Jazz, Pop und Unlaut.

Staubtrocken hält Reinhard Josef Sacher seine Referate über die Besonderheiten und Lebensverhältnisse von Vogelarten, die seiner Meinung nach mit zu wenig Beachtung geehrt werden, wie die«Bachkantate», das «Birkenhaarsträubchen», die «Roten Arme» oder das «Blaue Auge». Offenbar soll sich mit dem Publikum selbst eine Schar von irren Vogelkundlern eingefunden haben. Die poetischen, manchmal gar gereimten Dada-Erläuterungen zu nicht existenten Gefiedervarianten liest Sacher aus seinem tatsächlich erschienen Büchlein «Freie Sicht auf die Ambiente. Der kleine kosmische Vogelführer – Band II». Der Obertitel dieses unwissenschaftlichen Beitrages zu einer Art Studien des Nonsens muss zugleich für das Programm von «das wüste Gobi» hinhalten. Dementsprechend kommt dem zweiten Mitglied der Formation, die nebenbei bemerkt als übriggebliebener Bestandteil aus dem ehemaligen Erfolgstrio «Ars Vitalis» entspringt, «nur» die Funktion der musikalischen Begleitung zu. So ist es denn auch logisch, dass Peter Wilmanns im Vorfeld des bioliterarischen Auftrittes seines Kollegen für das Aufstellen der wenigen Requisiten und eben das bisschen Ambiente zuständig ist. Allerdings erlaubt er sich schon da den Seufzer: «Tja, Bücherlesung – nicht jedermanns Sache» und weist so durchaus auf ein Problem hin, das je nach Geschmack bei der darauffolgenden Vorführung auch jenes des einen oder anderen Zuschauers werden könnte. Ein roter Faden ist nämlich in Sachers und Wilmanns Darbietung schwer zu bestimmen. Eher gleicht das Ganze einem verzwirnten Wollknäuel, das für eine radaulustige Katze anstelle einer Maus oder eben eines Vogels Objekt der Begierde war. Trotzdem scheint die «freie Sicht auf die Ambiente» gewährt und wertgeschätzt. Die Besucher des Kleintheaters wirken so gut unterhalten, wie die Stühle besetzt. Weniger harmonisch gestaltet sich das Verhältnis zwischen den beiden Vortragenden. Während Sacher in der Manier des schüchternen und verbohrten Professors seine Geschichten um «Windschnittige Motorhäubchen», wasserscheue, aber dennoch Fische fressende «Sperrlingsmöven» oder osteuropäische «Tumultkehlchen» spinnt, hat er für den Zuständigen der instrumentalen Begleitung oft nur kritische Seitenblicke und verhaltenes Schnauben übrig. Oft findet er Wilmanns Versuche einer künstlerischen Vertonung der Vogeltexte – ob mit Klarinette, Saxofon oder Spielörgelchen – unangebracht und übertrieben. Dessen Widerstand gibt sich dafür in anderen Aktionen zu erkennen, wenn er dem Vogeldozenten beispielsweise freundlich anmutend ein Glas Wein hinstellt, um gleich darauf schadenfroh zu bemerken: «Der Amselfelder hat mit einem Wein genauso wenig zu tun wie mit einem Vogel.» Zwischendurch schaffen es die beiden aber auch, sich zusammenzuraufen und gemeinsam zu musizieren. So kommt es immer wieder zu schön anzuhörenden jazzigen, manchmal fast rockigen oder poppigen Stücken, wobei der selten dämliche Gesichtsausdruck des Gitarre spielenden Sacher stets dafür sorgt, dass man nie über den hohen Grad an Blödsinn dieser Bühnenkunst hinweggetäuscht wird. Bevor das Duo zum Schluss noch ein Gedicht –«geschrieben auf einer neuen Frankfurter Schulbank» – rezitiert und eine überraschend uneigentümliche Version des Beatles-Klassikers «Blackbird» zum Besten gibt, läuft die Show aber noch zu ihrem anarchischen Gipfel auf. In einer völlig kontextfrei erscheinenden Eulenszene stehen sich die beiden Protagonisten plötzlich nicht mehr in ihren Rollen als Referenten oder Musiker gegenüber, sondern bekrähen sich mit der Frage: «Du Eulen?». Ein absurder, kampfartigen Balztanz folgt. Spätestens da lässt ein Hape-Kerkelingsches «Hurz» fast schon bodenständig grüssen. Man kann froh sein, dass Sacher aus der Not eine Tugend gemacht hat und nicht bloss – zu reinen Vertragszwecken – konventionelle Lesungen aus seinem Büchlein halten, sondern eine speziellere Form der Darbietung daraus machen wollte. Nach dem Tod von Klaus Huber, dem dritten Mitglied der Gruppe «Ars Vitalis», haben die definitiv schrägen Vögel Sacher und Wilmanns so wieder ein neues Bühnenprogramm und Duo erschaffen.