Anpfiff der Heimspiele

Bis zum 1. Juni überlässt das Kleintheater die Bühne dem Zentralschweizer Kulturleben. Stine Durrer wird da beispielsweise zu sehen sein, in einer szenischen Begegnung mit Texten und Bildern der Annemarie von Matt, Max Huwiler und Hans Hassler werden unter der Überschrift «Der sanfte Blick der Plastikkuh» eine musikalische Lesung anrichten, die Anständigen zu einer Nacht der Anständigen laden. Den Auftakt machten gestern die Urban Lies mit ihrem performativen Konzert «Wann stören wir uns endlich?»

Ich störte mich bereits wenige Minuten nach Betreten des Kleintheaters das erste Mal: Da ist man zu früh, will die Zeit bis Beginn mit 'nem Bierchen überbrücken, bestellt an der Theke und die Dame dahinter fragt tatsächlich, ob man denn bereits sechzehn sei, ob sie ein Ausweis sehen könne. Als sie das blonde Gold nach einem halb belustigten, halb genervten «Genau!» meinerseits noch immer nicht rausrücken wollte, realisierte ich, dass sie es ernst meinte. So weit sind wir schon. Zum zweiten Mal störte ich mich, als der Anfangsmonolog nie enden wollte. Begonnen auf dem Balkon des Auditoriums, dann über den Backstage die Treppe runter auf die Bühne, Worthülsen aneinander gehängt, Klugscheissereien von wegen Moderne und Postmoderne. Ich glaube, die wollten Leute, die so reden, verarschen. Das war zu Beginn auch ganz lustig. Doch als der Sprachschwall nicht abebben wollte, tat es dafür das Amusement. Das «Konzert», bei dem die Musik leider zu kurz kam, denn die war das einzige, das an diesem Abend über alle Zweifel erhaben war, versprach sich auf dem schmalen Grat zwischen Szene, Musik und Sprachzerfall zu bewegen. Der Sprachzerfall zumindest wurde übererfüllt, sehr viel inhaltsloses Gelaber ins Publikum ergossen, was wohl – wie bereits beim Anfangsmonolog – so gewollt war, aber mit der Zeit wirklich ermüdend wirkte. Da gab es aber auch grossartige Szenen, wie die, als Beatrice Fleischlin – ursprünglich Sempacherin, die von 1989 bis 1996 in der Luzerner Theaterlandschaft sehr aktiv war und heute im ganzen deutschsprachigen Raum unterwegs ist – auf Schweizerdeutsch erläutert, warum sie keine Tiere mag. Geschichten, die sich auf einem Bauernhof zutrugen. Geschichten von Ratten, die mit Formalin getränkt wurden und jämmerlich verreckten, wie Schafe geschoren wurden (ein Kind musste sich immer auf ihre Köpfe setzen), wie man die Plastikbeutel, in die das Schafsfleisch verpackt wurde, stets mit dem Namen des Tieres beschrieb, bevor man diesen in der Gefriertruhe versenkte. Einige Sequenzen aber erinnerten eher einen Elternabend der Rudolf-Steiner-Schule. Etwa als Fleischlin in einem Skelettkostüm und roten Bändern über die Bühne tanzte. Auch das punkige, das gewisse Lieder evozieren wollten, nahm man ihr nicht so recht ab. Ansonsten waren die schauspielerischen wie auch musikalischen Leistungen klasse. Das Berliner Ensemble mit (neben Beatrice Fleischlin) Michael E. Bauer, Thomas Friese, Andreas Liebmann – der auch um die Texte besorgt war – und  Lajos Talamonti kann unbestritten was! Auch wenn der Kitt zwischen den einzelnen Szenen ein wenig fehlte und alles ein wenig zusammenhangs- und orientierungslos wirkte – was wohl, zumindest ein Stück weit, gewollt war. Auch wenn man sich zuweilen in einer Endlosschlaufe gefangen glaubte.

Das gesamte Heimspiel-Programm ist auf der Website des Kleintheaters ersichtlich, wer sich für die Nachtfahrt im alten Cadillac der Agentur Kriwomasov interessiert, findet hier weitere Informationen.