Adventskalender auf Mauerstück

Landsgemeindeplatz Oberdorf NW, 29.11.2015: Den historisch wichtigen, aber heutzutage in Vergessenheit geratenen Landgsgemeindeplatz in Oberdorf als zentralen Ort für ein Adventskalenderprojekt auszuwählen ist ein ambitioniertes Vorhaben. Für dieses Jahr hat man sich bei der Kulturkommission Oberdorf/NW etwas Spezielles ausgedacht, nämlich ein Videokunstprojekt zu lancieren.

Die künstlerische Idee von Moritz Hossli (*1990) und Johanna Gschwend (*1990) liegt in der Präsentation einer fiktiven, nicht per se zusammenhängenden, aber in sich verknüpfter Geschichte. Diese schwammige Definition meinerseits führt in die Richtung einer Doppelfunktion, welche die Arbeit einnimmt. Einerseits als offenes Gesamtkunstwerk konzipiert, ist die Videoarbeit andrerseits in einzelne, eigenständige Filmsequenzen aufgeteilt und analog zu der traditionellen Funktionsweise eines Adventskalenders, gibt es für jeden Tag im Monat Dezember ein neues Türchen, respektive ein neues Filmchen, das geöffnet, respektive projiziert wird. Der Landsgemeindeplatz in Oberdorf wird somit zum begehbaren Adventskalender, der jeden Tag ein neues Stück der Geschichte preis geben wird. Die einzelnen Videosequenzen dauern zwischen 6 und 10 Minuten und werden im Loop, also in einer Wiederholungsschleife, jeweils ab 17.30 Uhr bis 22.00 Uhr auf die Mauer projiziert.

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Als Basis für die Geschichte dient die Entdeckungslust der beiden jungen Kunstschaffenden. Moritz, aufgewachsen im Nachbarskanton OW, kennt sich bereits gut mit der inneren Innerschweiz aus. Johanna, aus Altstätten SG, ebenfalls rural aufgewachsen, für das Studium nach Luzern gezogen, ist auch vertraut mit ländlichen Gefilden. Beide faszinieren sich für die Neutralität, das Minimale und das Unspektakuläre an natürlichen Landschaftssituationen. Die Videoarbeit von Hossli/Geschwend ist stark geprägt von den eigenen Landschaftsbildern von Moritz Hossli, der in dieser Gegend aufgewachsen ist und dementsprechend viel Zeit hier verbracht hat. Diese Vorstellungen von Landschaft, von deren Stimmung und Ästhetik, definieren im Allgemeinen die videotechnischen Arbeiten von Moritz Hossli. Wie ein stiller, aber gleichzeitig teilnehmender Beobachter dokumentiert er Naturerscheinungen und Orte, die auf den ersten Blick kaum Aufmerksamkeit auf sich ziehen, jedoch unter dem Hossli’schen Linsenfokus zu kontemplativen Stimmungsbildern werden.

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Bepackt mit kiloweise Filmausrüstung haben sie unzählige Stunden mit Recherchearbeit verbracht, haben Wanderungen und Spaziergänge in den Gebieten von Oberdorf, Stans bis zum Drachenried gemacht, stets auf der Suche nach passenden, interessanten Sujets. Ihren Fokus richteten sie auf die bäuerliche, regionale Landschaftsebene hier vor Ort, die von den umliegenden Hügeln und Bergen eingefasst wird. Brachliegende Ackerflächen, Waldabschnitte, Fluss- und Bachläufe, Moorgebiete, Kieswerke und Steinbrücke gehören zu den bevorzugten Drehorten. Mit ihrer Kamera haben sie die schlichte Schönheit der Natur eingefangen, wie auch subtile und teilweise brachiale (Sprengungen) menschliche Eingriffe in die Landschaft.

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In ihren Videosequenzen, die wie täglich wechselnd auf dem Landsgemeindeplatz in Oberdorf projiziert werden, geht es auch um gesellschaftliche Alltagssituationen und Handlungen. Wenn sie während ihrer Filmtour auf interessante Personen und Aktionen gestossen sind, haben sie jeweils nachgefragt und das Vorgefundene filmisch festgehalten. Dazu gehören Strassenarbeiter, Bauern, Förster und Spaziergänger. So funktioniert der Adventskalender von Hossli/Gschwend gewissermassen auch als Fenster der Öffentlichkeit mit Protagonisten aus dem Alltag. Menschen vor Ort, Menschen die vielleicht sogar heute hier stehen (oder spätestens dann, wenn sie von Moritz Hossli und Johanna Gschwend das Aufführungsdatum erfahren) werden in die (Weihnachts)-Geschichte miteinbezogen. Die Arbeit von Hossli/Gschwend erhält dadurch auch eine interaktive Komponente, involviert aussenstehende Personen und erhöht die Identifikation mit dem ortsspezifischen Projekt. Einige Orte inspirierten die beiden jungen Künstler sogar selbst in ihren Videoaufnahmen kleine, performative Aktionen und Schauspieleinlagen durchzuführen. Die einzelnen Videos zeigen somit Ausschnitte aus dem alltäglichen Leben, die sich zwischen Inszenierung und Wirklichkeit bewegen. Moritz Hossli und Johanna Gschwend hegen mit ihrer Arbeit die künstlerische Absicht, aus einer vorgefundenen Situation (Landschaft, Menschen, Handlungen, Situationen) heraus, neuartige Geschichten und Stimmungsbilder zu spinnen, Verknüpfungen aufzubauen, laufend, also sogar täglich, zu verändern. Die einzelnen Videosequenzen fügen sich mit der kommenden Adventszeit zu einer Geschichte zusammen, die sich bewusst dem modernen, hektischen Leben (insbesondere in der Weihnachtszeit, Run auf die Geschenke, Dekorationswahn etc.) entzieht. Die Künstler richten den Fokus auf eine ruhige und entschleunigte Bildsprache, die gleichzeitig eine gewisse Neugier weckt und auch eine gewisse Rätselfunktion einnimmt. Die Projektionen fordern sanftmütig dazu auf, länger stehen zu bleiben, in Gedanken zu verweilen und sich bisweilen zu fragen, wo sich die gefilmten Landschaften befinden, welche Protagonisten darin vorkommen, um sich womöglich seine eigenen Assoziationen zu machen. Bei der Eröffnung des Adventskalenders wurde nicht wie in den Jahren zuvor der traditionelle Tannenbaum mit Lichtern eingeweiht, sondern was vermeintlich Gegenteiliges: Die erste Videosequenz zeigt einen Helikopter, der einen Tannenbaum aus einem Wald herauspflückt und abtransportiert. Schnell tauchen fragen auf: Ja, wohin bringt der Helikopter den Tannenbaum? Was ist sein Auftrag? Wie wird er verwendet? Hat womöglich etwas mit Weihnachten zu tun? Oder ist es gar der für hier vorgesehen Tannenbaum gewesen? Den Künstlern geht es um eine Wiederaufnahme des Motives vom Auf- oder Abbau eines Tannenbaumes. Sie liefern mit ihrem Video einen visuellen Denkanstoss inmitten der vorweihnachtlichen Vorbereitungszeit. Passenderweise gibt sich die Tannenbaum-Verbindung mit dem Landsgemeindeplatz, der als historisches Zentrum von Oberdorf eine zeitgenössische, künstlerische Auseinandersetzung erfährt.