2011: A LIFE Odyssee

In seiner ersten europäischen Ausstellung präsentiert der junge amerikanische Newcomer Matthew Day Jackson eine bunte Zusammenstellung aus Installationen, Fotografien und Film. Auf beinahe alles wird verwiesen, was in der westlichen Kultur Rang und Namen hat. Glückt der postmoderne Zitierreigen? Auf Urs Hangartners Ausstellungsbesprechung vom letzten Freitag folgt ein Zweitaugenschein.

Die Räume sind jeweils in einer kräftigen Farbe des Regenbogens ausgemalt, die Exponate dürfen viel Platz einnehmen, alles ist exakt gearbeitet, vieles sogar mit High-Tech-Maschinen aus diffizilem Material geschnitzt – und doch gemahnt das Gesamtkunstwerk auf den ersten Blick mehr an ein Kuriositätenkabinett, denn an eine durchdachte Konzeptarbeit. Dass der Künstler hier ein Gesamtkunstwerk im Auge hat, darauf deutet der soeben abgetretene Kunstmuseums-Direktor Peter Fischer gerne und ausführlich hin, etwa indem er auf die fehlenden Werkstitel im Ausstellungsraum verweist. Die schönen Exponats-Namen, wie «Me, dead at 35», eine Fotografie des aufgebahrten Künstlers als Jesus, erfährt der Besucher nur durch die aufliegenden Flyer. Nichts soll die tiefblauen oder intensivorangenen Wände stören und der Zuschauer darf gerne etwas rätseln, bevor er dem Geheimnis Jacksons auf die Spur kommt – die Ausstellung heisst ja nicht zufälligerweise «In Search of ...».

Zusammenhang, spiel mit mir Doch kommt man ihm auf die Spur, ist da überhaupt ein Geheimnis, das sich zwischen Gross-Bildschirmen mit verwesenden Nahrungsmittel-Figuren (Peter-Greenaway?) oder fliegenden Atombomben (Dr. Strangelove?) verbirgt? «The true artist helps the world by reavealing mystic truths», zitiert Jackson Bruce Nauman, indem er dreist dessen farbige Neonschrift gerade biegt und sie zwischen Totenschädeln, Beinprothesen und mysteriösen Artefakten platziert. Ist Matthew Day Jackson ein wahrer Künstler, gekommen um uns zu helfen, die Welt besser zu verstehen? Wohl kaum. Aber das kann man ihm ebensowenig zum Vorwurf machen wie Bruce Nauman, der sich mehr für die manipulative als die klärende Kraft der Sprache interessiert. Die Erklärung der Zusammenhänge ist nicht das Ziel, sondern das problematisierte Thema dieser Ausstellung – und dazu präsentiert Jackson die Eigeninterpretation einmal mit dem Holzhammer, ein andermal verwischt er sie so geschickt, dass sich die Suche im Ungewissen – oder Beliebigen? – verliert .

Gesellschaftskritik reloaded Was bedeutet es etwa, wenn er berühmte Titelseiten des amerikanischen LIFE-Magazins mit gehäkelten Decken drappiert? Wenn er die Fenster eines Ford Mustangs mit farbigen Glasbutzen ersetzt, die an moderne Kirchenfenster gemahnen? Als Gesellschafts- und Medienkritik funktioniert das im Einzelnen, doch wie kritisch ist der Künstler wirklich, wenn er zugleich einen gesamten Raum von Ikea sponsern lässt? Was gesellschaftskritisch erscheint, ist womöglich nur das Zitat eines kritischen Diskurses, über den sich Jackson geistreich lustig macht. In die falsche Richtung zielen mag die hochtrabende Behauptung des Ausstellungsflyers, das Werk kreise um die Entwicklung der menschlichen Zivilisation und die Fragen des Lebens und Zusammenlebens im 21. Jahrhundert. Nicht, dass Jackson diese Themen unangetastet liesse – die brüchigen acht Astronauten, welche einen Sarg mit menschlichen Überresten tragen, sind wohl das eindrücklichste Beispiel davon – aber was er uns nicht weismachen kann, ist: dass er es ernst damit meint.

Ein Fernsehfilm Und zum Glück rettet dieser Unernst seine Kunst, allen pathetischen Deutungen, die sie provozieren könnte, zum Trotz. Dass die Ironie nicht auf den ersten Blick zu spüren ist, mag dafür verantwortlich sein, wenn ihm Beliebigkeit vorgeworfen wird. Erst, wenn man sich auf den Film einlässt, der im Zentrum der Ausstellung, mitten im erwähnten Ikea-Wohnzimmer, abgespielt wird, stellt sich so etwas wie ein ironisch gebrochener Zusammenhang her. Da wird in der Manier einer reisserischen Fernsehsendung ein Gemisch aus Verschwörungstheorien, wahrer Wissenschaft und hoher Kunst serviert, immer kommentiert von einem besorgt blickenden Moderator. Der Künstler inszeniert sein eigenes Verschwinden und taucht als Geist oder Zombie wieder auf, überall zeigen sich in der Natur anthropomorphe Figuren, insbesondere an Orten historischer Atombombentests, die der verschwundene Künstler wiederum fotografiert haben soll, und irgendwie lässt sich das alles auf die berühmte Kurzgeschichte «Töln, Uqbar, Orbus Tertius» von Jorge Luis Borges zurückführen, weil die Phantasie schliesslich die Realität gebiert und nicht umgekehrt.

Ironische Beobachtung der Beobachtung So abstrus es klingt, intellektuell unterhalten werden wir. Die «Mockumentary» ist eine Erklärung und Dekonstruktion der Ausstellung zugleich. Das fiktive Fernsehprogramm, das – Überraschung! –  «In search of ...» heisst, vereinigt in sich alle Themen der Exponate und bereitet sie so reisserisch wieder auf, dass klar wird: Hier macht sich ein Künstler über seine eigene Kunst, aber zugleich über die Ansprüche ihrer Betrachter lustig. Der Zusammenhang? Es gibt ihn nur als ironische-böse Betrachtung unserer vergeblichen Suche nach ihm. Der Künstler beobachtet uns, wie wir seine Kunst beobachten und macht sich aus beidem gleichermassen einen Spass. Das Tolle daran aber ist, dass er uns mitlachen lässt. Vorausgesetzt, wir lassen uns auf seine Gedankenspiele ein und wollen in seiner Ausstellung weder ein Kuriositätenkabinett, noch ein gediegenes Gesamtkunstwerk sehen. Es ist «A LIFE Odyssee»: Eine ironische Odyssee durch Medien, Kunst und Geschichte der letzten zweitausend Jahre. Entweder man steigt in sein Boot und lässt sich auf das Spiel ein, oder man lässt es bleiben und glaubt, aus der Ferne das Schiff versinken zu sehen – wo es in Wirklichkeit nur abtaucht in die Untiefen des Humors.