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Porträt von Barbara Zürcher, fotografiert von Mischa Christen

01.05.25

Kunst

mit offenem blick

Fast zwei Jahrzehnte hat Barbara Zürcher das Haus für Kunst Uri geleitet – und das hiesige Kulturschaffen geprägt. Ein Abschiedsgespräch.

Noëlle Gogniat (Interview) und Mischa Christen (Bild)

«My Home – My Fire» lautet der Titel der aktuellen Ausstellung im Haus für Kunst Uri. Und ein bisschen wie zu Hause fühlt es sich auch an, als mich Barbara Zürcher durch die Ausstellung führt. In 18 Jahren als Direktorin und Kuratorin am Haus hat sie genau 50 Ausstellungen kuratiert. Gut die Hälfte davon, 8 Jahre und 26 Ausstellungen, habe ich als Aufsicht miterlebt. Ende Mai verabschiedet sich Barbara Zürcher vom Haus für Kunst Uri.

***

Was hat dich so lange im Haus für Kunst Uri gehalten?

Man ist weniger im Haifischbecken als in einer grösseren Stadt und hat viel mehr Freiheiten. In einer anderen Institu-
tion hätte ich wohl die zweiteilige Ausstellung «Die Stadt im Museum» mit Aldo Mozzini nicht so umsetzen können, dass ein Künstler gleich zweimal hintereinander ein Haus bespielt. Inhaltlich hat das Sinn gemacht: Wir wollten thematisieren, dass Stadt Veränderung bedeutet. Dabei wussten wir natürlich nicht, ob das Publikum sich auf Teil zwei einlässt und wiederkommt. Das hat zum Glück funktioniert.

Wenn man so lange an einem Ort ist, kann man eine Handschrift entwickeln, man kann etwas aufbauen und Vertrauen schaffen. Wenn man die Qualität halten kann, darf man sich Experimentelles leisten und Schwieriges wagen.

Wenn du zurückblickst: Was war besonders schön?

Das Spiel mit den so unterschiedlichen Räumlichkeiten des Hauses: Lang/Baumann haben 2015 zum Beispiel ein Erlebnis geschaffen, bei dem man vor dem Eingang in eine dunkle Röhre stieg und darin eigentlich durchs Haus lief, aber nichts davon sah, und am Ende wie ausgespuckt draussen im Museumshof stand. Die begehbare Installation «Beautiful Tube #4» bemächtigte sich des ganzen Gebäudes.Auch die zahlreichen Kooperationen mit anderen Institutionen haben mir besonders Freude gemacht.

Und natürlich die Arbeit mit den Kunstschaffenden: Planung, Aufbau und Einrichtung von Ausstellungen waren für mich das Grösste. Schön war aber auch die intensive Arbeit im kleinen Team, immer wieder mit Co-Kurator:innen und meinen Techniker:innen. Es ist ein grosses Privileg, das 18 Jahre lang zu machen.

Was war herausfordernd?

Dass wir keine Laufkundschaft haben wie an urbanen Orten. Wir müssen die Menschen zu uns holen. Es soll ein Haus für die Urner Bevölkerung sein, aber nicht nur. Es ist ein Spagat, das Programm so zu gestalten, dass es für die Urner:innen genauso spannend ist wie für Auswärtige. Ein Beispiel war die Ausstellung von Wiedemann/Mettler, die 2014 das ganze Haus in eine Arche Noah verwandelt haben. Sie haben das Haus für Kunst Uri nicht mit ihren Werken bespielt, sondern mit 160 ausgestopften Tieren. Das Duo hat sich damit auf die Hochwasserkatastrophen von 1987 und 2005 in Uri bezogen. Das war für die Urner Bevölkerung interessant und hat gleichzeitig ein nationales Publikum und die Sammler:innen der Werke von Pascale Wiedemann und Daniel Mettler erstaunt.

Wie verhält es sich mit der Finanzierung?

Die Finanzierung und die Erweiterung des Netzwerks sind schwieriger als in der städtischen Umgebung. Das Sponsoring war bis heute eine Herausforderung. Ich habe jeweils ein kleines Budget, das mich einschränkt, aber auch dazu zwingt, nachhaltig zu sein. Peter Regli hat sich für die aktuelle Ausstellung zum Beispiel am Material bedient, das ich über die Jahre «gehortet» habe, und seine schlichten Sockel daraus gebaut.

Welche Rolle spielt die mediale Berichterstattung für ein Museum wie das Haus für Kunst Uri?

Wir haben im Urnerland zum Glück noch zwei Zeitungen, die breit über Kultur berichten. Das Feuilleton hat schweizweit abgenommen. Man spürt, dass der Kulturjournalismus in einer Krise steckt. Es ist nicht zu unterschätzen, was es bedeutet, wenn breit über eine Ausstellung berichtet wird.

Wie hat Altdorf vom Haus für Kunst Uri unter deiner Leitung profitiert?

Überhaupt ein Haus für zeitgenössische Kunst zu haben, ist für einen kleinen Ort wie Altdorf eine Bereicherung. Ich bin dankbar, dass wir eine so aktive Kunstvermittlung haben, das ist wichtig in einem Haus in der Peripherie. Es ist entscheidend, dass wir in der Schule visuelles Lesen lernen, nicht nur Lesen und Schreiben, sondern auch Hinschauen.

Das umfassende Werk des Urner Malers und Dichters Heinrich Danioth hast du in den Wechselausstellungen immer wieder einbezogen. Wie hat sich dein Blick auf sein Werk verändert?

Er hat sich vertieft. Danioth war unglaublich vielfältig, was mich fasziniert. Und mir gefällt es, damit zu experimentieren. Sein literarisches Werk beispielsweise habe ich erst mit der Zeit kennengelernt. Der Regisseur Livio Beyeler hat ein verschollen geglaubtes Theaterstück aufgespürt, das nur noch in Fragmenten vorhanden ist. Daraus haben wir eine Ausstellung mit Theateraufführungen gemacht.

Ich mag die Titel deiner Ausstellungen sehr, das Prägnante, Humorvolle, das viele Bezüge schafft. Welchen Titel würdest du deiner Arbeit und Zeit in Altdorf geben?

Vielleicht «Erzählungen»? Ich habe versucht, für die Besucher:innen eine gewisse Dramaturgie erlebbar zu machen, und postuliert, dass sie ihren Augen trauen, nicht gleich den Saaltext in die Hände nehmen, sondern einfach schauen, mit offenem Blick. «Offener Blick», das könnte es sein.

Das Klischee, dass zeitgenössische Kunst elitär sei, besteht immer noch. Diese Berührungsängste habe ich abzubauen versucht. Kinder haben sie nicht. Gerade war eine Klasse aus Göschenen da, und ihre Reaktion auf Reglis Arbeiten im Pavillon war ein staunendes «Wow». Dieses Staunen will man den Menschen möglichst lange ermöglichen und zu bewahren helfen. Das ist mein Anliegen: nicht belehren, sondern visuell betören und verführen.

«Das Haus soll Welten öffnen», hast du vor einigen Jahren in einem Interview gesagt. Ein Kunsthaus lebe von den Debatten, die es auslöst. Auf welche Debatte bist du besonders stolz?

Auf jene zu «Dall’altra parte», die Ausstellung über den Sommer 2016 mit drei Stationen: Altdorf, Göschenen und die Gotthard-Passhöhe, die fundamentale Themen wie Heimat, Migration, Mobilität und Repräsentation von Landschaft thematisiert hat. Da hat man die Öffnung des Hauses mitbekommen und die Verbindungen, die zeitgenössische Kunst zur Landschaft schafft.

Und etwas, das du gerne noch angestossen hättest?

Natürlich hätte ich gerne noch mehr Leute, die nicht unbedingt Zugang zur zeitgenössischen Kunst haben, ins Haus geholt. Ich wollte immer, dass alle kommen. Beispielsweise, dass die Mathematiklehrerin merkt, dass man zu Peter Regli Mengenlehre machen könnte.

Ich habe das Gefühl, dass die Politik noch stolzer sein könnte auf die Kultur und vermehrt Präsenz zeigen könnte, nicht nur an den gängigen Volksfesten.

An deinem Zehn-Jahr-Jubiläum hast du gesagt: «Aufhören muss ich dann, wenn ich nicht mehr neugierig bin.»

Jetzt würde ich sagen, man muss dann aufhören, wenn es super ist. Nicht erst, wenn es anfängt, sich zu wiederholen und aus der Arbeitserfahrung heraus repetitiv wird. Es ist ein Privileg, wenn man in einem guten Moment loslassen kann.

Wenn du aus allen Ausstellungen ein Werk auswählen, einpacken und mitnehmen könntest …

Als Ausstellungsmacherin verliebe ich mich immer wieder in die Werte und Werke der Kunstschaffenden, mit denen ich gerade zusammenarbeite. Darum gibt es keine Lieblingsausstellung, keinen Lieblingskünstler oder Lieblingskünstlerin, kein Lieblingswerk. Eine Amour fou und dann kommt die nächste.

Zum Abschluss: Warum Peter Regli?

Peter Reglis Ausstellung ist ein schönes Schlussbouquet. Ein grosser Künstler, der Urner Wurzeln hat und immer in die Welt hinausging und -geht. Diese Welt findet man in seinem Werk wieder, es ist unglaublich vielfältig.

Und jetzt?

Jetzt freue ich mich auf einen schönen Sommer, viel Lesezeit und darüber, Ausstellungen von Kolleg:innen anschauen zu gehen, ohne über ein Ausstellungsprogramm nachzudenken, mit freiem Blick. Ich bin mein Leben lang gependelt und freue mich darauf, Zürich als Flaneuse zu entdecken. Und darauf, alles setzen zu lassen. Den roten Faden sieht man immer erst im Nachhinein.

***

Im Urner Dialekt gibt es ein Wort, um «Auswärtige» von «Hiäsigen» zu trennen: «Lachonige» – jene, die man kommen liess, um zu arbeiten. Barbara Zürcher ist das Antonym dazu. Sie hat durch zeitgenössische Kunst stetig Verbindungen geschaffen.

Sie ist längst «eine von uns» und wird, wie alle Urner:innen, die «auswärts» wohnen, immer wieder zurückkehren, denke ich schmunzelnd, als wir uns verabschieden.

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