01.03.24
Literatur
Können ist ein Kontinuum
Kultursatire oder Kifferkomödie? Das neue Buch von Béla Rothenbühler entzieht sich einer klaren Kategorisierung und etabliert eine Klasse für sich.
Franziska Nyffenegger (Text) und Marco Sieber (Bild)
«Polifon Pervers», das hat eigentlich alles im Kunstmuseum Luzern angefangen, wo Chantal und Sabine manchmal hingehen, etwas zugedröhnt natürlich und zur Unterhaltung, weil so ein Kunstmuseum, das gehört letzten Endes auch einfach zur Unterhaltungsindustrie, vor allem im Sommer, wenn sonst nicht viel läuft und … kurz: Dort sind die beiden Freundinnen auf die Idee gekommen, dass sich mit Kunst, mit Performancekunst, mit Theater genauer gesagt – also mit Unterhaltung – ohne allzu viel Aufwand Geld verdienen lässt und dann … doch dazu vielleicht später mehr.
Ich warte also im Café des Kunstmuseums auf Béla Rothenbühler, um mit ihm über sein neues Buch zu reden. Über der Bar steht: «Art is the better life.» Der Cappuccino kostet sechs Franken fünfzig, von Provinz keine Spur, abgesehen von der Aussicht, die heute ausnehmend schön ist. Der Dramaturg, den in Luzern alle kennen – oder wenigstens fast alle –, holt sich einen Kaffee, begrüsst mich und wir beginnen mit dem Gespräch, beide ein wenig nervös. Für ihn ist es das erste Interview zum neuen Buch, für mich das erste Interview mit einem Autor. Vielleicht sind wir beide Hochstapler:innen und darauf angewiesen, dass der:die andere mitspielt.
Zunächst: Herzliche Gratulation zu «Polifon Pervers»! Ich habe die Druckfahne gelesen und dabei immer wieder laut gelacht. Du erzählst eine waghalsige, sehr amüsante Geschichte. Schwergetan habe ich mich allerdings mit dem Dialekt. Warum schreibt einer, der Germanistik studiert hat und Philosophie und offensichtlich ein Sprachvirtuose ist, einen Roman auf Lozärner Tütsch?
Die Sache mit dem Dialekt ist ja eine spezifisch helvetische Sache. Unsere Umgangssprache ist nicht unsere Literatursprache, trotz Jeremias Gotthelf, trotz Pedro Lenz, trotz dem Gesunden Menschenversand. Wir reden im Alltag die eine Sprache, und wenn es um Literatur geht, soll es oms Verrecke eine andere sein. Wir verschenken ein Riesenpotenzial, wenn wir die Umgangssprache nicht auch in der Kunst brauchen. Ich schreibe im Dialekt, weil andere Dinge möglich sind als im Hochdeutschen. Der Dialekt stellt mir zum Beispiel ein anderes Lautinventar zur Verfügung und er bringt mich nahe zu meinen Leser:innen. Kunst braucht auch Dialekt. Das mag zum Lesen ungewohnt sein, aber eine solche Geschichte kann und will ich mit meiner Schnauze erzählen.
Was ist für dich das Spezifische am Lozärner Tütsch?
Ich spreche keine Reinform des Luzernischen. Da sind auch Ausdrücke aus dem Solothurnischen und dem Berndeutschen dabei, ein Gemisch halt. Mich interessiert nicht das Korrekte, sondern das Authentische: die Sprache einer bestimmten Bubble an einem bestimmten Ort. Der Soziolekt quasi. Wie reden die rund Dreissigjährigen aus einer urbanen Kulturbubble heute? Da gehören Fremdwörter ebenso dazu wie Anglizismen.
Öiforii und Läifstäil im Kouwörking Speis!
In meinem Umfeld sagt nun mal keine:r «rüüdig», dafür brauchen wir eher sowas wie «iisi»..
Für deine Band Mehltau schreibst du Lieder auf Hochdeutsch.
Nicht nur! Ich schreibe auch englische und schweizerdeutsche Songtexte. Aber ja, wenn ich selbst singe, dann auf Hochdeutsch. So wird Béla Rothenbühler zu einer Kunstfigur. Ich stehe auf der Bühne und bin ein anderer. In meinen Songtexten beziehe ich mich auf einen anderen Referenzraum, auf einen poetischen Raum, in dem Assoziationen und Gefühle zentral sind. Da brauche ich die Künstlichkeit des Hochdeutschen, während ich beim Geschichtenerzählen die Nähe zum Alltag suche.
Wie einfach oder schwierig war es, nach deinem ersten Roman «Provenzhauptschtadt» ein zweites Buch zu schreiben?
Es war eine Herausforderung. «Provenzhauptschtadt» ist ja eher eine Novelle als ein Roman. Da tauchen nur wenige Figuren auf und die erzählte Zeit ist kurz, knapp ein Monat. «Polifon Pervers» hingegen erstreckt sich über mehrere Jahre, das Personal ist zahlreich und entwickelt sich im Lauf der Zeit. Ich habe rund zwei Jahre am Text gearbeitet und musste mich immer wieder zurückziehen, um in grossen Linien denken zu können. Aber es war auch einfacher als beim ersten Buch. Ich weiss inzwischen, wie ich als Schreiber funktioniere, weiss, dass ich viel runterschreiben, regelrecht rauskotzen muss, um dann zu verwerfen, zu löschen, zu kürzen. Es fällt mir leichter, dem Prozess und meinen Figuren zu vertrauen.
«Wir können alle alles. Vieles nicht besonders gut, einiges aber schon. Wir sollten uns mehr zutrauen. Wir hätten alle mehr Spass.»
Gerade ist in der Literatur viel die Rede von Autofiktion: Schreibende machen ihr Leben, ihren Alltag zum Gegenstand ihrer Romane. In «Polifon Pervers» geht es um Menschen, die Theater machen, die Stücke produzieren, die Fördergelder beschaffen, sich vernetzen und zusammenarbeiten. Es geht also ziemlich genau um das, was du seit 2015 mit dem Kollektiv Fetter Vetter und Oma Hommage machst.
Alles, was ich erzähle, ist frei erfunden. Nichts ist so passiert und keine der Figuren hat ein Gegenüber in der Wirklichkeit. Die meisten der Figuren sind Karikaturen von Facetten meiner eigenen Persönlichkeit. Mir geht es nicht darum, Einzelne zu parodieren, sondern die Kulturlandschaft als Ganzes satirisch zu überhöhen. Klar, ich weiss, wovon ich rede, ich kenne die Theaterszene, ich kenne die geistige Landschaftspflege, wie sie hierzulande gang und gäbe ist, ich musste keine Feldforschung machen, ich bin selbst Teil des Felds. Aber die Geschichte: Fantasie und Fiktion pur.
Über den Inhalt möchte ich hier nicht reden, da wäre die Geschichte gespoilert. Trotzdem die Frage: Worum geht es? Was ist das Thema von «Polifon Pervers»?
Arbeit, Arbeit und Geld, Arbeit und Erfolg, Arbeit als zentrales Element unseres Lebens und unserer Identität.
Eine wichtige Frage ist die des Betrugs und des Bluffs. Der Erzähler sagt am Anfang des Buches, das Hochstaplersyndrom sei die schlimmste Krankheit in der Theaterszene, noch vor dem Alkohol. Wie viel Hochstapler steckt in Béla Rothenbühler?
Viel! Wenn du immer wieder neue Dinge machst, und das machen wir im Theater, führt das automatisch zu Selbstzweifel und zur Frage: Kann ich das überhaupt? Aber insgesamt finde ich die Idee des Hochstapelns ziemlich blöd. Sie setzt voraus, dass es eine Richtgrösse gibt, an der wir messen, was echt ist und was nicht. Dabei geht es doch ums Machen. Das braucht ein wenig Selbstvertrauen, viel mehr nicht.
Der Erzähler sagt dazu etwas, das mir sehr gefallen hat: Können sei ein Kontinuum, keine Frage von Ja oder Nein.
Genau. Wir können alle alles. Vieles nicht besonders gut, einiges aber schon. Wir sollten uns mehr zutrauen. Wir hätten alle mehr Spass.
Wie geht es jetzt weiter?
Eben habe ich erfahren, dass ich an den Solothurner Literaturtagen lesen darf. Grosse Ehre! Die Verfilmung meines ersten Romans nimmt Form an und ich schreibe an zwei neuen Bühnentexten für die Luzerner Spielleute und das Theater Uri.
Dialekt?
Sicher! Doch das wird im Laufe des Jahres auch noch anders. Im Herbst kann ich dank einem Stipendium der Zentralschweizer Kantone vier Monate in Berlin arbeiten. Die Romanidee habe ich schon und schreiben werde ich auf Hochdeutsch.
Da freue ich mich!
Béla Rothenbühler aus Reussbühl ist freischaffender Dramaturg, Autor und Musiker. Seit 2016 arbeitet er unter dem Label Fetter Vetter und Oma Hommage in der freien Theaterszene in und um Luzern.
Das Buch «Polifon Pervers» von Béla Rothenbühler ist im März 2024 beim Verlag Der gesunde Menschenversand erschienen.