03.09.24
Summertime Sadness
Das Crowdfunding ist vorbei, das B-Sides Festival hat die 60 000 Franken reingeholt, die es für das weitere Bestehen dringend braucht. Ist das B-Sides gerettet?
Robyn Muffler (Text) und Nora Nussbaumer (Fotos)
Seit seiner Gründung bewegt sich das B-Sides Festival musikalisch an den Rändern zeitgenössischer Popmusik, eben den B-Seiten, der Rückseite einer Schallplatte, auf die früher das herausfordernde Stück gepresst wurde. Während am diesjährigen B-Sides am ersten Festivaltag nur Schweizer Acts auf der Bühne standen, waren es am zweiten Tag konsequent nicht männliche Frontmusiker:innen. Und das Festival ist cool genug, um dies nicht mal an die grosse Glocke zu hängen.
Für die drei Tage auf dem Sonnenberg sind Helfer:innen jeweils mehr als eine Woche im Voraus vor Ort am Werkeln, sie bauen die Bühnen und dekorieren das Gelände. Die Bars und Essensstände bieten nur lokale Produkte an, auf grosse Sponsorings wird seit jeher verzichtet. Über 400 Helfer:innen greifen dem B-Sides in dieser Zeit unter die Arme. Eine Fülle an Idealismus also, die den Eindruck vermittelt, es gehe hier um mehr als ein Musikfestival.
Allerdings hat das Festival dieses Jahr erneut 25 Prozent weniger Publikum verzeichnet – zum zweiten Mal in Folge. Was 2023 noch mit Rücklagen gestemmt werden konnte, war dieses Jahr nicht mehr auffangbar. Die Reserven waren aufgebraucht, die laufenden Kosten konnten nur knapp gedeckt werden. Dann die kurzfristige Lösung: Ein Crowdfunding sollte das B-Sides davor bewahren, Geschichte zu werden. Anfang August konnten damit die 60 000 Franken reingeholt werden – doch es war knapp, zwei Tage vor Schluss fehlten noch 5000 Franken. Die Frage bleibt, ob sich das Festival auch nachhaltig wieder auf sichere Beine stellen lässt.
«Die 60 000 Franken, die über das Crowdfunding reingekommen sind, sind für die Planung unverzichtbar. Wir haben laufende Lagerkosten für unsere Infrastruktur, Angestellte, für deren Lohn wir aufkommen müssen.»Francesca Blachnik, Vorstandsmitglied
Denn, mal ehrlich: Das Geld war schon immer knapp. Das Wetterglück existenziell, das Programm auch Geschmackssache. Was also hat sich verändert, beim B-Sides konkret und in der Festivallandschaft, in die es eingebettet ist? Ist womöglich all das, was die progressive Ader des B-Sides über Jahre ausgemacht hat, längst State of the Art geworden? Oder gibt es einen Zielkonflikt – weil jene Generation, die über Jahre ehrenamtlich für das Festival gearbeitet hat, langsam wegfällt und keine neue nachrücken will?
Gute Stimmung zahlt keine Rechnungen
Die Geschichte vom B-Sides, und ganz besonders jene der letzten Ausgabe, liesse sich auch anders erzählen. Eigentlich war das Festival erfolgreich – zumindest solange man von den Finanzen (und dem miesen Wetter) absieht; die Stimmung auf dem Berg war ausgelassen, die Musik sorgfältig kuratiert, das Publikum von angenehmer Grösse. Drei Tage, an denen Musik vergnüglich über den See schallte – zeitgleich übrigens zur Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock, deren Fensterspiegelungen in der Ferne aufblitzten. Das Programm war so reichhaltig, dass man über Stunden damit beschäftigt sein konnte, von Bühne zu Bühne zu eilen, um sich von einer Ambient-Grime-Performance eines Iceboy Violet einlullen zu lassen, zu Myss Ketas Beats zu tanzen oder in Samuel Savenbergs fragiler Soundlandschaft zu schwelgen. Über die Jahre hinweg war das B-Sides nicht nur für die Schweizer Musikszene wichtig, sondern holte auch internationale Grössen auf den Berg, darunter Bands wie Japanese Breakfeast, Tocotronic, Eartheater oder auch Kae Tempest und Agnes Obel. Einige, die sonst kaum in Luzern landen würden.
Bis vor wenigen Jahren waren die Festivalpässe oft schon Monate im Voraus ausverkauft.
Während sich das B-Sides 2022 auf Anhieb von der Pandemie erholen konnte, kam der Publikumseinbruch 2023 unerwartet, wie Francesca Blachnik, Vorstandsmitglied des Festivals, erzählt. Auch 2024 war das Festival defizitär. «Die 60 000 Franken, die über das Crowdfunding reingekommen sind, sind für die Planung unverzichtbar. Wir haben laufende Lagerkosten für unsere Infrastruktur, Angestellte, für deren Lohn wir aufkommen müssen.»
Ein Drittel weniger Publikum
Dem Festival ist mit den Ausgaben 2023 und 2024 knapp ein Drittel des bisherigen Publikums abhandengekommen. Für Francesca Blachnik und Benedikt Geisseler, Mitglied der Programmgruppe, ist klar: Die Gründe dafür sind vielschichtig. Einige davon betreffen spezifisch das B-Sides, bei anderen wiederum handelt es sich um einen gesellschaftlichen und ökonomischen Wandel, der die gesamte Kultur- und Festivallandschaft herausfordert. Zu Letzterem gehören die höheren Kosten in der Branche; die Gagen der Künstler:innen sind gestiegen, ebenso für die Technik und der Warenaufwand für Getränke und Essen. Die Anforderungen für Sicherheitsmassnahmen haben zugenommen, und Tickets werden kurzfristiger gekauft, was die Planung erschwert und den Vorverkauf wetteranfällig werden lässt. Hinzu kommt die wachsende Schwierigkeit, nicht kommerzielle Festivals durch öffentliche Gelder und Stiftungen mitzufinanzieren. Die Geldtöpfe sind in den letzten Jahren oft unverändert geblieben, die Nachfrage nach Kulturgeldern aber insgesamt gestiegen. Und obschon das Festival von der Gemeinde Kriens mit 22 500 und von der Stadt Luzern mit 12 000 Franken unterstützt wird, bleibt es grösstenteils eigenfinanziert.
Fürs B-Sides besonders vertrackt: Es wird nicht in den erlauchten Kreis der vom Lotteriefonds (und damit indirekt vom Kanton) geförderten Festivals aufgenommen, aus dem etwa das Festival Strings mit jährlich 120 000, das Jazzfestival Willisau mit rund 60 000 oder das Stimmen Festival Willisau mit 18 900 Franken unterstützt werden. Auch nach mehrmaligem Anklopfen wurde das B-Sides abgewiesen. Eine Ausweitung werde zwar geprüft, hiess es. Aber vorerst bleibt die Tür zum Lotteriefonds geschlossen. So fliesst der einzige kantonale Zustupf indirekt über den regionalen Förderverband auf den Sonnenberg: In diesem Jahr sind es 16 000, im nächsten dann bloss noch 13 000 Franken. Das Überleben des B-Sides sichern diese Beträge nicht.
Kommt hinzu, dass das Festivalangebot im alternativen Bereich in den letzten zwanzig Jahren, seit es das B-Sides gibt, schweizweit stark gewachsen ist. Das macht es nicht leichter, die Menschen auf den Sonnenberg zu locken.
Wo bleibt die nächste Generation?
Der Publikumsrückgang hat nicht zuletzt auch mit einem Generationenwechsel beim Publikum zu tun. «Die Besucher:innen, die früher alle drei Tage am Festival waren, kommen nun vielleicht noch an einem, sind weggezogen, haben Kinder bekommen», so Blachnik. Um den teilweisen Wegfall des Stammpublikums zu kompensieren, das seit der Gründungszeit ans Festival kam, braucht es eine nächste Generation, die nachzieht. Das gilt auch für die Organisation des Festivals: Es braucht Leute, die bereit sind, immense Arbeit ins Projekt zu stecken.
Dessen sind sich die B-Sides-Macher:innen, das wird im Gespräch deutlich, mehr als bewusst. Aktiv versuchen sie, den Wandel mitzutragen. Indem sie etwa mit der regionalen Jubla zusammenarbeiten oder früh Leitungspositionen einzelner Ressorts an junge Menschen vergeben. «Wir achten darauf, dass wir in unserem Team neue, jüngere Personen einbeziehen», sagt Blachnik. Eine zusätzliche Herausforderung: Gerade in den jüngeren Generationen beobachtet Geisseler eine geringere Bereitschaft für freiwilliges Engagement. Auch wenn es bisher dann doch jedes Jahr irgendwie geklappt hat: Helfer:innen zu finden, werde immer schwieriger. Und das B-Sides benötigt eine Menge. Diese zu akquirieren, ist herausfordend, wie auch ein Aufruf im Juli vom Gratis-Openair Funk am See gezeigt hat, das aufgrund mangelnder Helfer:innen kurz vor einer Absage stand.
Wie viele andere ist auch das B-Sides aus ehrenamtlicher Arbeit heraus entstanden – und bis heute darauf angewiesen. Lediglich 135 Stellenprozent sind bezahlt, während rund 400 Personen pro Ausgabe ehrenamtlich fürs Festival tätig sind. In Zukunft würden noch mehr gefragt sein, so Blachnik: «Wir können uns das aktuelle Stellenpensum nicht mehr leisten und werden überall Abstriche machen müssen, selbst die verbleibenden Pensen werden reduziert.» Diese würden auf insgesamt 90 Stellenprozent gekürzt, führt Geisseler aus: «Die verbleibenden Stellen sind die, die es braucht, um das Festival in dieser Grössenordnung auf die Beine zu stellen.» Die vor Jahren gewagten, zaghaften Schritte hin zu mehr Institutionalisierung (und damit Sicherheit) werden damit rückgängig gemacht.
Ein grosser Teil der Arbeit lastet damit wieder auf den Schultern ehrenamtlich tätiger Personen. «Solange die Kultur ist, wie sie ist, brauchen wir eine gewisse Ehrenamtlichkeit», sagt Geisseler. Da diese abnehme, werde die Durchführung nicht kommerzieller Festivals erheblich erschwert.
Das Festival- und Clubdarben in der Schweiz wurde zuletzt in einer Reihe von Medienberichten thematisiert. Demnach lässt sich festhalten: Jüngere Menschen gehen seltener in den Ausgang, sie suchen weniger den Exzess, sie konsumieren weniger Alkohol – was nicht zuletzt damit zusammenhängen dürfte, dass generell alles teurer geworden ist. Die Entwicklung trifft das B-Sides im Herzen: Knapp drei Viertel der Einnahmen werden durch Ticketverkäufe sowie den Verkauf von Essen und Getränken erwirtschaftet.
Experimenteller Shift
Wurde in den vergangenen Jahren in Luzern und Kriens über das B-Sides diskutiert, ging es dabei in erster Linie ums Programm. Die gespielte Musik sei zu nischig, zu wenig zugänglich, es fehle das Tanzbare, war dann nicht selten zu hören.
Tatsächlich hat sich das Festival mit der Ausgabe 2022 in eine experimentellere Richtung entwickelt. Ausschlaggebend dafür war ein Wechsel im Programmteam. «Dass der Wechsel auch einige vor den Kopf gestossen hat, können wir nachvollziehen», sagt Blachnik. «Es gab einen Wechsel, und ein solcher braucht eine gewisse Anpassungszeit.» Das B-Sides hat schon immer aus einem Publikum bestanden, das Musik, Party, gute Stimmung und Begegnung unterschiedlich priorisierte – oft zum Leidwesen von Bands, die vor schnatterndem Publikum spielen mussten. Zum Interessenkonflikt meint Benedikt Geisseler, dass dieser das B-Sides schon lange begleite: «Man muss akzeptieren, dass am B-Sides ein grosser Teil nicht nur wegen der Musik da ist, und diese Menschen müssen und wollen wir auch abholen.»
Wie gross der Einfluss des Programms aufs Festival ist, zeigte der wohl einzige Patzer im diesjährigen Booking: das Konzert des Londoner Rappers Gaika am Samstagabend auf der Hauptbühne. Der Sound war abweisend (hat die Person am Schlagzeug gewusst, was sie macht?), die Stimmung kam nicht auf. Noch vor dem Ende des Konzerts war das Gelände leer und das Publikum bereits auf dem Abstieg. Der Moment steht vielleicht symptomatisch für den Spagat, den das B-Sides Jahr für Jahr wagt: Es bucht einen gewagten Headliner, der – gemäss musikalischen Vornoten – aus der Nische heraus total einschlagen könnte. Dann stellt er sich aber als Programmpatzer heraus, der die Leute zur Unzeit vom Berg und damit viel zu früh von den B-Sides-Bars und -Essensständen vertreibt.
Wäre man ein Mainstream-Festival mit finanzieller Schlagkraft, könnte man als Headliner Bands mit einer gewissen Garantie engagieren: für Ticketverkäufe und saubere, mehrheitsfähige Bühnenshows. Das ist man jedoch nicht und sollte man als Festival namens B-Sides auch nie sein wollen. Wie aber lässt sich trotzdem das eigene Überleben sichern?
Wachsende Konkurrenz
Das Biotop, in dem ein Festival wie das B-Sides bis anhin existiert, ist und bleibt ein wandelbares. Die Grenzen zwischen Alternativkultur und Mainstream: Sind sie heute wirklich noch trennscharf zu ziehen? Was einst einzigartig war, etwa die betonte Regionalität jeglicher Konsumprodukte, ist heute Standard. Oder, wie Benedikt Geisseler sagt: «Die Frage ist halt auch: Wieso bezahlt man für drei Tage auf dem Sonnenberg, wenn man kurz darauf unten in der Stadt zehn Tage lang ein Gratisfestival angeboten kriegt, bei dem inzwischen zunehmend alternativ programmiert wird?» Er meint damit das Luzern Live, das sich als Blue-Balls-Nachfolge neu ausgerichtet hat. Die Rapperin KT Gorique, die Indiebands Sirens of Lesbos wie auch Malummí vom Luzern-Live-Programm haben in den letzten Jahren auch schon auf dem Sonnenberg gespielt. «Auch wenn solche Events wichtig für die Stadt Luzern sind, um die Livemusikkultur regional zu verankern: Um sich von Festivals wie dem Luzern Live abzugrenzen, wurde es beim B-Sides in der Tendenz dann nochmals experimenteller», so Geisseler.
«Um sich von Festivals wie dem Luzern Live abzugrenzen, wurde es beim B-Sides in der Tendenz nochmals experimenteller.»Benedikt Geisseler, Mitglied Programmgruppe
Und Festivals werden weiterhin verschwinden. Die eigentliche Frage also ist, was es braucht, um sich als B-Sides in diesem herausfordernden Umfeld zu behaupten. Francesca Blachnik und Benedikt Geisseler sprechen vermutlich für ihr ganzes Team, wenn sie sagen, dass sie die gegenwärtige Situation auch als Möglichkeit verstehen – und versuchen müssen, ihr Festival neu zu denken.
Die Diskussionen darüber, in welche Richtung das B-Sides sich entwickeln soll, sind nun angelaufen. Das Team scheut nicht davor zurück, jeden nötigen Stein umzudrehen und sich den unvermeidlichen Fragen zu stellen. Was macht das Festival im Kern aus? Und wie lässt sich die Idee vom B-Sides erhalten, während wohl auf manches verzichtet und Liebgewonnenes losgelassen werden muss?
Das B-Sides war immer schon ein Ort mutiger Entscheidungen, der anderen aller Gemütlichkeit zum Trotz einen Schritt voraus war. Und mit diesem Selbstverständnis, so ist zu hoffen, wird es auch die Herausforderungen der Gegenwart angehen. Sich nötigenfalls an den richtigen Stellen neu erfinden. Viele Liebhaber:innen mögen in den letzten Jahren nicht gespart haben mit ihrer Kritik – aber im entscheidenden Moment waren sie da, um dem B-Sides zur Seite zu stehen. Weil es offensichtlich eben immer noch mehr ist als ein Musikfestival.