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Bild von To Athena, fotografiert von Ben Flumm

07.11.23

Musik

Risse im Film

Das Leben als schlechter Film – und wir sind mittendrin. Das neue Album von To Athena ist ein Versuch, endlich Regie zu übernehmen.

Anna Girsberger (Text) und Ben Flumm (Bild)

Die Singer-Songwriterin Tiffany Limacher nimmt kein Blatt vor den Mund. Weder im echten Leben noch wenn sie als ihr Alter Ego To Athena auf der Bühne steht. «Bullshit is timeless», singt sie im Stück «The Movie» des gleichnamigen Albums, das im Oktober erschienen ist. Die 29-jährige Musikerin will mit kollektivem und individuellem Schwachsinn aufräumen.

Gedanken zur düsteren gesellschaftspolitischen Weltlage, die Frage nach der eigenen Identität und die Sehnsucht nach kindlicher Sorglosigkeit ziehen sich als Themen durch das Album. «Innere Fragen zu lösen, wenn aussen alles zittert, ist gar nicht so leicht. Dennoch müssen wir Verantwortung übernehmen», findet To Athena. «Ich fühle mich wie in einem schlechten Film und frage mich, wer bloss sich das alles ausgedacht hat.»

LIEBER SINGEN ALS GEIGE SPIELEN

Aufgewachsen in einer Familie von Geigenbauer:innen, studiert die gebürtige Luzernerin nach dem Gymnasium Pop an der Zürcher Hochschule der Künste. «Ich konnte viel vom Studium profitieren. Das Geschlechterverhältnis war damals leider noch eine kleine Katastrophe», merkt To Athena an. «Ich war die einzige Frau im Studiengang, und natürlich war ich als einzige Frau Sängerin, nicht Instrumentalistin. So wurde dieses Klischee erfüllt.» Als Corona den Präsenzunterricht grösstenteils verunmöglichte, unterbrach sie das Studium, um ihr erstes Album «Aquatic Ballet» zu produzieren. Im Gegensatz zum neuen Album war damals noch kein Label in die Produktion und Vermarktung involviert. 

Trotzdem wurde das schweizerdeutsche Stück «Angscht» mehrere hunderttausend Mal gestreamt – überraschenderweise vor allem im Ausland. «Ich hätte nicht gedacht, dass Schweizerdeutsch eine solche Reichweite haben kann. ‹Angscht› wurde anfänglich mehr in Deutschland und der Türkei gestreamt als in der Schweiz».

Die Lieder der Sängerin entstehen grösstenteils am Klavier. Mit dem Instrument musste sie erst wieder Frieden schliessen, denn als Kind hatte sie den Klavierunterricht eher widerwillig besucht. «Ich habe oft absichtlich die Noten zu Hause ‹vergessen›». Trotz der Profession ihrer Eltern wurde daheim eher Italo-Pop mit Synth-Sounds gehört als klassische Musik mit Streichinstrumenten. Vielleicht widmen sich Limacher und ihre drei Schwestern deshalb lieber dem Gesang, als selbst Geige zu spielen.

MEHR SCHEIN ALS SEIN

Neben Schweizerdeutsch schreibt und singt To Athena auf Englisch. «Lustigerweise fällt es mir im Englischen leichter, mich immer wieder aufs Neue in meine Lieder zu versetzen.» Es lasse mehr offen und biete Schlupflöcher. «Auf Schweizerdeutsch fühle ich mich oft sehr durchsichtig.» Schweizerdeutsch wirkt wohl, da es To Athenas Mutterspracheist, um einiges direkter. «Mir fällt es oft leichter, mich zu verstellen, als ich selbst zu sein. Aber ich mag mich nicht mehr verkleiden.» Im neuen Song «Master of Disguise» thematisiert sie dieses Sich-Verstellen und die Angst, nicht mehr zu sich selbst zurückzufinden. Wer ein Mensch ohne äussere Erwartungen und Projektionen noch ist, wird im Stück «Weri Be» infragegestellt. To Athenas Texte wirken auf den ersten Blick lieblich, haben allerdings oft einen zynischen Unterton und hinterlassen einen bittersüssen Nachgeschmack.

Mit seinem konzeptuellen Mehr Schein-als-Sein-Charakter erinnert das neue Album an die goldene Hollywood-Ära der 1940er- und 1950er-Jahre. Ursprünglich sollte «The Movie» ein vollständig visuelles Album und nur in Kinos aufgeführt werden. Dies sei ein überhöhtes Ziel gewesen. «Ich bin manchmal einfach grössenwahnsinnig», sagt Limacher und lacht. Die Plattentaufe am 22. Oktober fand trotzdem in der Kinobar Bourbaki statt und war schon im September ausverkauft. Im November folgen weitere Konzerte in Deutschland und der Schweiz.

ARBEITEN, UM ZU ARBEITEN

To Athenas Band umfasst neun Musiker:innen, darunter eine Cellistin, eine Violinistin und eine Bratschistin. Vielleicht ist Tiffany Limacher vom Geigenbau doch nicht ganz unbeeinflusst geblieben. Den ätherischen Gesang untermalen Harfe, Keys, Schlagzeug und Gitarre. Finanziell zahlt sich das Projekt bisher noch nicht aus. «To Athena basiert auf viel Wohlwollen und einem wahnsinnig unterstützenden Freundes- und Familienkreis. Das Ziel wäre natürlich, dass alle Beteiligten damit Geld verdienen.» 

Das Scheinwerferlicht täuscht wie so oft darüber hinweg, wie pickelhart die Musikindustrie ist: «Lange konnte ich mich nur durch mein Pensum als Gesangslehrerin finanzieren.» Das Projekt To Athena wirkt wie ein immenser Kraftakt, der zeitweise an der Gesundheit der Musikerin zehrt. «Nach der Veröffentlichung von ‹Aquatic Ballet› war ich fix und fertig. Davon musste ich mich erst erholen.» Seit der Veröffentlichung dieses ersten Albums habe sie gelernt, Hilfe anzunehmen und Kontrolle abzugeben. Finanzielle und damit ebenfalls seelische Entlastung bietet ein Stipendium: «Endlich steht To Athena im Vordergrund, und ich darf mich zu hundert Prozent darauf konzentrieren. Dafür bin ich dankbar.»

Im Hintergrund bleibt ihr ein unangenehmes Pfeifen im Ohr, ein Tinnitus. Er ist das Überbleibsel der vorangegangenen Überanstrengung; wie ein Soundtrack im falschen Film und eine leise Erinnerung daran, wie es vielen Musiker:innen heutzutage geht. Um zu arbeiten, wird gearbeitet. Die allgemeine Hoffnung: ein Kulturwandel in der Industrie.

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