30.09.24
Poster Boy
Der Grafiker Erich Brechbühl arbeitet für internationale Kund:innen wie Nike, Apple und «Die Zeit». In Luzern wirkt er als Netzwerker und Nachwuchsförderer. Ein Porträt.
Franziska Nyffenegger (Text) und Sam Aebi (Bilder)
Vor dem Bourbaki-Panorama stehen Busse, «Success Travel» sagt die Aufschrift, Reisende aus Asien steigen aus und beginnen zu fotografieren. Wenige Schritte von dem touristischen Tumult entfernt befindet sich der Arbeitsplatz von Erich Brechbühl. Er ist dank einem grossen Plakat auch ohne Ortskenntnisse leicht zu finden. «Dear tourists, the Lion Monument isn’t here!» steht darauf und dass sich in dem sorgfältig renovierten Stadthaus aus der Gründerzeit seit 2003 die Ateliergemeinschaft Mixer befindet, eines der vielen Kinder von Brechbühl.
Noch kenne ich ihn, den in Luzern alle kennen, nur aus Erzählungen. Ein Tausendsassa sei er, höre ich, einer, der so viel anreisst und macht, dass sein Tag wohl mehr als vierundzwanzig Stunden haben muss, ein umtriebiges und unermüdliches Arbeitstier und ein Fixstern, wenn es um Grafik in der Zentralschweiz geht, zudem international gut vernetzt. Seine Website macht schnell deutlich, wofür sein Herz schlägt: das Plakat im grossen Format. Wikipedia beschreibt ihn als Plakatkünstler, eine Bezeichnung, mit der er nicht unbedingt einverstanden ist. «Ich bin ein Macher, ein Dienstleister, ein Gestalter und kein Künstler», erklärt er mir gleich zu Beginn unseres Gesprächs. «Mich interessiert es, von Kund:innen formulierte Probleme zu lösen. Ich finde es spannender, in fremde Welten einzutauchen, als im eigenen Sumpf zu verschwinden.»
Wir sitzen im hinteren Teil des ehemaligen Ladenlokals und trinken Kaffee aus einer Kolbenmaschine. Im vorderen Teil füllen grossformatige Bildbände die hohe Wand, Drucksachen stapeln sich neben Stehpulten und Marcel, eines der Ateliergspändli, platziert Buchstaben auf einem grossen Bildschirm. Alles in diesem Raum erzählt von der Freude an guter Gestaltung. «Davon kann es nie genug geben!»
Machen statt motzen
Was sein Interesse am Design von Bildflächen geweckt habe, wisse er nicht mehr, es habe halt irgendwie angefangen, vermutlich in der Oberstufe, als er den Umschlag für eine Publikation der Schule entwerfen durfte, eine sehr grafische Lösung mit einer klassischen Bauhaus-Typografie sei es gewesen, die ihn in ihrer Präzision und Modernität heute erstaune. Vom Vater, einem Bauingenieur, hat er gelernt, was ein Rapidograph ist, ein Tuschestift für technische Zeichnungen, und wie man damit umgeht. Er sei kein schlechter Schüler gewesen, nur die Noten waren nie besonders gut, und nach dem neunten Schuljahr habe er genug gehabt, er habe arbeiten wollen und Sachen machen, handfeste Sachen. Die Schule hat ihm seither nie gefehlt, und dass er heute häufig Vorträge hält, kommt ihm manchmal ein wenig komisch vor.
1977 geboren und in Sempach aufgewachsen, lässt sich Brechbühl in einer Luzerner Druckerei zum Schrift-
setzer ausbilden, ein technischer Beruf, der sich in den 1990er-Jahren rasant verändert und kaum Spielraum für eigene Einfälle bietet. Solche aber hatte er schon immer viele. Als Dreizehnjähriger gründet er mit ein paar Kollegen eine Filmgruppe – sie produzieren Kurzfilme und gewinnen Preise – und ein paar Jahre später den Sempacher Konzertkeller «Im Schtei», für den er nach wie vor die Plakate gestaltet. «Wir waren jung und es gab im Städtli kein eigentliches Kulturangebot, also haben wir eines gemacht. Machen statt motzen: Das ist bis heute mein Motto!»
Nach der vierjährigen Grundausbildung führt ihn ein Zufall ins Atelier von Niklaus Troxler. Er zeigt dem Grandseigneur der Schweizer Plakatgestaltung seine Mappe und bekommt eine der begehrten Lehrstellen, auch weil er technisch versiert ist und vertraut mit den damals noch neuen digitalen Entwurfswerkzeugen. «Ich hätte diese Lehre in drei Jahren abschliessen kön-
nen, aber das hätte mir nicht gereicht. Grafiker:in zu werden braucht Zeit. Du musst dich entwickeln können, lernen allein genügt nicht.»
Buchstabenbilder
Mit Troxler bleibt er eng verbunden. Der Lehrmeister und Mentor befreit Brechbühl von der Buchstabenehrfurcht, die ihm in der Druckerei eingetrichtert wurde, denn die klassischen Regeln der Typografie gelten im Plakat nicht. Hier wird der Buchstabe zum Bild. Am schönsten sei es, wenn sich die Botschaft eines Plakats von Weitem vermittle, das Spiel mit der Schrift aber erst von Nahem erkennbar werde, sagt Brechbühl. Seine Entwürfe loten die Grenzen der Lesbarkeit aus und setzen Überraschungsmomente ein. «Niklaus Troxler hat mir beigebracht, dass die grafische Gestaltung immer im Dienst der Idee stehen muss. In der Werbung findest du viele gute, aber meist schlecht umgesetzte Ideen, im Graphic Design hingegen viel Umsetzung und selten wirklich gute Ideen. Da könnten die einen von den anderen einiges lernen.»
«Ich bin ein Macher, ein Dienstleister, ein Gestalter und kein Künstler.»
Über dem angeregten Gespräch sind gut zwei Stunden vergangen. Von der Briefmarkengestaltung – auch das hat Erich Brechbühl schon gemacht – kommen wir zur Frage, wie analoge und digitale Werkzeuge zusammenwirken, von dort zum Stellenwert des Plakats in der Schweizer Designgeschichte, weiter zu Aspekten von Druck und Produktion, zur Gestaltung mit nicht europäischen Schriftzeichen und zum Stellenwert einer gestalterischen Handschrift. «Dafür, dass du so dezidiert ein Praktiker sein willst, kannst du recht gut theoretisieren», frotzle ich und Brechbühl lacht ein wenig geniert. Nachdenken über die Entwurfsarbeit sei so uninteressant gar nicht, meint er, und dass es ihn selbst überrasche, wie gut sich sein Tun in Worte fassen lasse. Dennoch: Designhochschulen und Lehraufträge sind ihm suspekt. Er wolle Leidenschaft wecken – Leidenschaft für gute Gestaltung – und das gehe am besten beim Machen.
Halbzeit für die gute Grafik
Erich Brechbühl ist kein Einzelkämpfer. Er ist ein Netzwerker und Teamplayer und vor allem ist er ein Ermöglicher. Austausch und Nachwuchsförderung sind ihm ein Herzensanliegen. Zum Beispiel als Mitgründer des Graphic Design Festival «Weltformat», das Anfang Oktober zum sechzehnten Mal stattfindet. Hervorgegangen aus der Ausstellung «100 beste Plakate», hat sich das Festival inzwischen als Netzwerkanlass mit internationaler Ausstrahlung etabliert. Am Werk ist ein engagiertes Team, das sich laufend verjüngt und offen ist für vieles. Die Entscheidungswege sind kurz und unkompliziert – ein Vorteil der «Provinzhauptstadt» Luzern, wo alle sich kennen und Kollaboration mehr zählt als Kompetition. Eine Idee, zwei, drei Telefonate, und schon steht das Projekt. «Show & Tell» ist ein weiteres von Brechbühl initiiertes Format. Zweimonatlich treffen sich Designer:innen, stellen aktuelle Projekte vor, essen und trinken, intim und freundschaftlich, was in Grossstädten wie Zürich oder Berlin nicht funktioniert hat, wo es häufig um Positionierungen geht und das Vertrauen für einen offenen Austausch fehlt.
Wie lange will er das alles noch machen? Im Herbst wird er zum dritten Mal Vater. An Aufträgen fehlt es nicht, daneben wird die Zeit für all seine ehrenamtlich betreuten Projektkinder knapper. Er sei seit 21 Jahren selbständig und habe also wohl etwa die Hälfte seines Berufslebens hinter sich, an spannenden Aufgaben fehle es nicht. Animierte Plakate! Neue Möglichkeiten! Leichte Verschiebungen wird es wohl geben, aber: «Wenn jemand kommt und eine wirklich gute Idee hat, für die sich auch andere einsetzen, bin ich sofort dabei!»