
10.09.23
Musik
Mit feinem Schalk
Seebaden im Winter, Skitouren abseits aller Pisten: Der Schweizer Komponist und Multiinstrumentalist Albin Brun geht lieber unkonventionelle Wege. Ganz besonders in der Musik.
Anna Girsberger (Text) und Markus Wild (Bild)
«Ich bin ein risikobereiter, aber auch ausdauernder Mensch», bestätigt der 64-jährige Albin Brun lachend. «Ohne diese Charakterzüge wäre ich wohl nicht Musiker geworden.» Mit vielseitigen Projekten an der Schnittstelle von Volksmusik, Folk und Jazz hat sich der Tausendsassa in der ganzen Schweiz und darüber hinaus einen Namen gemacht. Musikalische Improvisation lehre ihn immer wieder aufs Neue, was Spontanität bedeute: «Musik macht und hält flexibel.»
DIE SACHE MIT DEM GLÜCK
Im Café Alfred sitzt der gebürtige Luzerner auch bei strömendem Regen lieber draussen. An der frischen Luft fühlt er sich wohler. Soeben ist Albin Brun vom Alpenrausch-Festival aus München zurückgekehrt, wo er Ende Juli mit der Cellistin und Schwyzerörgeli-Virtuosin Kristina Brunner im grössten Kulturzentrum Europas, dem Gasteig, spielen durfte. Seit sechs Jahren probt das Duo wöchentlich in Luzern. «Mit dem Glück ist es ja so eine Sache. Meist merkt man erst retrospektiv, wann und wo man glücklich war. Bei Proben mit Kristina ist es anders, da spüre ich es immer gegenwärtig, das Glück.» Vor drei Jahren erschien das erste gemeinsame Album «Midnang», diesen Monat folgt nun das zweite: «Innerland».
Der Titel des neuen Albums setzt sich aus Bruns Heimatregion, der Innerschweiz, und Brunners Heimatregion, dem Berner Oberland, zusammen. Das Wortspiel «Innerland» steht ferner für die inneren Seelen-Landschaften, aus denen das Duo seine Kompositionen schöpft. Brun spielt Sopransaxofon, Brunner Cello und beide Schwyzerörgeli. Nebst seinen Hauptinstrumenten setzt Brun in anderen Kontexten – zum Beispiel für Film- oder Theatermusik – oft auch weniger bekannte Instrumente wie Obertonflöten, Duduk, Toy-Piano oder Waterphone ein. Ihn würden vor allem akustische Instrumente interessieren, bei elektronischen fehle ihm der Bezug zur Klangerzeugung und die Sinnlichkeit.
Die Einflüsse des «Innerlands» reichen von Volksmusik aus unterschiedlichen Regionen über Folk und Jazz bis hin zur Minimal Music. Kein Wunder, denn Brun ist ein neugieriger Weltenbummler, der verschiedenste Musik aus nah und fern kennengelernt hat. Neben den meisten europäischen Ländern war er mit Projekten schon in Namibia, Südkorea, Katar und Kirgisistan unterwegs. Während zehn Jahren war er ausserdem mit seiner Band Kazalpin auf Tour, zu der drei Sängerinnen aus Belarus gehörten. Seit einiger Zeit spielt er in der schweizerisch-ägyptischen Formation Ala Fekra der Akkordeonistin Patricia Draeger. Die Formation probte schon zehn Tage auf einer Insel mitten im Nil und durfte unter anderem im Opernhaus in Kairo auftreten. Besondere Bedeutung hat für Brun nebst dem Duo mit Kristina Brunner sein eigenes Albin Brun Quartett, ebenfalls mit Patricia Draeger am Akkordeon, Claudio Strebel am Kontrabass und Markus Lauterburg an Schlagzeug und Perkussion. Regelmässige Proben finden auch in dieser Formation statt.
«Meist merkt man erst retrospektiv, wann und wo man glücklich war. Bei Proben mit Kristina ist es anders, da spüre ich es immer gegenwärtig, das Glück.»Albin Brun
JA-SAGE-CHARAKTER
Die Entscheidung, in seiner musikalischen Laufbahn den Fokus primär auf das Saxofon zu legen, sei eine der wichtigsten überhaupt gewesen. «René Widmer, mit dem ich vor vielen Jahren in der Interkantonalen Blasabfuhr zusammenspielte, war wie ein Mentor für mich. Er sagte damals zu mir: ‹Albin, konzentrier dich auf ein Instrument.› Das war der beste Ratschlag, den ich je bekommen habe. Diese Entscheidung zu treffen, war in einer Zeit, in der ich viele verschiedene Instrumente spielte, sehr wichtig, um tiefer in die Materie einzutauchen. Fokussieren und Selektionieren in einer Welt unendlicher Möglichkeiten, das ist ja überhaupt eine der grossen Herausforderungen unserer Gegenwart.» Diese Herausforderung zu meistern, fällt Albin Brun nicht nur leicht: «Nein» zu sagen, das müsse er noch immer lernen.
Sein Ja-sage-Charakter kann auf den ersten Blick halsbrecherisch und wagemutig wirken. «Manchmal staune ich, dass ich überhaupt noch lebe. In meinem Erlebnishunger habe ich früher oft das Schicksal herausgefordert, gerade auch in den Bergen – zuweilen war auch Leichtsinn im Spiel.» Auf den zweiten Blick erkennt man die unerschütterliche Zuversicht, die hinter seinen Handlungen steckt. Er scheint sich immer wieder blindlings von den Klippen dieses Lebens zu stürzen, doch mit absoluter Ge- wissheit, dass das Wasser darunter schon tief genug sein wird, um ihn aufzufangen. «Das Wichtigste ist Urvertrauen. Es ist das Schönste, was Eltern einem Kind mitgeben können. Ich habe, und dafür werde ich ewig dankbar sein, eine kräftige Portion davon abbekommen.»
Dieses Urvertrauen scheint oberflächlich betrachtet identisch mit Optimismus, doch es besteht ein grundlegender Unterschied zwischen den beiden Begriffen. Während sich positives Denken in die Zukunft richtet, wirkt es, als ob sich Urvertrauen eher auf die Gegenwart beziehen würde. Oder in den Worten des deutschen Philosophen Andreas Tenzler: «‹Alles wird gut›, posaunt das positive Denken. ‹Alles ist gut›, flüstert das Urvertrauen.»
SPRACHE OHNE WORTE
Albin Brun ist nicht nur an Musik, sondern auch an Sprache interessiert. Seine Veranstaltungshinweise verschickt er in Form von Gedichten. Wie Sprache sei auch Musik im Grunde ein Mittel zum Austausch, so Brun. «Ich trete ungern alleine auf. Gemeinsam können Dinge entstehen, auf die man alleine nie gekommen wäre.» Es wird offensichtlich, dass er Musik als gemeinschaftlichen Akt versteht, als zwischenmenschliches Miteinander. Trotz des Vergleichs von Musik und Sprache erläutert er, inwiefern sich die Ausdrucksmittel unterscheiden: «Musik kann Dinge ausdrücken, die mit Worten nicht fassbar sind.» An Abschiedsfeiern werde dies besonders deutlich. Wenn es darum gehe, jemanden für immer zu verabschieden, würden Worte oft nicht ausreichen. In solchen Situationen könne Musik Raum für intensive Emotionen schaffen.
Immer wieder rührt Bruns Musik Menschen auch an «normalen» Konzerten zu Tränen: «Das ist ein grosses Kompliment.» In seiner Musik sollen möglichst alle Emotionen enthalten sein, nicht nur Fröhlichkeit und Unbeschwertheit. Er selbst hat einen leichten Zugang zu seinen Gefühlen. Diese Sensibilität und Verletzlichkeit verleihen seiner Musik eine Tiefe, die spürbar ist. Ausserdem ist Humor, oft in Form von feinem Schalk, ein prägendes Element seines Charakters und seines musikalischen Ausdrucks.
Für seine Kompositionen lässt sich Brun vor allem von der Natur inspirieren. Im Winter geht er auf Skitouren oder gönnt sich ein Bad im eiskalten Vierwaldstädtersee. Allerdings nehme die Musik in den letzten Jahren immer mehr Zeit in Anspruch, so dass das Fahrradfahren, Schwimmen oder Wandern in der Natur oft zu kurz kommt. Schafft er es trotzdem in den Wald, könnte der Vogelkenner stundenlang dem Gesang der Singdrosseln oder dem Rauschen des Windes in den Wipfeln lauschen.
Wer mit Albin Brun spricht, spürt seine Dankbarkeit und Demut. «Ich habe das grosse Glück, seit vielen Jahren mit wunderbaren Menschen Musik zu machen, von denen ich immer noch sehr viel lernen kann.» Dass er das, was er so liebe, zum Beruf machen durfte, dafür sei er enorm dankbar. «Es gab Zeiten, da tat ich mich schwer damit, nichts ‹Handfestes› zu machen. Musik ist ja unglaublich flüchtig – ich versetze bloss Luft in Schwingung. Sich in einer materialistischen Zeit sein Leben lang vorwiegend mit solch immateriellem Gut zu beschäftigen, hat aber eine unbeschreibliche Schönheit. Ich brenne nach wie vor dafür, mit meinem ganzen Wesen.»