Lesen gegen kulturelle Engpässe. Jetzt abonnieren.
  • Lesen
  • Kulturmagazin
  • Literaturpause
  • Abo
  • Inserate
  • Über uns
Illustration von Anja Wicki

30.04.25

Kunst

Make Your Own Museum

Zu wenig Platz biete das Kunstmuseum Luzern für lokale Künstler:innen – das bemängelt ein offener Brief, der im Februar veröffentlicht wurde. Ist die Kritik berechtigt?

Aoife Rosenmeyer (Text) und Anja Wicki (Illustration)

Tourist:innen, die mit dem Zug ankommen, laufen direkt ins Kunstmuseum Luzern. Drehen sie sich um, finden sie sich innert kurzer Zeit in der Sammlung Rosengart. Auch das Bourbaki steht auf der To-do-Liste, die Kunsthalle befindet sich im selben Gebäude. Eine Aussenseiterin könnte den Eindruck gewinnen, dass die Kunst untrennbar mit der Kulturstadt Luzern verwoben ist. Und doch schrieb Mitte Februar eine Handvoll lokaler Künstler:innen einen Brief an das Kunstmuseum und den Vorstand der Kunstgesellschaft. Unter dem Motto #reclaimthemuseum forderten sie mehr Sichtbarkeit innerhalb der Institution. Der Brief wurde online veröffentlicht – bis Ende Februar kamen fast 300 Unterschriften zusammen.

Der Brief bemängelt, dass lokale Künstler:innen zu selten im Programm des Kunstmuseums vertreten seien, und stellt ziemlich harsche Forderungen: zwei Räume im Museum für die Dauer von drei Jahren und ein Budget, das von der freien Szene verwaltet wird. Stephan Wittmer, Künstler, ehemaliger Leiter der Kunsthalle Luzern und einer der Initiant:innen, bezeichnet die Haltung des Kunstmuseums als «unzugänglich». Er will aber kooperativ sein, wenn es um die zukünftige Zusammenarbeit geht. Anfang April fand ein erstes Treffen mit der Kunstgesellschaft statt. «Unsere erste Forderung – Räume, Zeit und Geld – wurde von der Kunstgesellschaft abgelehnt», sagt Wittmer. «Über die zweite, eine mögliche Teilhabe, soll weiterverhandelt werden.» Letzteres wird voraussichtlich nach der GV Ende Mai diskutiert.

Publikum als Leistungsauftrag

Eher ungewöhnlich für eine Institution dieser Grösse hat das Kunstmuseum Luzern eine Verpflichtung zur Förderung der regionalen Kunst. In den Statuten der Kunstgesellschaft Luzern, Trägerverein der Institution, steht, dass «die Belange der zentralschweizerischen Kunst mit besonderer Aufmerksamkeit zu pflegen und angemessen zu berücksichtigen sind». Diesen Auftrag erfüllen vor allem die Ausstellung «Zentral!» und jene, die im Rahmen des Manor Kunstpreises stattfindet. Gelegentlich stehen auch regionale Künstler:innen im Mittelpunkt, letztes Jahr war das zum Beispiel Ugo Rondinone. Die Strategie des Kunstmuseums ist sowohl die Präsentation internationaler Positionen, welche «die Welt nach Luzern» bringen, als auch jener Zentralschweizer Positionen, die «Luzern in die Welt» hinaustragen.

Für die Initiant:innen des offenen Briefs schafft das Kunstmuseum mit diesem zweigleisigen Ansatz ein Ungleichgewicht zugunsten der grossen Positionen. Realistisch betrachtet ist das Kunstmuseum im Vergleich zu anderen Museen ein relativ kleiner Player. Während die Institution 2023 weniger als 50 000 Besucher:innen verzeichnete, waren es im Kunstmuseum Basel 300 000, im Kunsthaus Zürich rund 500 000. Folglich ist es nicht immer leicht, Künstler:innen zu gewinnen, die ein grösseres Publikum anziehen. Doch genau dieses Publikum ist essenziell, um den Leistungsauftrag zu erfüllen und weiterhin öffentliche Fördergelder zu erhalten. Zur Blockbuster-Ausstellung von David Hockney im Jahr 2022 kamen allein 45 746 Besucher:innen. Das zeigt, dass solche Ausstellungen für das Kunstmuseum nicht nur repräsentativ sind, sondern auch überlebenswichtig.

Breiteres Ökosystem

Für den Künstler Sebastian Utzni, der zusammen mit San Keller den Bachelor Kunst und Vermittlung an der Hochschule Luzern leitet, ist Luzern in mehrfacher Hinsicht ein beneidenswerter Standort für Kunstschaffende. Zum einen sind da die geringeren Lebenshaltungskosten einer kleineren Stadt, die dennoch über ein international relevantes Museum verfügt. Zum anderen profitieren sie von der hohen Anzahl an Offspaces und kleineren Institutionen in der Region. Aufstrebende Künstler:innen können in der Szene schnell Fuss fassen und haben gute Chancen, in einer dieser Institutionen auszustellen.

In Anbetracht der Grösse der Stadt und der begrenzten Kulturförderung florieren eine ganze Reihe von Ausstellungsorten. Nach dem Kunstmuseum Luzern ist die Kunsthalle der prominenteste. Es gibt aber auch verschiedene Galerien und Offspaces wie die Edizione Galleria Periferia oder das Sic! Elephanthouse. In der Umgebung befinden sich Institutionen wie die Akku Kunstplattform in Emmen oder das Benzeholz in Meggen. Michel Rebosura, Kurator und Präsident der Kommission Bildende Kunst der Stadt Luzern, weist darauf hin, dass in Luzern ein mittelgrosser Kunstraum fehle: ein Ort – räumlich und vom Ansehen her – zwischen Kunstmuseum und Kunsthalle.

Angesichts dieser vielseitigen Ausstellungsmöglichkeiten: Was steckt hinter der Forderung von #reclaimthemuseum? Laura Breitschmid, die sich hier nicht als Präsidentin der IG Kultur Luzern äussert, sondern als Kuratorin, sagt: «Dieser Moment kann der Anstoss sein für eine gesamtheitliche Betrachtung, was lokalen Künstler:innen fehlt.» Breitschmid merkt aber auch an: «Warum soll das allein die Aufgabe des Kunstmuseums sein? Was sind die Rollen der unterschiedlichen Institutionen?» Als Hauptakteur für Kunst in der Stadt ist das Kunstmuseum ein leichtes Ziel. Allerdings ist die Institution in ein viel breiteres Ökosystem von Kulturorten und -initiativen eingebettet, die unterschiedliche Möglichkeiten bieten. Statt sich also lediglich auf das Kunstmuseum zu beschränken, wie es bei #reclaimthemuseum der Fall ist, könnte die Frage gestellt werden, wie lokale Künstler:innen grundsätzlich mehr Raum erhalten.

Eine Portion Nostalgie

Die Fachleute, mit denen ich zu diesem Thema sprach – zugegeben, eine begrenzte Umfrage –, hielten sich mit öffentlicher Kritik weitgehend zurück. Dennoch äusserten mehrere ihre Verärgerung über die unrealistischen Forderungen und die persönlichen Angriffe auf bestimmte Kuratorinnen. #reclaimthemuseum scheint eine Mischung aus Frustration und eine Portion Nostalgie zu sein. Wenn die Amtszeit von Jean-Christophe Ammann, der das Museum von 1968 bis 1977 leitete, für die Initiant:innen als Blütezeit der zeitgenössischen Kunst in Luzern gilt, wie sie es etwa gegenüber der «Luzerner Zeitung» formulierten, so ist es unwahrscheinlich, dass das Kunstmuseum diese Ära wieder aufleben lassen kann, indem es mehr lokale Künstler:innen zeigt.

Luzern hatte einst das Glück, das Epizentrum einer berauschenden Zeit zu sein, in der eine Handvoll Kuratoren international Wellen schlugen. Heute gibt es jedoch neue Paradigmen und neue Modelle des Ausstellungsmachens, angesichts derer die Figur des Kuratorengenies überholt scheint. Vielleicht empfiehlt sich «Make Your Own Museum», statt auf eine Einladung des Kunstmuseums zu warten.

Wir brauchen dich, weil guter Journalismus wertvoll ist.

Als unabhängiges Magazin sind wir auf deine Unterstützung angewiesen. Dein Abo ermöglicht es uns, hochwertige Inhalte zu erstellen und unabhängigen Journalismus zu betreiben. Mit jedem Abo trägst du zur Meinungs- und Medienvielfalt in der Schweiz bei, unterstützt die Freiheit der Presse und sorgst dafür, dass lokale Künstler:innen und kulturelle Ereignisse die Anerkennung erhalten, die sie verdienen.

Werde Teil unserer Community und hilf uns, weiterhin kritische und vielfältige Berichterstattung zu liefern.

Kontakt

null41
c/o IG Kultur Luzern
Bruchstrasse 53
6003 Luzern
041 410 31 07
info@null41.ch

Social Media

InstagramFacebookX

Shop

AboEinzelausgaben

Checkout

Literaturpausegangus.chIG Kultur Luzern

null41 ist das Magazin für Kultur, Politik und Gesellschaft der Zentralschweiz. Mit zehn Ausgaben pro Jahr bietet es eine Plattform für das künstlerische und kulturelle Schaffen der Region.

ImpressumAGBDatenschutz

Für diesen Beitrag haben mitgewirkt:

Avatar Beteiligte:r

Aoife Rosenmeyer

Weitere Artikel ansehen
Avatar Beteiligte:r

Anja Wicki

Weitere Artikel ansehen
  • Banner: gangus.ch – Liest du das?
  • Kulturpool
  • Banner: Radio 3FACH, Jahres-Design 2025
  • null41 Kulturmagazin 05/2025
  • Horny Dolphins – «Off To The Same Beat»
  • Albert Koechlin Stiftung, TaKu Workshop, 21.–27.04.2025
  • Illustration Alina Günter

    Kunst

    Wer bezahlt für dich?

    Während des Zweiten Weltkriegs war Luzern eine wichtige Drehscheibe für NS-Raubkunst. Inwiefern hat das Kunstmuseum Luzern davon profitiert? Eine Antwort sucht man auch in der aktuellen Sammlungsausstellung vergebens.

    Erich Keller (Text) und Alina Günter (Illustration)

  • Illustration von Chiara Zarotti

    Kunst

    Nicht nur das Schöne

    Die Begegnung mit einem Werk geschieht nicht nur über das Original, sondern auch über dessen Geschichten.

    Matthias Gabi (Text) und Chiara Zarotti (Illustration)

  • Ausstellungsansicht fotografiert von Marc Latzel

    Kunst

    Wie viele Stimmen hat ein Solo?

    In der Ausstellung «Solo» wird das Schaffen jener Person präsentiert, die mit dem Preis der Kunstgesellschaft Luzern ausgezeichnet wurde. Dieses Jahr widersetzen sich Martian M. Mächler, Esther Vorwerk und André Veigas P. dem Konzept alleiniger Autor:innenschaft. Ihre mehrstimmige Text- und Soundinstallation ist bis Anfang Februar im Kunstmuseum Luzern zu sehen.

    Eva-Maria Knüsel (Text) und Marc Latzel (Bilder)