
15.01.25
Musik
Durchatmen und loslassen
Improvisieren ist wie Eisbaden: Der Fokus liegt auf dem Hier und Jetzt. Im Interview zum neuen Album wagt sich das Kali Trio ins kalte Wasser.
Anna Girsberger (Text)
Das Frösteln zu überwinden, sich auf Neues einzulassen: Das braucht Mut. In der improvisativen Musik des Kali Trios ist dieser Mut stets rauszuhören. So treffe ich den Pianisten Raphael Loher und den Gitarristen Urs Müller Anfang Dezember zum Baden im sieben Grad kalten Vierwaldstättersee. Gemeinsam üben wir uns im Loslassen und sprechen über ihr neues Album «The Playful Abstract».
Treffpunkt Neubad: Von hier aus spazieren wir zu dritt Richtung Richard-Wagner-Wiese. Schlagzeuger Nicolas Stocker hält sich gerade in Oslo auf und kann darum nicht dabei sein. Alle drei Instrumentalisten kommen aus musikalisch verschiedenen Ecken. Während Loher einen Hintergrund in zeitgenössischer und improvisierter Musik mitbringt, waren Müller und Stocker zu Beginn von Kali Trio auch mit Pop-Projekten unterwegs. Alle hatten den Drang zu einem gemeinschaftlicheren Projekt. Bei Kali Trio investieren die drei Mitglieder gleich viel, ganz kollektiv, wie es Loher formuliert. Müller bietet mir ein Salbeibonbon an – er werde heute auf den See verzichten, denn er sei etwas erkältet.
Auf der Suche nach Klängen
«Im Gegensatz zu unseren letzten beiden Alben ‹Riot› und ‹Loom› ist ‹The Playful Abstract› organischer. Heller, wärmer, noch emotionaler und leichter», erzählt Müller. Die Zeit im Studio sei voller Spontanentscheide gewesen, ergänzt Loher, und Improvisation ein zentrales Element der aufgenommenen Musik.
Loher ist ein meisterlicher Klavier-Präparator. Heisst, er verändert den Klang seines Instruments mittels verschiedener Techniken. Zum Beispiel legt er Magnete auf die Saiten des Flügels, was glockenartige Klänge hervorbringt. Neuerdings benutzt er auch gerne eine spezielle Art von Synthesizer, die «Organelle». Mit verschiedenen Effektpedalen und Spieltechniken setzt Müller die Gitarre vielfältig ein. Die kurzen rhythmischen Patterns, die weit weg wirkenden Klänge mit viel Hall oder verzerrten Tönen verweben sich mit der Ebene des Klaviers und den Schlagzeug-Grooves. Letztere sind immer präzis, zuweilen fast schon technoid.
«Unser grosses Interesse an Sound hat uns drei trotz gegensätzlichen Ausrichtungen schon immer vereint», erzählt Loher. Auf «The Playful Abstract» erzeugen insgesamt neun Stücke in langen musikalischen Bögen einen hypnotischen Effekt. Dies gelingt mittels subtiler Repetition und langsamer, aber stetiger Veränderungen der Klanglandschaften.
Wie ein Zen-Mönch
Am See angelangt, geniessen wir erst einmal den Ausblick. Müller erzählt: «Als ich noch an der Jazzhochschule war, habe ich nie wirklich begriffen, dass hier Berge sind. Ich war viel unterwegs in Bars, Clubs und an Konzerten.» Bei Loher war das anders: «Mir war der Blick auf diese Berge in Luzern schon von Anfang an wichtig. Ins Wasser zu gehen, zu resetten und meinen Fokus zurückzugewinnen. Egal, was gerade schwierig war, der See war für mich ein Ort der Zuflucht. Heute gehe ich leider nicht mehr so regelmässig baden. Dafür dusche ich immer kalt.» Wir entscheiden uns spontan dafür, noch weiter in Richtung Kastanienbaum zu spazieren.
Als wir am Ziel angekommen sind, bin ich noch nicht einmal bis zu den Knien im Wasser, da ist Loher schon ganz drin. Jetzt heisst es durchatmen und loslassen. Während ich meine Schwimmzüge nehme, steht Loher still im Wasser, wie ein Zen-Mönch. Die Kälte hilft tatsächlich, auf das Jetzt zu fokussieren und Vergangenes loszulassen. Dies gelingt dem Trio auch musikalisch. So ist «The Playful Abstract» wie ein Sprung ins kalte Wasser: unerschrocken und mit einer erfrischenden Klarheit.