Agglogewucher 1

Akku Kunstplattform, Emmenbrücke, 26.09.2018: «Stadt, Land, Fluss» ist in vollem Gange. Die Auseinandersetzung von neun Künstler*innen mit ihrer Umgebung und der dabei thematisierte Austausch zwischen Mensch und Natur, sowie die zentrale Rolle der Agglomerationen, in denen das Element Natur oft zu kurz kommt, ergeben eine spannende Auslegung. 

Menschen führen eine ambivalente Beziehung zur Natur. Sie suchen in ihr Erholung, wollen sich daran erfreuen, und doch wird sie immer weiter zurückgedrängt. Das Unkraut wird gejätet und an jeder möglichen Stelle werden Strassen und Fabriken gebaut, zugleich kümmert man sich aber rührselig ums Schrebergärtli und den wild bepflanzten Stadtbalkon. Die Natur soll also nicht in die Quere kommen, trotzdem flüchtet man sich mit der Sehnsucht nach Freiheit öfters mal in ihre Weiten.

(Myrien Barth, «Der Zweifel», 4.3 Zoll LCD-Display und Acrylglas, 2017)
Myrien Barth, «Der Zweifel», 4.3 Zoll LCD-Display und Acrylglas, 2017

Die Treppe zum Ausstellungsraum hoch, dem leichten Duft von Blumen und Gips nach, eröffnet sich der Blick auf einen hellen Raum mit unterschiedlichsten Ausstellungsstücken. Als erstes springt ein kleines Abspielgerät ins Auge, worauf sich der Schatten einer Gondelbahn erkennen lässt, die über einen Wald schwebt. Ein Werk von Myrien Barth. Mit «Der Zweifel» führt sie in das Hauptthema der Ausstellung ein: die Präsenz des Menschen in der Natur. An einer Wand weiter links entdeckt man mehr von diesen kleinen Bildschirmen; alle zeigen sie Ausschnitte aus unterschiedlichsten Lebenssituationen. Mit grosser Liebe zum Detail führt die Künstlerin mittels den kurzen filmischen Loops eine Art Tagebuch.

(Monika Müller, «[die] Welt [als geordnetes Ganzes]III», Graphit, Bleistift, Pastell, Farbstift, auf Papier, 2016-2018)
Monika Müller, «[die] Welt [als geordnetes Ganzes]III», Graphit, Bleistift, Pastell, Farbstift, auf Papier, 2016-2018

Die lebendigen, farbigen «Landstreicher», wie Jeroen Geel seine Serie von kleinformatigen Bildern nennt, zeigen von Strassenschildern über Baustellenschranken bis zu Güterzügen Ausschnitte, die einen eintauchen lassen in Lebensszenen, denen man sonst vielleicht eher weniger Aufmerksamkeit schenken würde. Ähnliche solche Lebensausschnitte, zwar völlig anders gewonnen und umgesetzt, findet man in den wunderbar kunstvollen Bleistiftzeichnungen von Monika Müller. Mit Pressebildern als Vorlage führt die Luzerner Künstlerin vor Augen, welche enorme Einwirkung Menschen auf die Landschaften der Welt haben.

(huber.huber, Nest, 2018)
huber.huber, «Nest», 2018

Auf einem bespiegelten Regal befinden sich Vogelnester des Künstlerduos huber.huber, die geschickt mit Zement ummantelt wurden – Schutzhülle und künstliche Verfremdung zugleich; raffiniert! Wer sich zudem etwas bewegen will, sollte sich zu Fuss in die Umgebung aufmachen und die dort verteilten Vogelhäuser suchen, die das Duo selbst gezimmert und im städtischen Raum – an verschiedenen Orten zwischen Akku, Bahnhof und Seetalplatz – aufgehängt hat. Welch Ironie: Den Vögeln wird das zurückgegeben, was ihnen vorgängig von den Menschen weggenommen wurde.

(Sonja Kretz, «Die Schafe sind weg», Porenbeton, Backstein, Textil, Elast, Masse, 2018)
Sonja Kretz, «Die Schafe sind weg», Porenbeton, Backstein, Textil, Elast, Masse, 2018

So wie die Vögel kaum mehr natürliche Nistplätze in den heutigen urbanen Umgebungen finden, so haben auch die Schafe keinen Raum mehr, wie Sonja Kretz in ihrer innovativen Installation «Die Schafe sind weg» thematisiert. Die Konstruktionen aus künstlichem Stein und Ziegeln erinnern tatsächlich an eine kleine Schafherde. Im Vordergrund der Arbeit steht dabei, dass die Natur und Tiere in unseren betondominierenden, verkehrsüberladenen Agglomerationen kaum mehr Platz haben.

Ein imitiertes Stück Landschaft, feinfertig handgeschnitzt von René Odermatt, beteuert die Absenz der eigentlich darauf gehörenden Tiere. Die filigranen Linien der Holz-Alpenwiese vermögen beinahe, in Gedanken auf eine richtige Alp zu tragen.

(Gabi Vogt, «Vrenis Gärtli», fünf von 17 Injekt Prints, von denen neun ausgestellt sind)
Gabi Vogt, «Vrenis Gärtli», fünf von 17 Injekt Prints, von denen neun ausgestellt sind

Fröhlich-gelbe Blumen, in kreisförmig angeordneten Kistchen, versprühen ihren dezent süsslichen Duft im Raum. «La rotatoria» von Aldo Mozzini (siehe Titelbild des Artikels) symbolisiert auf humorvolle Weise die teilweise bizarr gestalteten Verkehrskreisel der typischen Schweizer Vororte. Dazu wirken grosse, dreieckige Steine, mal eingepfercht in einem Gartenhäuschen, mal in einem Beet und mal bedeckt mit rosa Blumen, zu finden in Gabi Vogts Fotoreihe «Vrenis Gärtli». Die Betonzacken der ehemaligen Panzersperre in dem abgebildeten Schrebergärtli stehen im grossen Kontrast zu ihrer wuchernden, grünen Umgebung.

(Pflanzenaquarelle von Lou Stengele, gespiegelte Tankstelle)
Pflanzenaquarelle von Lou Stengele, gespiegelte Tankstelle

Verschiedene Wände des Ausstellungsraums sind mit Werken unterschiedlicher Künstler*innen aus der Sammlung der Gemeinde Emmen bespielt. So hängt zum Beispiel ein idyllisches Landschaftsbild neben in Grautönen gehaltenen Baugespannen und führt so einen aufhorchenden Kontrast herbei. Auch Lou Stengeles fein gemalte Pflanzenaquarelle, in denen sie das menschliche Bestreben, die Natur zu ordnen und zu katalogisieren darstellt, weisen auf die ambivalente Beziehung zwischen Natur und Mensch hin. Das ist vor allem auch dann sehr faszinierend, wenn sich beim Betrachten der unschuldigen Werke die gegenüberliegende Tankstelle in den Bilderrahmen spiegelt.

Mit verschiedensten Herangehensweisen und Darstellungsarten werden die Kontraste und laufenden Veränderungen der Schweizer Agglomerationen sowie die Eigenheit dieser Orte an der Schnittstelle zwischen Stadt und Land wundervoll aufgezeigt. Die Kombinationen der unterschiedlichen Künstler*innen mit ihren Werken, derer keines dem anderen gleich ist, eröffnen Blickwinkel auf die Entwicklungen und Beziehungen zwischen Menschen und Natur sowie deren Auswirkungen.

Impressionen aus der Ausstellung
Impressionen aus der Ausstellung

Kuratorin Lena Friedli hat hier eine tolle Ausstellung mit einem anregenden Thema zusammengestellt. An der Schnittstelle zwischen Stadt und Land situiert, spielt auch die Lage der akku Kunstplattform eine zentrale Rolle in der Ausstellungsidee. Die Tatsache, dass sich viele zeitgenössische Kunstschaffende mit dem Kontrast auseinandersetzen und das kritische Wahrnehmen der Agglomeration Emmenbrücke, sowie ihre Faszination für Landschaftsdarstellung, brachten Friedli hierbei auf die Idee dieser Auseinandersetzung. Ziel sei es, das Dazwischen respektive das Sowohl-als-Auch oder eben dieses besondere Verhältnis Mensch - Natur aufzutun und dabei Fragen zu stellen, die nicht unbedingt eine Antwort haben müssen.

 

Die Ausstellung läuft noch bis am SO 4. November 2018

Öffnungszeiten akku Kunstplattform:

DO-SA 14-17 Uhr
SO 10-17 Uhr

Weitere Infos zur Ausstellung und den Events: www.akku-emmen.ch