Zwischen Wahn und Sinn

Theaterpavillon Luzern, 07.08.2015: Die Unsterblichkeit als Sieg der Liebe über den Tod und Verlust oder das totale Chaos – Dem Zirkus Tortellini gelingt mit ihrer neuesten Produktion «Operation Olimpia» eine rasante Achterbahnfahrt zwischen Idealvorstellungen und Wahnsinn. Ein farbenfroher Zirkusabend, gesprenkelt mit einem spürbaren Hauch an Gesellschaftskritik und einem umwerfenden Sinn für das Groteske.

Wahn und Sinn liegen nicht selten ganz nah beieinander, oft schlängelt sich die Grenze dazwischen ausgerechnet dort entlang, wo richtig und falsch nicht mehr klar zu unterscheiden sind. Der Jugendzirkus Tortellini, unter der künstlerischen Leitung von Mael Stocker, thematisiert in seiner diesjährigen Produktion «Operation Olimpia» die Verschmelzung von Grössenwahn und Idealvorstellung. Das Resultat ist ein farbenfroher Zirkusabend ohne Zelt, dafür aber mit glasklaren und messerscharfen gesellschaftskritischen Nuancen. Reynard, ein verrückter Wissenschaftler, will seiner Tochter ewiges Leben schenken, um so einen weiteren Schicksalsschlag wie den früheren Tod seiner geliebten Frau zu vermeiden. Absurde Wunschvorstellungen und Idealbilder eines unsterblichen Menschen werden ausgerechnet auf eine Schaufensterpuppe projiziert, welche von einer begeisterten Schar Probanten regelrecht vergöttert wird. Die Erschaffung eines neuen Prototyps, der sämtlichen wahnsinnigen Vorstellungen entspricht, erinnert an das Grauen in Frankenstein oder an Rocky, dem künstlich geschaffenen Spielzeug aus der Rocky-Horror-Show.

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Der Regie gelingt es auf eine spannende Art und Weise, den schauspielerischen Teil mit den Zirkus-Komponenten zu verbinden, geschickt baut Mael Stocker die verschiedenen Nummern ins Geschehen mit ein. Dramaturgisch gesehen passiert so ein abwechslungsreiches Spiel zwischen Sprache und Bewegung, ineinanderlaufend und sich ergänzend. So werden die Diabolos kurzerhand als Skalen eingesetzt, um die elektrische Spannung der Testperson zu messen, oder es wird mit Hilfe der Velos mitten auf der wirklich grossartigen Bühne von Rochus Lussi vermeidliche Energie für die Experimente erzeugt. Im Rampenlicht stehen dabei eine Horde junger Menschen, die insbesondere bei den artistischen Szenen nicht nur überzeugten, sondern den ausverkauften Theaterpavillon ganz und gar in Stauen zu versetzen mochten. Ob anspruchsvolle Akrobatiknummern oder blitzschnelle Jonglage-Einlagen, das Publikum verfolgte gebannt, trotz der enormen Hitze, das Geschehen. Das Niveau der unterschiedlichen Auftritte war dabei stets sehr hoch, zwischendurch so ansehnlich, dass man sich selbst daran erinnern musste, dass es sich hier um Kinder und Jugendliche handelt und nicht um professionelle Zirkusleute. Diese Tatsache verzieh allen Mitwirkenden sofort und ohne Zweifel jede kleinste Unsicherheit oder Wackler, denn da spielte mit Sicherheit eine grosse Portion Premieren-Nervosität mit. Alles in allem war es ein rasanter Zirkus-Abend, gefüllt mit einer geballten Ladung Energie, Spielfreude und Bühnenpräsenz. Die jungen Artisten und Artistinnen haben nicht nur ein unterhaltsames Programm gezeigt, sondern ebenfalls das Gespür für tiefergreifende Sinnfragen, die uns auf unserem Lebensweg begleiten. Wo verlaufen die Grenzen zwischen Liebe, Macht und Besitz und welche Körperbilder entsprechen den Vorstellungen unserer Gesellschaft? Wer entscheidet über wen und wie viel darf in Versuche investieret werden? Überzeugen von einer skurrilen Idee, und/oder dem daraus resultierenden Chaos kann man sich noch bis zum 5. September 2015 im Theaterpavillon Luzern, Tickets und Reservation unter: www.tortellini.ch.