Zwischen Bünzlitum und Punk

Schüür, 29.5.2013. Stiller Has gastierten zum zweiten Mal in der Schüür. Bünzli und Punk in Leidenschaft und Wahnsinn vereint. Ein Seelenspiegel, getarnt als Konzertabend.

Stiller Has! Volkseigentum! Bünzlitum und Punk vereint in Text und Musik. Dementsprechend gestaltete sich das Konzertpublikum. Da drückte der Bürogummi am jungen Alternativen vorbei und zwei Damen im reiferen Alter kämpften wie kräftige Metalheads Richtung Bühne. Der Bünzli dominierte. Und prompt avancierte das gewohnte Konzertagieren zu einer mühsamen Aufgabe. Wollte man weiter nach vorne gelangen, musste der Vitaparcours über Taschen bestritten und das Gejammer diverser Konzertbesucher ertragen werden. «Ich bi mim Partner ufd Füess gstande wäge Ihne», zischt die junge, zarte Dame in Weiss, «Ich han für de Platz zahlt, drum hani es Rächt, öbbis z'gseh», so der bebrillte Herr mit Schweinsäugli. Punkt neun Uhr sollte es losgehen. Endo Anaconda und seine Spielgefährten liessen sich ein wenig Zeit. Doch, hey! Wir leben im Uhrenland Schweiz, hier wird die fucking Pünktlichkeit grossgeschrieben! So versuchten die ersten Büezer bereits um 21:03, die Band aus dem Backstage zu pfeifen. Wenig später betraten Stiller Has die Bühne, es wurde gejubelt. «Ahoi ahoi ahoi, Pirat sii isch e Zuestand vo de Seel!», legte Endo los. Genau, Endo Anaconda, dieses Gemisch aus Berner Altpunk-Mafiaboss und österreichischem Opernzampano, hatte das Publikum schnell im Griff. Seine Worte sassen, die Meute machte mit. AHOI! Der Stimmungsgrad schwankte aber leider wie die kleine Piratennussschale im Meer. Nein, das ständige Bierzelt-Geschnorr während der ersten drei, vier Stücke hätte wirklich nicht sein müssen. Dass 80% der Besucher wie Ölgötzen herumstanden, kein Füdliwackeln, kein Tanzen, schmälerte den negativen Eindruck nicht. Bin ich «too old for this shit»? Böses Alter mit meinen Mitte Zwanzig? Heiliges Kanonenrohr. Davon war zumindest auf der Bühne nichts zu spüren. Stiller Has boten ein unterhaltsames Repertoire aus alten Klassikern und neuen Stücken. Endo, Kabarettist, Musiker, Entertainer, Lyriker, tanzte, groovte, smoothte. Einmal Vincent Vega, einmal Marlon Brando, einmal Luciano Pavarotti: Es war eine Freude, dem Berner Original zuzuschauen. Flankiert wurde er von Salome Buser an Bass/Orgel und Schifer Schafer an Gitarre/Orgel/Banjo, beide souverän. Erstere mit einer frischen, strahlenden Leidenschaft, letzterer mit seinem knorzig-genialen Spiel sowie dem verschmitzten Wurzelcharakter. Und schlussendlich Markus Fürst, König Schlagzeug. Hier wäre bei der Abmischung zwar ein noch kräftigerer Tätsch der Snare-Drum wünschenswert gewesen (vermisst habe ich diesen beim grandiosen Song «Märli»), ansonsten 1A. Trotzdem: Nicht alles gelang an dem Abend. Mal wurde eine Textzeile vergessen oder es missriet ein Schluss (O-Ton: «A dem Ändi schaffe mer no»), aber genau das macht Stiller Has aus: Dieses unperfekte, sympathisch knurrige und trotzdem zugängliche Wesen. Oder wie es die Rote Fabrik passend ausdrückt: Gelebter Wahnsinn im besten Sinne, leidenschaftlich, hingebungsvoll und gleichzeitig hoch aufmerksam. So verausgabten sich Endo Anaconda und seine Bühnenmannschaft bis zur Erschöpfung, schweissnasses Hemd, unter dem Hut (des Bookletcovers) dampfte es wohl wie ein Luftbefeuchter. Die Ansagen erschienen im ersten Moment ein wenig doof, doch genau diese Art von Klamauk sass trotzdem. Jene flotten Geschichten – Massagekissen von Philipp Fankhauser, Patent Ochsner mit Tropenkrankheit, Hawaiihemden-Allergie und Chätschgummi auf der Bank vor der Reitschule – funktionierten bei der blossen Vorstellung sehr gut. Dem Publikum gefiel’s, meine Laune besserte sich zunehmend. Spätestens mit «Wallisellen» war der Bann auch physisch gebrochen, endlich kam Bewegung in einen Grossteil des Volkes. Es wurde getanzt, gelacht, mitgesungen. Zusammen mit den Hasen zelebrierten Herr und Frau Schweizer die Launen des Alltags, unser Bünzlitum und immer wieder das Stück Schweiz, wie es in jedem von uns steckt. Nach ein bisschen mehr als zwei Stunden war der Gspass dann vorbei. Im Anschluss ein wenig philosophieren über Stiller Has, und das Publikum setzte dem Abend die Krone auf. So wie jene Vielfalt im Publikum, zeichnen die Texte der Band und ihre Musik die Schweiz: Vom engagierten Büezer, der ein wenig den Kopf lüften will über das verliebte Pärchen, welches mit Stiller-Has-Songs Gedanken verbindet, hin zum monierenden Konzertkritiker, der aufgeregt wie ein kleiner Bub im Publikum stand, bilden die Lieder uns alle ab. Was in Kombination einen gelungenen Seelenspiegel in Form eines Konzertes mit Höhen und Tiefen ergibt. Sowie zufriedene Stiller-Has-Fans.