Zwei Fotografen auf der Suche

Kunsthalle Luzern, 17.01.2017: Die Kunsthalle Luzern stellt im Kabinett mit der «Retrospektive des Alleinseins» eine Doppelausstellung mit guter, aber nicht ganz einfacher Fotografie aus. Der Autor hat die beiden Luzerner Fotografen Mischa Christen & Patrick Blank getroffen und mit ihnen ausgiebig über Beziehungen, Sehnsüchte, Haareschneiden und das Alleinsein gesprochen.

Nächtliche Begegnungen (Mischa Christen)

Nach einem kurzen Abstieg auf der engen Wendeltreppe ist man bereits unten im kleinen Kabinett der Kunsthalle Luzern und betritt zugleich die Welt von Mischa Christen mit einem überlebensgrossen «Frauenarsch» im Netzstrumpf, der wie ein Stilleben anmutet. Die eng angeordneten Bilder wirken auf den ersten Blick düster und auch etwas bedrohlich: Nacht- und Nacktszenen, traumähnlich, verworren. Seit Mischa 2010 an einem Workshop von Anders Petersen (bekannt für Fotobuch-Klassiker «Café Lehmitz») eine Kompaktkamera mit Festbrennweite in die Hand gedrückt bekommen hat, sind seine Bilder viel persönlicher und intimer geworden. Diese Intimität spürt man über alle Bilder hinweg, die im Rahmen der letzten sechs Jahren u.a. in Städten wie Luzern, Berlin, Barcelona, New York, Neapel, Mailand, Krakau und Zürich entstanden sind. Es sind Bilder von zufälligen Begegnungen mit «Fremden», machmal nur für eine Nacht, manchmal für etwas länger. Oft entwickelt Mischa den Film erst Jahre später und kann sich an manche Begegnungen kaum mehr erinnern. Auch wenn nicht alle Bilder in der Nacht entstanden sind, sagt er mir, dass er zum Fotografieren in der richtigen Stimmung sein muss und «dies ist halt meistens in der Nacht der Fall».

«Gibt es einen hellen und einen dunklen Weg, nehme ich den dunklen.» 

 

 

Es sind weniger starke Einzelbilder die herausragen, sondern vielmehr die Serie der Bilder, die ein starkes Gefühl der Intimität, aber auch der Einsamkeit erzeugt. «Alleine sein meint aber nicht einsam sein. Das ist mir wichtig.» Ich denke es ist genau dieser starke Kontrast von intimer Distanz, welcher eine solche Spannung erzeugt. Durch eine gross aufgezogene Türe, hinter welcher eine Frau steht, verlässt man wiederum Mischas Welt.

Inszenierte Traumwelt (Patrick Blank)

Dreht man sich nun um 180 Grad, sieht man die Arbeiten von Patrick Blank. Diese machen durch ihre galerieartige Präsentation, bessere Ausleuchtung und «geblitzten» Bilder allgemein einen freundlicheren Eindruck. Es sind hauptsächlich Portraits von Frauen mit Haaren. Haare spielen in Patrick Blanks Arbeit eine wichtige Rolle. Patrick, als «self-made-Coiffeur» in seinem Freundeskreis bekannt, schneidet gerne die Haare, wenn er dafür mit Fotos entlöhnt wird. Dabei inszeniert er, anders als etwa Mischa, die Abgelichteten und gibt ihnen auch mal direkte Anweisungen. «Ich fotografiere die Person so, wie ich sie gerne sehe.» An einem solchen «photo-shoot» entstehen dann schon mal mehrere hundert Bilder, bis Patrick die Pose «herausgekitzelt» hat, welche er von der Person möchte. Manche Bilder würde der eine oder andere als Missgeschick betiteln, da bspw. die Augen halb geschlossen sind, oder aber die Person in einer nicht ganz vorteilhaften Grimasse abgelichtet wurde. Für Patrick Blank sind es aber genau diese Bilder, die ihn interessieren.

«Ich bin wie ein Zahnarzt, der ein Zahn zieht — ich versuche immer zuerst die Angst zu nehmen und Schranken abzubauen.»

 

 

Einige der Fotografien wirken dabei wie Einzelbilder aus alten Hollywood-Streifen. Patrick gibt Filme wie «West Side Story» oder etwa «Casablanca» als Inspiration für seine Bilder an, in welchen es an keinem «Happy-End» fehlt. Seine Bilder sind als Flucht aus der Realität, in die eigene, fiktive Welt zu verstehen. Mit den Mitteln der Fotografie versucht er diese temporären, künstlichen Beziehungen zum Model festzuhalten, auch wenn er gleich selber anmerkt, dass niemand so gut von der Vergänglichkeit weiss, wie Fotografen, die sie ständig aufzuhalten versuchen.

Gegenüberstellung

Wir haben also im Kabinett zwei Fotografen gegenübergestellt, die durch zwei sehr unterschiedliche Arten sehr ähnliche Sehnsüchte thematisieren. Der eine geht auf der Suche nach Gemeinsamkeit in die Welt hinaus, während der andere sie bei sich zuhause sucht. Die Beiden sind sich aber einig: das Zusammensein braucht das Alleinsein, und umgekehrt. Retrospektive nicht deshalb, weil die Ausstellung einen Überblick über das Gesamtwerk der beiden Fotografen bietet, sondern weil sie das Abschliessen mit ihrer Suche bedeutet. Wer die Bilder nur oberflächlich betrachtet, läuft Gefahr, diese als «einfache Schnappschüsse» abzutun — was sie im Grunde ja auch sind — die Fotografien beinhalten aber einiges mehr und erfordern vom Betrachter eine längere Auseinandersetzung. Die Enge des Kabinetts passt dabei gut zu diesen persönlichen und intimen Arbeiten und die Installation und Präsentation ist dem Leiter der Kunsthalle Michael Sutter allgemein sehr gut gelungen. Ich hoffe die Kunsthallen bleibt auch zukünftig weiter offen für Fotografie, da der Ausstellungsraum dazu in Luzern leider sehr rar ist.

Infos

Die Ausstellung ist noch bis zum 12. Februar 2017 offen und am Donnerstag, dem 2. Februar um 19 Uhr wird es noch ein Künstlergespräch mit den beiden Fotografen geben. Dies wäre eine gute Gelegenheit, die Ausstellung zu besuchen, denn die Beiden wissen eine Menge interessante Geschichten über die Arbeiten zu erzählen.

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P.S.: Für Fotografieinteressierte in Luzern gibt es noch bis zum 20. Januar in der Neubad Galerie die Ausstellung «À fonds perdu» und bis zum 19. März im Bellpark Kriens die Retrospektive von «Sabine Weiss» zu besichtigen.