Zurück ins Internet

Luzerner Theater, 28.03 bis 02.05.2020: Sechs Wochen nach Ende der dritten Staffel ist «Taylor AG» zurück. Ohne Publikum, dafür im Livestream. Eine Massnahme, die der Serie mehr gibt, als nimmt.

Bilder: Ingo Höhn

Achtung: Spoilerwarnung bis und mit der vierten Staffel von «Taylor AG»!

Vor sechs Wochen musste das Luzerner Theater seine Vorstellungsreihe «Taylor AG» am Ende der dritten Staffel vorzeitig abbrechen. Damals konnte man miterleben, wie sich die Figuren mit Tod und Apokalypse befassten, während diese Themen zeitgleich die Welt ausserhalb der Box des Luzerner Theaters zunehmend zu beschäftigen begannen. Beklemmend war es, den isolierten Menschen in ihrer Zelle zuzuschauen und beklemmend war auch der Abschied von dem Format. Niemand wusste, ob die Serie weitergeführt wird, ob man je erfahren wird, was der Arbeitsgemeinschaft AG2602 zugestossen ist oder ob hier wieder einmal eine Serie unverhofft abgesetzt wurde, obwohl man noch an ihr hängt.

Sechs Wochen sind vergangen, viel ist geschehen und die «Taylor AG» ist wieder zurück. Für Katrin (Antonia Meier), Konni (André Willmund) und Stefan (Lukas Darnstädt) sind jedoch nur ein paar Stunden vergangen. Der Leistungsdruck belastet sie noch immer, die Frustration über ihre Haft staut sich weiter auf. Mittlerweile wissen sie, dass die künstliche Intelligenz Taylor AG nicht alle, sondern nur 50 Prozent der Menschen in Arbeitsgruppen eingeschlossen hat und dazu zwingt über einen Zeitraum von 30 Tagen täglich eine neue Idee zu präsentieren. Die andere Hälfte, die «Rausprogrammierten», sind draussen und kämpfen um ihr Überleben.

Regisseur Franz von Strolchen wollte mit «Taylor AG» das Serienerlebnis, wie man es heute vor allem aus dem Internet kennt, auf die Bühne holen und damit das Binge-Watching-Erlebnis auch im Theater ermöglichen. Aufgrund der Krisensituation wird «Taylor AG» jetzt per Youtube-Live-Stream übertragen. Es mutet ironisch an, dass dieses Erlebnis nun vom Theater wieder zurück ins Internet gebracht wird. Das theatralische Serienerlebnis wird zum seriellen Theater-Stream. Irgendwie ein schöner Kreis. Und passt sehr gut, denn dadurch, dass die Kameras zu den Augen des Publikums werden, wird die Isolation der Figuren deutlicher spürbar. Durch Schnitte, mehrere Kameras und Perspektiven wird zudem das Gefühl verstärkt, dass man sich eine Serie ansieht. Auch wenn das in der Umsetzung nicht immer ganz einwandfrei klappt. Aber gehört zum improvisierten Charakter dieses Projekts. Auch die Pandemie hat also das spontane Konzept nicht ganz über den Haufen geworfen.

Ein weiterer Effekt der Krise ist, dass die täglich wechselnden Expert*innen nicht mehr physisch auftreten können, obwohl die Schauspieler*innen Schutzvisiere tragen. Und auch hier findet sich eine Lösung, die dem Stück mehr gibt, als sie nimmt: Telepräsenzroboter (ein Tablet auf einem kleinen Segway). Das wäre vor Live-Publikum kaum möglich, ist aber mit Kameras kein Problem. Dieses Stilmittel verstärkt sogar die Idee, dass diese Expert*innen Programme der Taylor AG sind. Dabei kann das Publikum während des Gesprächs per Chat Fragen stellen, die an das Expert*innenprogramm weitergeleitet werden. Und wenn etwas einmal überhaupt nicht funktioniert, werden schnell neue Lösungen gefunden und reale Fehler der fiktiven KI zugeschrieben (oder doch nicht?), wodurch die Illusion nie ganz zerbricht.​

TaylorPoster

Zur Halbzeit der Serie driften deren Protagonist*innen in eine Sinnkrise, aus der sich sich wieder rausschreiben müssen. Die erste Folge der vierten Staffel fühlt sich an wie ein Echo der Pilotfolge. Die Hauptfiguren erzählen ihre Geschichte nach – was alle Zuschauenden auf eine clevere Weise wieder auf den aktuellen Stand bringt – und erfinden wie zu Beginn erneut eine Konsequenz für sich. War es in der ersten Staffel eine Strafe (die Stefan in der zweiten Staffel zu spüren bekommen hat), so ist es jetzt der Tod, den sie in ihre Geschichte einbauen. Irgendwann soll einer von den Dreien getötet werden.

Aber die Ideen der vierten Staffel sind zweitrangig. Es sind die Folgen und Expert*innengespräche selbst, die fesseln. So bewegt sich das Stück während der vierten Staffel mehrmals auf eine Metaebene. Zum Beispiel in der ersten Folge, wenn die Figuren Schauspieler*innen spielen, die Figuren inszenieren, die eine Serie schreiben und dann den Schauspieler*innen dieses Stücks Anweisungen geben. In der dritten Folge therapieren sich die Figuren durch die Inszenierung eines Psychodramas, in welchem sie Facetten voneinander spielen; ein Spiel im Spiel (im Spiel?), das faszinierend die Stärken des Schauspieltrios auf der Bühne zeigt. Besonders ist auch die vierte Folge, in der fast nur geschwiegen wird und die eigentlich ein grossartiges Blind Butcher Konzert mit Rube-Goldberg-Maschinen und Performance Art ist.

Natürlich endet auch die vierte Staffel mit einem Cliffhanger, wie es sich für eine gute Serie gehört. Zum ersten Mal hat sich die Taylor AG direkt an seine Inhaftierten gewendet. Zwei Staffeln stehen noch bevor. Es sind die letzten zehn Tage in der Zelle für Katrin, Konni und Stefan. Wenn alles gut geht, muss das Publikum nicht noch einmal sechs Wochen darauf warten.

Taylor AG: 5. Staffel
DI 05. - SA 09. Mai, jeweils 20 Uhr

Taylor AG: 6. Staffel
DI 12. - SA 16. Mai, jeweils 20 Uhr
Webseite des Luzerner Theaters

Inszenierung: Franz von Strolchen; Bühne: Jens Burde; Text: Christian Winkler
Spiel: Lukas Darnstädt, Antonia Meier, André Willmund, Blind Butcher, wechselnde Expert*innen