Zirkus, Reben, Punk (Teil 1)

Industriestrasse Luzern/Kulturkloster Altdorf, 27./28.08.2016: Ein urbanes Festival in Luzern (Industriestrassenfest), eine Rebbergführung mit Lesung in Altdorf (Wort & Wein). Kann man gleichzeitig beschreiben, was man nacheinander besucht? Lesen und herausfinden!

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Ja, eine Industriestrasse gibts auch in Altdorf. Sie erstreckt sich entlang der Reuss, kurz bevor diese ins Urner Becken mündet. Danach verengt sich der Fluss erst wieder beim Schwanenplatz, wo man als Luzernerin mit den Worten des Rappers Dave Statist vor dem Bucherer spielt. Ganz in der Hauptrolle ist das ansässige Volk hingegen bei der Luzerner Industriestrasse.

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Telldenkmal, 12:00 Uhr. Niklaus Lenherr von Literatur mobil begrüsst die Gäste. Während gestern beim Industriestrassenfest die Kopfbehaarung sowohl in Form als auch Farbe so zahlreich und wild durchmischt war wie die Fähnchen über ihr, blicke ich nun in rund 30 zumeist ergraute und schüttere Schöpfe.

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Das Gschichtli vom Wilhelm Tell ist ja der Engländer unter den Schweizer Mythen. Damit lässt sich jede Sache so drehen, dass sie ins Freund-Feind-Schema passt. Zum Beispiel behauptete sich das Luzerner Stimmvolk 2012 treffsicher gegen die Zürcher Gessleralunternehmung Allreal im Wettbewerb um das Industriestrasseareal.

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Erich Herger vom Weingut zum Rosenberg führt uns durch Altdorf rauf zu den Reben. Man winkt der vorbeituckernden Oldtimer-Karawane zu. Zwischenstopp beim kühlen Weissen. Herger erzählt stolz, wie durch das Rosenberg-Gut Uri zu einem offiziellen Weinkanton wurde. Wein aus Uri gibts aber schon lang. Als «nasser Zehnter» ging er an die Vögte aus Zürich. Doch kein Zürich-Bashing: Es waren Luzerner, gegen die sich Herger und seine Kollegen durchsetzten, als die Kuhwiese 1996 zu einem Rebberg wurde. Und man steht hier nicht nur auf dem Boden des Weins, den man gerade trinkt, auch seine Fässer sind allein aus Urner Eichen gezimmert.

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Zurück zum Kulturplanet Indutopia. Wie Monde sitzen Kulturhäuser und Klubs in seinem Orbit: Uferlos, Bar 59, Neubad, Schüür, aus der Bahn geworfen Boa und der Meteoritengürtel Frigorex, ferner Treibhaus, Spielleutepavillon. Heute kommt hier alles zusammen, um die genossenschaftliche Laufbahn zu feiern. Ganz einfach findet man sich auf dem Planeten mit seinen tausend Winkeln nicht zurecht: verwirrende Legenden auf dem Festivalplan, abbrechende Fährten, Abgesagtes, Spontanes. Dieser Ort ist für Entdecker und Abenteurerinnen gedacht.

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Den Launen der Natur muss man als Winzer gewappnet sein. Herger erzählt vom Kampf mit dem Frost, den Suzuki-Fliegen und Vögeln. Die Traubenqualität steht alle vier Jahreszeiten hindurch auf dem Spiel. Aber man hat auch Verbündete. Zum Beispiel der «Traubenkocher» Föhn, der so schön durchs Tal bläst. Jedes Mal kommt ein anderer Wein dabei heraus. Und niemand weiss so genau, warum gerade dieser jenen schmeckt und jener diesen. Es ist das Geheimnis der ästhetischen Lust, das die Sache gerade auch so spannend macht. Wie bei der Literatur. Hier zeigt sich, wie Wort und Wein zusammenkommen. industriewortwein – 04

Nicht überall auf der Industriestrasse kann man sich so wie auf dem Rebberg in den Grünwuchs retten vor der gleissenden Sonne dieses Wochenends. Da wär man gern eines dieser Kinder, die den ganzen Nachmittag lang die Rasenbewässerungsanlage auf dem Asphalt betanzen. Überhaupt die Kinder: Kein Fest in Luzern ist so für sie gemacht. Hier gibt's viel Platz, keinen Lärm, Kram zum Anfassen und Sachen zum Staunen. Und die sommerlich-friedlichen Klänge von Azul machen für die zahlreichen Jungfamilien aus dem Platz vor der Hauptbühne den perfekten Ort zum Verweilen.

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Die Hauptbühne von «Wort & Wein» ist der Chor im Kulturkloster ob Altdorf. Hier nimmt der Star des heutigen Tages, Rolf Lappert Platz, nicht bevor er mit Lenherr gemutmasst, wie sich der Lichteinwurf mit dem Lauf der Sonne verändern wird, und entsprechend den Lesetisch verschoben hat. Keine makabren Passionsgemälde hängen herum, man muss genau hinschauen, um den Leidensweg zu erkennen, der dezent in den Granit an der weissen Wand gemeisselt ist. Auch keine prunkvollen Kruzifixe im Hauptschiff. Da ist ganz Platz für Lapperts Wort in der angenehmen Kälte der Kapellenarchitektur.

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