Zentralschweiz auf Oscar-Kurs

Drei Filme aus der Zentralschweiz machen international auf sich aufmerksam: Diese Woche wird bekannt, ob der Spielfilm «Die göttliche Ordnung» (Zodiac Pictures Luzern/Zürich) sowie die zwei Kurzfilme «En la Boca» (Matteo Gariglio) und «Bei Wind und Wetter» (Remo Scherrer) ernsthafte Anwärter für einen Oscar werden.

Preise sind alles, wenn es darum geht, eine Karriere zu befördern. Ohne Auszeichnung hat es ein Künstler, eine Künstlerin ungleich schwieriger, auf sich aufmerksam zu machen. In der Filmwelt ist dies besonders grell der Fall. Zuoberst auf dem Award-Thron der Filmindustrie sitzen die Oscars. Man kann Hollywood belächeln und schnöden über seinen Kommerz und seinen Gigantismus. Aber ruft der tolle Oscar, kriechen alle noch so willig in die goldene Halle.

«lucky punch» für die Zentralschweiz

Jetzt hat der Strahl der Oscar-Verheissung auch die Zentralschweiz erreicht. Gleich drei Filme, die von hiesigen Filmemachern produziert wurden, haben es auf die Longlist der Academy Awards geschafft. Natürlich ist das ausserordentlich, wie Simon Koenig vom Filmbüro Zentralschweiz bestätigt. «Dass die Hälfte aller Schweizer Filme auf der Longlist aus der Zentralschweiz kommen, hat es meines Wissens in dieser Dichte noch nie gegeben.» Es sei ein «lucky punch», sagt Koenig. «Das zeigt uns, dass hier Filme produziert werden, die international mithalten können.»

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie ein Film überhaupt in den Dunstkreis einer Oscar-Tauglichkeit gelangt. Bei den Spielfilmen (in der Kategorie «best foreign language film») sind es rund 90 Länder, die einen Film vorschlagen können. Dieses Jahr hat die zuständige Kommission des Bundesamtes für Kultur den Film «Die göttliche Ordnung» von Petra Volpe eingereicht.  Die «comédie humaine über die Macht der Gewohnheit und die Angst vor Veränderung» am Beispiel des Schweizer Frauenstimmrechts wurde von den Luzerner Produzenten Lukas Hobi und Reto Schaerli (Zodiac Pictures Luzern/Zürich) produziert.

«Die Göttliche Ordnung» ist mit rund 350.000 Besuchern nicht nur der bestbesuchte Schweizer Spielfilm 2017, sondern in der Deutschschweiz auch der erfolgreichste Kinofilm des Jahres. Am Tribeca Filmfestival in New York gewann er gleich drei Preise. «Damit hat er innerhalb der Branche auch in den USA eine gewisse Aufmerksamkeit erhalten», sagt Lukas Hobi.  Im November präsentierte Zodiac Pictures den Film während drei Wochen in Los Angeles und umwarb die Academy-Mitglieder. Die Oscar-Nominationen finden Ende Dezember statt. Der Monat wird für Zodiac Pistures spannend: «Die Göttliche Ordnung» ist auch bei den Golden Globe Awards im Rennen, deren Nominationen am 11. Dezember erfolgen.

«En la Boca»: Glücksfall mit Tragik

Anders ist das Auswahl-Prozedere bei den Kurzfilmen: Sie werden dann Oscar-würdig, wenn sie an einem der weltweit rund 90 «Oscar qualifying»-Filmfestivals einen Preis gewonnen haben. Matteo Gariglio hat mit seinem dokumentarischen Kurzfilm «En la boca» gleich zwei Auszeichnungen geholt, am Guanajuato Festival in Mexico sowie am Krakau Film Festival in Polen. Kommt dazu, dass sein Film als einziger Schweizer Beitrag auch noch für den Europäischen Filmpreis 2017 nominiert ist, dessen Verleihung am 9. Dezember in Berlin stattfindet.

«En la Boca» ist ein dokumentarischer Glücksfall mit tragischem Verlauf: Gariglio lernte in Buenos Aires die Familie Molina kennen, die ganz in der Nähe des legendären Fussballstadions der «Boca Juniors» lebt und sich mit dem Verkauf von gefälschten Tickets und kleinen Gaunereien über Wasser hält. Der Film hält unspektakulär und sehr direkt den Alltag in diesem Haushalt fest, das Kommen und Gehen von Menschen, die Korruption, die ständige Konfontation mit der Polizei und auch das Schicksal von Matias, das tragisch endet. Der Film wirkt für das idyllische Leben eines Schweizer Mittelstandshaushalts wie eine Faust ins Gesicht.

Dass sein Film in die Oscar-Longlist aufgenommen wurde, sei für ihn «sehr überraschend, aber auch cool und interessant», kommentiert Matteo Gariglio. Er war kürzlich selber in Los Angeles, um seinen Film vorzustellen, wichtige Leute zu treffen, die Academy-Mitglieder zu sensibilisieren und generell Aufmerksamkeit zu schaffen. Das ganze Prozedere, bis es ein Film nur schon in die Shortlist schaffe, sei «unglaublich kompliziert und völlig intransparent», sagt der Dokfilmer.

Matteo Gariglio besuchte die Videofachklasse an der Hochschule Luzern Kunst & Design (Bachelor) und absolvierte später noch den Master an der Filmschule DocNomads in Lissabon, Budapest und Brüssel. Das Oscar-Rennen nimmt er gelassen. «Ich rechne nicht mega damit, dass ich es schaffe, sondern nehme es, wie es kommt.» Bei aller Ambivalenz Hollywood gegenüber: Nur schon eine Nomination für den Oscar würde Türen öffnen. «Mit einer solchen Auszeichnung schafft man sich Vertrauen bei Produzenten und Förderstellen. Sie sind dann eher bereit, in einen Film zu investieren.»

Faszinerender Animationsfilm

Ein wunderbares Miniwerk ist – auf einer ganz anderen Ebene – der Animations-Kurzfilm von Remo Scherrer, der es auf die Oscar-Longlist für «best animated short film» geschafft hat. «Bei Wind und Wetter» thematisiert die Co-Abhängigkeit zwischen einer alkoholkranken Mutter und ihrer kleinen Tochter mit einer visuell faszinierenden und geheimnisvoll fliessenden Bildwelt in schwarz-weiss. Auf der Tonspur spricht die ehemalige Tocher, die inzwischen Therapeutin ist, und sich erinnert. Der Kurzfilm ist die Masterarbeit im Bereich Animation von Remo Scherrer an der Hochschule Luzern Design & Kunst. Produziert haben gemeinsam die HSLU Design & Kunst und Zeitraum Film.

Bild oben: Reto Schärli («Zodiac Pictures»), Matteo Gariglio («En la Boca») und Remo Scherrer («Bei Wind und Wetter»