zentral! - Blackbox Jahresausstellung

Die «Jahresausstellung Zentralschweizer Kunstschaffen» heisst neu «zentral!». Paul Buckermann hat mit Alexandra Blättler, der Sammlungskonservatorin des Kunstmuseums Luzern und somit der Kuratorin der Ausstellung, über weitere Neuerungen und die Arbeit der Jury gesprochen.

Bild: Anna Wiget, Quasi natural hologram forming a Kar Landscape based on a Merokar, 2020, Zweikanal-Videoinstallation.

Paul Buckermann: Zuallererst – warum heisst die «Jahresausstellung Zentralschweizer Kunstschaffen» neu «zentral!»?

Alexandra Blättler: Den alten Titel mochte niemand so wirklich, obwohl Jahresausstellungen eine lange Tradition haben und in den letzten Jahren sogar noch mal eine Art Revival stattfand – da geht man einfach hin. Doch der Name war einfach nicht sexy genug, hatte viel weniger Charakter als etwa «Regionale» in Basel oder «Heimspiel» in St. Gallen. Da haben wir uns gedacht: Wer will schon regional sein, wenn man auch zentral! sein kann?

Welche Rolle spielen diese regionalen Leistungsschauen in einer globalisierten Kunstwelt?

Lokal tätige Kunstschaffende können so in der Region ausstellen und mit dem Kunstmuseum Luzern eine renommierte Institution im Lebenslauf auflisten. Viele Kunstschaffende wünschen sich Bewertungen und eine professionelle Selektion. Die meisten wollen nämlich gar nicht, dass alles hier Produzierte sozusagen unjuriert gezeigt wird. Es geht auch um Anerkennung. Als Museum haben wir einerseits den Auftrag, international zu agieren, und andererseits eine schweizerische und auch regionale Kunstwelt zu zeigen. Diese Mischung ist wiederum interessant für Besucherinnen und Besucher, die auf diese Art oft etwas zu sehen bekommen, wofür sie vielleicht gar nicht gekommen sind. Für uns als Museum ist aber auch der Vernetzungsprozess zwischen Kunstschaffenden und Institutionen elementar. Wir brauchen diese Verwurzelung und können so das lokale Kunstschaffen unterstützen.

Eine Unterstützung für Kunstschaffende geschieht also primär in Form von Wertschätzung und professioneller Anerkennung?

Ich hoffe, dass künftig Honorare dazukommen. Aktuell führen wir diverse Gespräche darüber, wie man ein sogenanntes Artist Fee ermöglichen könnte, auch wenn dieses bei so vielen Teilnehmenden wohl kaum hoch ausfallen dürfte. Wir wollen aber wirklich nicht den Eindruck vermitteln, dass sich die Kunstschaffenden glücklich schätzen dürfen, wenn sie hier ausstellen dürfen. Heutzutage ist die Geldfrage relevanter als noch vor zehn Jahren.

Glaubt man einem bekannten Mythos, profitieren Institutionen bei regionalen Produkten von besonders viel Publikum.

Das stimmt so nicht, wir sehen es ja konkret an den Publikumszahlen, dass nicht auffällig mehr Menschen als zu anderen Ausstellung kommen. Im Gegenteil! Die Eröffnungszeremonie zieht sehr viele Leute an. Danach läge es aber auch an den teilnehmenden Kunstschaffenden, für mehr Publikum aus ihren Reihen zu sorgen und aktiver Werbung zu machen.

Mythenbehaftet ist auch das Auswahlverfahren. Sie haben letztes Jahr angekündigt, dass es auch hier Neuerungen geben wird.

Das wurde primär von aussen an mich herangetragen. An der Ausstellung wurde kritisiert, dass immer die gleichen Künstlerinnen und Künstler zu sehen sind. Aber aus meiner Sicht bedeutet es eben schon etwas, wenn immer die gleichen Namen ins Spiel gebracht werden, obwohl die Jury Jahr für Jahr komplett wechselt bis auf die eine Person aus unserem Haus – 2019 waren wir alle neu, sogar ich. Nachgedacht habe ich über eine Sperre von ein bis zwei Jahren für Personen, die gerade ausgestellt hatten – und die Idee verworfen. Ich nehme die Einschätzung ernst, dass die, die immer wieder ausgestellt sind, Jahr für Jahr positiv bewertet werden und herauszuragen scheinen. Verzichtet man kategorisch auf diese, wird die Ausstellung vielleicht einfach langweiliger und ist auch ein verfehlter Blick. Ich habe mir aber vorgenommen, dies im Auge zu behalten.

Gab es weitere Ansätze?

Überlegt habe ich auch, ob man die Anzahl der Ausstellenden verringern sollte. Aber in den Räumen kommen wir gut zurecht mit den 28 Positionen und die Selektion war einfach wieder stimmig. Wir konnten und wollten niemanden mehr rausjurieren. Aber wer weiss, was sich in den kommenden Jahren noch verändern wird! Ich bin interessiert an einem Prozess. Mir lag es fern, 2019 die Jahresausstellung zu übernehmen und alles ändern zu wollen. Veränderung heisst ja nicht immer Verbesserung. Ich will den Ort und die Szene besser kennenlernen, was leider 2020 etwas schwierig war.

Zu Ihrem Antritt im Kunstmuseum Luzern hatten Sie offensiv Geschlechterverhältnisse in der Kunstwelt thematisiert. Welche Rolle spielte das für den Auswahlprozess von «zentral!»? 15 von 29 Kunstschaffenden sind in diesem Jahr Frauen.

Interessant war, dass sich sowohl bei der Altersdurchmischung als auch beim Geschlechterverhältnis praktisch organisch ein Gleichgewicht ergeben hat. Diese Kategorien – Alter, Geschlecht, Herkunftskanton, aber auch Medium – laufen allerdings schon immer mit in den Köpfen der Jurymitglieder. Wenn es nicht so gewesen wäre, hätte ich es aber auch nicht abgesegnet. Ich bin geprägt durch viele Jahre Jury-Tätigkeit, diese Aspekte habe ich inzwischen verinnerlicht.

Gab es dann überhaupt Änderungen im Auswahlverfahren?

Nicht wirklich und irgendwie doch. Die Jury hatten wir gerade zu meiner ersten Jury-Leitung erweitert. Eine zusätzliche Vertretung aus einem Kanton hat die Jury auf fünf Personen inklusive mir erweitert. Neu besteht die Möglichkeit, ein Feedback zu erhalten, das wird aber bis anhin nur vereinzelt in Anspruch genommen. Wir wollen damit auch unsere Arbeit vermitteln, um Mythen rund um die Bewertung und Auswahl zu verringern. Auf das Absageschreiben kommt meistens keine Reaktion zurück, ab und zu gibt es allerdings auch heftige Feedbacks.

Gibt es belastbare Daten zu Rhythmen oder Geschlechterverhältnissen?

Eine klare, einfache Statistik über viele Jahre zurück existiert nicht. Wir wissen viel in loser Form. Eine Anmerkung zu den Kantonen möchte ich hier anbringen: Dieses Jahr zum Beispiel hatten wir 150 Eingaben aus Luzern aber nur vier aus Uri. Manchmal ergibt es sich dann, dass auch mal niemand ausgewählt wird aus einem bestimmten Kanton. Von den 22 Eingaben aus Zug und 21 aus Schwyz zeigen wir je drei Positionen dieses Jahr. Aber ich will der Jury nicht eine Art Statistik vorlegen als Richtschnur. Das Jurieren wäre dann nicht mehr authentisch. Eine Findung, wo all die genannten Punkte beachtet werden, muss sich mehr oder weniger im Prozess entwickeln können.

Sie haben 210 Eingaben und zeigen am Ende 28 Positionen. Was passiert dazwischen?

Die Jurymitglieder bekommt die Eingaben digital und sichten sie. Weil man irgendwie anfangen muss, haben wir – das klingt vielleicht etwas hart – drei Kategorien: A, B und C. Schnell sehen wir, wo viele A vergeben wurden, und diese Gruppe besprechen wir dann intensiv. Wo überwiegend mit C bewertet wurde, diskutieren wir nicht mehr lange. Ausserdem hat jedes Jurymitglied eine Art Patenschaft im Sinne eines positiven Vetorechts. Auf diesen Grundlagen besprechen wir dann Eingabe für Eingabe. Wir reden wahnsinnig viel, alle sind unglaublich engagiert und sehr gut vorbereitet. Wir ziehen das an einem Tag durch, behalten so den Überblick über das gesamte Feld der Bewerbungen.

A, B, C erinnert an Ratingsysteme für Kreditwürdigkeit von Unternehmen oder Staaten. Gibt es auch vorher festgelegte Kriterien?

Die Aufgabenstellung lautet: Beurteile die Arbeit, weil die stellen wir nachher aus! Ein ausführliches Dossier mit CV und weiteren Werkabbildungen legen manche Künstlerinnen bei, aber längst nicht alle. Wir suchen nicht eine Person aus, um dann anschliessend über Werke nachzudenken, die ausstellbar wären. Hinzu kommen eben die Faktoren Kanton, Alter und Geschlecht. Wenn man eine Arbeit schon mal gut findet, wird das wahrscheinlich eher verstärkt, wenn die Künstlerin aus einem kleinen Kanton wie Nidwalden kommt. Aber zuerst kommt die Arbeit und ob sie uns packt.

Was packt Sie denn konkret? Geht es hier um singuläre künstlerische Qualität oder muss es einfach in den Kontext der Jahresausstellung passen?

Insgesamt kommt da einiges an Kriterien zusammen in der Jury, weil ihre Mitglieder verschiedene Profile mitbringen. Ich habe als Kuratorin immer den Blick auf die Ausstellung und ob eine Arbeit kombiniert mit anderen in die Räume passt. Die Kunstschaffenden in der Jury sind viel näher am Werk. Sie gucken auf die Technik und können auch noch mal genauer einschätzen, ob gute Lösungen für schwierige Probleme gefunden wurden; ob das Werk durchdacht ist, ob eine gewisse materielle und technische Qualität vorliegt. Wichtig ist uns, dass ein Werk zeitgemäss ist – ob nun mit Blick auf das Material und den Umgang damit oder die behandelten Themen.

Eine Vielzahl von Bewertungskriterien ist charakteristisch für zeitgenössische Kunst und wird bei einer Jahresausstellung einfach sehr konkret. Wie gehen Sie damit um?

Ich glaube, Transparenz ist der richtige Weg. Die Jury braucht gleichzeitig auch Freiheiten. Wir wollen nicht, dass etwa die Presse bei der Juryarbeit dabeisitzt oder das ganze Verfahren auf Demokratie umstellen und die Leute abstimmen lassen. Für einmal könnte ein solches Experiment lustig sein. Aber es gibt das professionelle Auge und uns als Instanz, um dem Publikum etwas begründet zu zeigen. Ich habe die Ambition, eine gute Ausstellung zu machen, nicht nur Kategorien wie Geschlecht, Alter, Herkunft und Medium durchzuackern. Dafür stehe ich dann gerade und hoffe, dass Kunstschaffende und das breite Publikum die Ausstellung genauso mögen wie ich.

 

Hinweis

zentral!
SA 5. Dezember bis SO 31. Januar
Kunstmuseum Luzern

Eröffnungstag (gratis Eintritt)
SA 5. Dezember, 11 bis 18 Uhr