Zehn Töne und ein Sog

Musik ist nicht nur ein Song, der uns ins Ohr schmeichelt. Oder eine harmonische Abfolge von sonstigen Vertrautheiten. Manchmal ist Musik schlicht ein Sound, der uns ergreift oder irritiert. Das erste Solo-Album von Raphael Loher lässt uns keine Wahl. Wir hören hin, werden aufmerksam, werden mitgezogen. Es ist ein Sound aus präparierten Klavierklängen, der nicht nur klanglich, sondern auch formal und rhythmisch in Bann zieht. Reduktion und Repetition sind die Parameter, mit denen Loher sein 33-minütiges Solo-Werk aufbaut, das in vier Tracks unterteilt ist.

Das Album beginnt mit ruhigen Einzelklängen. Die präparierten Töne aus dem Flügel schwingen mit einem betörenden Schimmern. Die präzise und ruhige Spielweise mit ihrem schwebenden Sound zieht einen unmerklich hinein. Auf den folgenden zwei Tracks flirren die Klänge in schillernden Patterns und legen ein klares Abfolgemuster in das energetische Feld. Unablässig und mit Drive – im Tempo 150 bpm – repetieren sich die Figuren, wobei sie sich in Nuancen verwandeln und das zeitlose Spiel von Werden und Vergehen in stetigem Flow in unsere Köpfe und Körper hämmern.

Knetmasse auf Klaviersaiten

Der Ostschweizer Musiker, der seit seiner Jazz-Ausbildung in Luzern lebt und arbeitet, hat sich in den letzten Jahren mit einer eigenen Stimme und auch als Veranstalter bei der Kulturbrauerei in der hiesigen Musikszene bemerkbar gemacht. Spätestens mit dem Kali Trio und dem Trio Baumschule (mit Manuel Troller und Julian Sartorius) rückte er als sensibler Klanggestalter diskret ins Rampenlicht. Die Idee für ein Solo-Album trug er schon lange herum. «Ich habe jahrelang an Ideen gearbeitet. So lange, dass ich sie am Ende nicht mehr gut fand und verworfen habe.»

Der Durchbruch kam Ende 2019, als Loher eine Präparation entdeckte, die ihn nicht mehr losliess. Mit dieser Präparation aus Knetmasse, die er auf die Saiten seines Klaviers drückte, und einer Beschränkung auf zehn Töne begann er während Wochen in immer wieder neuen Variationen selbstvergessen zu experimentieren. Ihn beeinflusst haben ausserdem zwei Stücke der Elektronik-Musikerinnen Beatrice Dillon und Laurel Halo: Zu Dillons «Oneiroi» und Halos «Workaround Eight» spielte Loher stundenlang. So schärfte er sein Gefühl für die Tempi und vor allem für die Vibes dieser Stücke.

Das Interesse für elektronische Musik ist bei Loher in den letzten Jahren gewachsen. Inzwischen macht er auch selber Versuche, gewisse Teile seines Klaviermaterials mit dem Laptop weiter zu transformieren. Dessen ungeachtet bleibt der Flügel, der in seinem Atelier in Kriens im neuen Bellareal steht, ein Hauptfokus. Stundenlang kann Loher an diesem Instrument eintauchen, bis sich die Musik herausschält, die in ihm schwingt und dann auch auf Tonträger oder im Konzert ihre sanfte Magie entfaltet.

Raphael Loher: Keemuun 
Three-Four Records, 2022

 


041 – Das Kulturmagazin
Dezember 12/2022

Text: Pirmin Bossart

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