Unterwegs zum Casi, am Quai: R’n’B, Cardi B, jong ond hässig, Mega Kebab. Dann 30 Minuten anstehen, vier Zuger Maturanden verkürzen die Wartezeit: «Ey Alte, hesch en Grinder?» – «Nei Mann, geb mer Fanta Lemon zum Mixe!» – an dieser Stelle liebe Grüsse und viel Spass in der RS!

Drinnen im Casi wimmelt es vor Yung-Hurn-Mini-Me's: magere braunhaarige Jungs mit Oberlippenflaum, Ponyhaarschnitt und unpackbar grossen weissen Turnschuhen. Reduziert auf drei Keypieces, sieht die Crowd in etwa so aus:
Ausserdem auf dem Dancefloor: Crop-Tops à discretion, Ohrringe extra lit und Plateausandalen mit Samtbezug. Und weshalb sind die alle hier? Ach ja, wegen Yung Hurn.

Aber bevor Yung Hurn kommt, brauchen die Millenials dringend mehr Drinks. Sie tanzen ein bisschen zu ihren Hits, sind aber meistens mit sich selber und ihren Dramen beschäftigt. Ein besonders beliebtes Lied geht so:
Snapchat und Insta verändern auch die Tanzkultur: Die maximale Tanzdauer verhält sich proportional zur Länge eines GIFs. Das Bewusstsein für Posen ist hoch, hochkonditioniert. Hier ein «Skrrrratatata»-Ellbogen-in-die-Leiste-rammen, dort ein flüchtiger Sporthosen-Twerk. Mehr liegt nicht drin am Stück.
Eingefleischte Yung-Hurn-Fans sind übrigens viele da. Sie zeigen ihre Loyalität (abgesehen von den Haarschnitten) insbesondere durch T-Shirts:

Die meisten sind sich einig, dass gerade Hurns Daneben-Sein ihn so cool macht. «Dä könnt nüüt!», «Är esch eifach so z'vell!», «So en Assi!» – Qualifikationsmerkmale für Coolness.
Yung Hurn, der mit bürgerlichem Namen Julian Sellmeister heissen soll (wie die Luzerner Zeitung unlängst berichtete), kommt aus Wien und wohnt inzwischen in Berlin. War ja klar, oder? Dort ist er Teil des Kollektivs «Live from Earth», das unter anderem seine Youtube-Videos produziert. Sogar Vice war mit denen mal unterwegs. Sie nennen sich «internationales Künstlerkollektiv» – und wenn man Yung Hurn aus dieser Perspektive betrachtet, ist er grenzgenial. 100 Jahre nach Ausbruch der Dada-Bewegung katapultiert er den Dada auf ein ganz neues Level. Wenn man seine Musik für bare Münze nimmt, ist er unerträglich. Ihn live zu sehen ist allerhöchstens aufgrund kultursoziologischer Gesichtspunkte verlockend. Denn irgendwie ist sein angenervtes Genuschel auf den Aufnahmen hintersinniger als sein Live-Geschrei. Und seine Videos reizvoller als sein Live-Auftritt.
Yung Hurn. Kunst verbindet
Angekündigt ist im Casineum ein 30-minütiges Set. Und tatsächlich: Um exakt 1.30 Uhr hüpft Yung Hurn auf die Bühne, und die Crowd kennt kein Halten mehr. Sie stürmt die Stage, bewaffnet mit Insta-Stories und offenen Snapchats. Sie will Content. Jetzt. Nach wenigen Minuten muss sich Hurn hinter's DJ-Pult verziehen. Fast wäre eine Schlägerei ausgebrochen. Show-Unterbruch.
Zustimmende Schreie. Hurn kommt zurück, endlich oben ohne.
«Ok Cool» – chrzztsch – Mikrofon kaputt, ok cool.
Ist die Mikro-Panne extra? Eingeplant in den performativen Akt? Oder wieso dauert es so lange, bis ein Ersatz herbeigeschafft wird? Inzwischen hat die ganze Crew ein Frotteetüechli um den Hals – kommt sie jetzt wirklich ins Schwitzen?
Ok Leute, geht gleich weiter.
Dass Hurn hunderte Teenager dazu bringt, seine Kokain-Hymne «Bianco» mitzujohlen ...
(bitte aussuchen)
a) ... stimmt nachdenklich. Die Berührungsängste mit Drogen sinken immer weiter.
c) ... ist irgendwie abartig. Checken die das überhaupt?
d) ... macht gar nix. Die Teenies sind nicht so dumm, wie man vermuten könnte.
Ey, Leute, danke, danke, danke...
Ok, einmal Zugabe noch, ja? Ja ja, ok.
Nochmal «Ok Cool». Nicht, dass er nicht noch mehr Songs hätte. Aber das ist der Song mit sieben Millionen Views auf Youtube, eine Safe-Sache.
Danke Leute, war Bombe, ich liebe euch.
Von den 30 Minuten war Hurn vielleicht 20 Minuten sichtbar und hat davon 10 Minuten gesungen/gerappt/geredet.
