Wochenende des Wissens: unsere Aha-Momente

Südpol, Kriens, 24.01.2020: Antworten auf die grossen Fragen, kurz und knackig, mit anschaulichen Beispielen und pointiert erklärt: Diesen Ansprüchen stellt sich aha – ein Festival für das Wissen. Wir haben die wichtigsten Erkenntnisse der wissenschaftlichen Vorlesungen zusammengetragen.

Fotos: Franca Pedrazzetti

Die Wissensvermittlung des in diesem Jahr zum zweiten Mal durchgeführten aha-Festivals besteht aus klassischem Frontalunterricht. Auf der Bühne sprechen die Expert*innen, im Saal hört das Nicht-Fachpublikum zu. Und doch ist das Lernen in Gesellschaft, zu Bier und in abendlich-lockerer Stimmung besonders. Ausserdem besteht am aha-Festival keine Gefahr, dass sich hinter schillernden Referatstiteln schläfrige Professor*innen verbergen, die monoton (und selbstverständlich ablesend) ihr Thema herunterrattern. Prickelnde und brenzlige Fragen werden hier allesamt von Expert*innen ergründet, die rhetorisch gewandt, oft sehr charismatisch und lustvoll über ihre Themen sprechen.

aha – ein festival für wissen

Wir sind am Eröffnungstag des Festivals durch die Vorlesungssäle des Südpols getingelt. Für alle, welche das Wissensfestival verpasst haben oder all jene, die dem intensiven Vortragsmarathon gelegentlich etwas entschlummert sind, haben wir die wichtigsten Take-Home-Messages zusammengetragen:

Vortrag N° 1: Warum und wie bilden wir uns eine eigene Meinung?

- Bullshit ist neuerdings ein Fachwort und beschreibt für den Philosophen Philipp Hübl «Unfug aller Art»

- Die Diagnose des postfaktischen Zeitalters ist falsch. Früher wurde noch viel mehr Bullshit geglaubt. Newton hat beispielsweise die meiste Forschungszeit auf Alchemie verwendet, Schopenhauer glaubte an Mesmerismus und Kant stellte abstruse Theorien zu Körpersäften auf.

- Statistisches Denken verleitet zu Fehleinschätzungen, weil das subjektive Gefühl der Bedrohlichkeit mit der objektiven Wahrscheinlichkeit verwechselt wird. Beispielsweise haben die Deutschen Angst vor Terroranschlägen, wobei die wahre Gefahr zuhause lauert: 160'000 Deutsche verstarben in den letzten 17 Jahren beim Fall von der Leiter, beim Möbel verstellen oder weil sie über den Teppich stolperten. Im Vergleich dazu: Im gleichen Zeitraum kamen 16 Personen durch terroristische Angriffe um.

Vortrag N° 2: Was will China in Europa?

- Die perfekte Diktatur wird nicht nur in China ausgeführt, sondern gibt es auch als Song:

- China ist eine Controlocracy: sie diktieren nicht, sondern kontrollieren.

- Die strategische Kursrichtung Chinas unter Partei- und Staatschef Xi Jinping erklärt, weshalb letzte Woche eine achtseitige China-Beilage zusammen mit der Luzerner Zeitung ausgeliefert worden war, in der die Niederschlagung des Student*innenaufstands auf dem Tian’anmen-Platz als ‘Zwischenfall’ betitelt wurde. Diese Propaganda bezahlt hat die chinesische Botschaft. Der publizistische Leiter von CH Media, Pascal Hollenstein, sagte gegenüber dem Tagesanzeiger: «Die Redaktion lehnt die Inhalte weitgehend ab. Das geht auch aus unseren Kommentaren und Artikeln zu China im redaktionellen Teil der Zeitung klar hervor.» Die Beilage sei nichts anderes als ein grosses Inserat.

aha – ein Festival für das Wissen

- Auch Wissenschaft streitet, zweifelt und übt Selbstkritik. Und deshalb verlangen insbesondere kontroverse Positionen wie die These, Chinas Diktatur nehme faschistische Züge an, eine offene Fragerunde, damit kritische Impulse diskutiert werden können. Umso mehr, wenn beide Referenten – in diesem Fall Stein Ringen und Kai Strittmatter – in ihrer Haltung gegenüber der Politik Chinas absolut gleicher Meinung sind.

Vortrag N°3: Was ist ich – und was Maschine?

- Gefällt Ihnen diese Musik? Sie wurde von einer Software komponiert. Und konfrontiert Hörer*innen mit der Frage: Kann KI kreativ sein? 

- KI ist ein unglaublich schillernder Begriff. Würde die Software «Automated Statistics» genannt werden – was sie im Grunde ja auch ist – wäre sie vermutlich nicht zur Projektionsfläche für all die technophilen Zukunftsutopien geworden.

- Künstliche Intelligenzen sind absolute Spezialisten. Sie schlagen weltweit die cleversten Schachspieler, Go-Spieler oder Quizz-Show-Teilnehmenden. Aber sind sie intelligent? Naja. Ausserhalb ihrer programmierten Expertise sind sie jedem Kleinkind unterlegen.

Vortrag N°4: Was geschieht, wenn es 24 Stunden lang kein Internet gibt?

- Moritz Metz hat das Internet physisch aufgesucht. Herausgekommen ist eine Quasi-Reisereportage auf der Spur dieser unsichtbaren Infrastruktur, mit Bildern von Kabelkästen in Luzern, Norddeutschland oder vor Trumps Florida-Residenz.

- Ein Internetausfall zuhause ist hinnehmbar, bestenfalls führt es zu etwas Digital Detox, im ungünstigsten Falle zum Ausbleiben der Fodoora-Bestellung oder zu Problemen, das Gebiss-App mit der elektronischen Zahnbürste zu konfigurieren. Schwieriger wird es bereits, wenn der SBB-Fahrplan lahmliegt. Ernsthaft, wenn politische Motive für den Ausfall verantwortlich sind: Beispielsweise der Shutdown in Iran, die kurzzeitige Reduktion des Internetzugangs in Togo während den Wahlen, die Blockierung von Wikipedia in der Türkei oder wenn in China das Internet in Coronavirus-Krisengebieten heruntergefahren wird. Das aktivistische Internet-Observatorium Netblocks.org informiert live über ungewöhnliche Anzeichen im Internet weltweit. Lesenswert!

- Ausserdem Fun Fact: Internet war mal so neu, dass die Sprache dafür erst geschaffen werden musste. Beweis: Eurovision Song Contest 1996.