«Wir sind tapfer»

Das Luzerner Schauspielensemble produziert Stücke, doch Aufführungen bleiben bis auf Weiteres verboten. Am Luzerner Theater sucht man derweil Lösungen, um sämtliche Inszenierungen zeigen zu können – doch die Zeit drängt.

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Bild: Ingo Hoehn

Der Jahresbeginn wäre aufregend geworden am Luzerner Theater mit Premieren in sämtlichen Sparten: Die Oper «Cendrillon / Aschenputtel» war als eine der grössten Produktionen der Saison angelegt, die Stücke «Schilten» und «Tanz 35: Alice» waren fertig produziert und geprobt. Es hätte die Rückkehr des Theaters auf die Bühne bedeutet – hätte. Die Pandemie verordnet den Konjunktiv; die Pforten der Spielstätten bleiben aufgrund der behördlichen Massnahmen bis mindestens Ende Februar geschlossen. Die Kultur verharrt diesen Winter im Lockdown.

Dies stellt das Luzerner Theater vor Probleme. «Schilten» hätte am 22. Januar Premiere gefeiert, Aufführungen waren bis Ende Februar geplant; somit fallen nun sämtliche Spieldaten in die Zeit der pandemiebedingten Schliessung. Eine zentrale Rolle in dem Stück hätte Wiebke Kayser gespielt. Die Schauspielerin gehört zu den bekanntesten Gesichtern des Ensembles, schliesslich ist es ihre 13. Spielzeit am Luzerner Haus.

«Ich bin froh, dass ich diese ganzen Verschiebungen nicht organisieren muss.»

Wiebke Kayser

Als der Bundesrat den Kultur-Lockdown um fünf Wochen verlängerte, hatte die Schauspielerin den ganzen Tag durchgehend geprobt. Sie hofft, dass die Inszenierung von Hermann Burgers Roman noch zur Aufführung kommt – auch wenn die geplanten Daten nun ausfallen. «Wir tun so, als gäbe es eine Premiere, anders ginge das nicht», sagt die Leipzigerin. Noch sei die Stimmung gut, sagt sie: «Wir haben Humor. Und wir sind tapfer.» Und doch gebe es die Zwischenräume, in den Pausen etwa, in denen man auch die Fragen diskutiert: Was wäre, wenn alles abgesagt würde?

Es braucht Flexibilität

Noch ist es nicht so weit. Das Luzerner Theater will die Aufführungen, die fertig produziert sind, auch vors Publikum bringen. Definitiv abgesagt wurden erst die zwei grossen Opern und das Stadion-Stück «Happy End auf der Allmend», das in Kooperation mit dem FC Luzern in der Swissporarena aufgeführt worden wäre. Dort zog man die Reissleine, bevor die Stücke ganz fertig produziert waren und als noch nicht zu viel Aufwand investiert worden war. Bei «Schilten» ist dies anders, dort ist man bereit und muss nun Alternativen suchen, damit das Stück gespielt werden kann. «Ich bin froh, dass ich diese ganzen Verschiebungen nicht organisieren muss», sagt Wiebke Kayser.

«Wir tun so, als gäbe es eine Premiere, anders ginge das nicht.»

Wiebke Kayser

Für die Sparte Schauspiel ist dies die Aufgabe von Sandra Küpper. Eine Absage, sagt sie, sei der letzte Schritt, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. «Wir haben da eine Verantwortung», sagt die stellvertretende Intendantin und Schauspielleiterin. Sie meint damit nicht nur, dass bereits viel Geld in diese Produktionen geflossen ist: «Theater ist auch ein Raum, in dem Austausch über gesellschaftliche Themen passiert. Das ist unsere Kernaufgabe, deshalb machen wir Theater.»

Um die Stücke nicht absagen zu müssen, sucht Küpper in den kommenden Tagen und Wochen nach Alternativen. Sie sagt, man prüfe Möglichkeiten flexiblerer Spielsysteme und tausche sich mit Kolleginnen und Kollegen der internationalen Theaterszene aus. Man schliesst also auch neue Spielorte und Aufführungen an Theaterfestivals nicht aus. Auch die definitiv abgesagten Opern-Produktionen geben Luft im Spielplan und eröffnen vielleicht Möglichkeiten. Konkret war Mitte Januar noch nichts und Küpper sagt: «Die Bedingungen verlangen, dass unser gesamtes Team sehr flexibel bleibt.»

«Der Sommer ist die Deadline.»

Sandra Küpper

Von einer Verlegung ins Digitale, wie dies andere Schauspielhäuser tun und es das Luzerner Theater etwa beim Stück «Taylor AG» umgesetzt hatte, ist Küpper noch nicht restlos überzeugt. Sie sagt: «Digitalität ist nicht die Antwort auf Theater. Wir können seit Mitte Dezember nicht mehr vor Zuschauern spielen. Interessante digitale künstlerische Ideen brauchen Zeit. Die Stücke, für die wir jetzt gerade Lösungen suchen, brauchen wiederum die Bühne.» Das sei bei der «Taylor AG» anders gewesen, da es um eine Serie ging, die sowohl den digitalen wie den analogen Raum ermöglicht hatte.

Wiebke Kayser an den Proben zu «Schilten»
Wiebke Kayser an den Proben zu «Schilten». (Bild: zVg)

Wird der Kultur-Lockdown über den März hinaus verlängert, werden noch mehr Stücke tangiert sein: So startet «Tell: eine wahre Geschichte» planmässig gleich nach Ablauf der jetzigen Lockdown-Frist. Und auch die anderen Sparten müssten sich plötzlich noch stärker mit Verschiebungen auseinandersetzen. Kurz: Der Raum im Spielplan für Verschiebungen wird immer enger, denn das Spielzeitende lässt sich nicht nach hinten verschieben.

Der im Sommer anstehende Intendanzwechsel verkompliziert die Sache zusätzlich. «Der Sommer ist die Deadline», sagt Küpper. Denn der Transfer von Stücken in die neue Saison wird durch die Übergabe der Leitung fast unmöglich, die Planung für die Premierensaison der neuen Intendantin Ina Karr ist lange abgeschlossen. Gut zwei Jahre Vorlaufzeit brauchen Theaterproduktionen, der Terminkalender der nächsten Saison ist bereits vollgepackt. So steigt die Wahrscheinlichkeit einer ersatzlosen Absage der Stücke rasch, wird der Kultur-Lockdown über Ende Februar hinaus verlängert.

«Wir werden einen Weg finden, unseren Abschied gebührend zu feiern.»

Sandra Küpper

Dazu kommt, dass es Sandra Küppers letzte Spielzeit am Luzerner Theater ist; Katja Langenbach übernimmt die Leitung der Sparte Schauspiel im Sommer. Doch Küpper macht sich keine Sorgen, ihre Zeit in Luzern still ausklingen lassen zu müssen. «Wir werden einen Weg finden, unseren Abschied gebührend zu feiern», sagt sie.

«Ich fühle mich erholter»

Der Spielstopp hat indes weitere Folgen, nicht alle davon sind unangenehm. Da die Proben unter der Woche stattfinden, die Aufführungen am Wochenende aber ausfallen, hat Wiebke Kayser plötzlich mehr Zeit für sich. «Ich fühle mich erholter», sagt sie. Als Ensemble-Schauspielerin probt sie normalerweise tagsüber neue Stücke, abends zeigt sie die fertigen Produktionen auf der Bühne. Ein mentaler Kraftakt, zwischen den Stücken hin- und her zu wechseln. «Momentan kann ich mich ganz auf dieses eine Stück konzentrieren. Das ist ein Privileg.»

«Durch den Spielstopp lerne ich zu schätzen, was wir am Theater tun», sagt die Schauspielerin. «Eine Gesellschaft ohne Kunst, ohne Auseinandersetzung wird emotional ärmer.» Auch lerne man, wie fragil die Konstrukte seien, in denen sie sich vorher jahrelang bewegt hatte. Sie vermisst die Bühne: «Das Spielen vor begrenztem Publikum ist immer besser als keine Aufführungen. Die Leute sind offener, näher bei uns. Das Theater wird umso mehr geschätzt.» «Schilten» ist ihre letzte Produktion in dieser Spielzeit. Doch selbst wenn das Stück nie zur Aufführung kommt, ein Abschied wäre es nicht. Die Schauspielerin bleibt dem Ensemble auch unter der neuen Leitung erhalten. Ein Glücksfall für Luzern, der die Freude schürt auf ein besseres Danach.