Wie soll man das ertragen ohne zu schlafen?

Andreas Hermann inszenierte am Luzerner Theater «HAMLET. DER TAG DER MORDE», das im Nachlass des 1989 an AIDS verstorbenen Franzosen Bernard-Marie Koltès gefunden wurde. Die Welt-Urauffürung fand 2006 im Elsass statt, die Schweizerische gestern in Luzern. Und es wird einem völlig verständlich, weshalb dieses Stück so lange nicht aufgeführt wurde.

Das Luzerner Theater sitzt zwischen den Stühlen. Einerseits muss es ein provinzielles Premierenpublikum befriedigen, andererseits hat es doch einen künstlerischen Anspruch. Daraus resultiert meistens ein gutschweizerischer, goldener Mittelweg mit dem zwar niemand wirklich zufrieden ist, jedoch jeder leben kann. Man hat sich daran gewöhnt. «HAMLET. DER TAG DER MORDE» ist aber speziell farblos. Man fragt sich, weshalb, wenn nicht als reine Fingerübung, ein Autor Shakespears «Hamlet» auf die vier Hauptfiguren Hamlet, Ophelia, Claudius und Gertrud zusammenkürzt, die Aussenwelt ausradiert, sodass es keine Fluchtmöglichkeit aus der familiären Tragödie gibt. Dies könnte ein fähiger Regisseur genausogut mit dem Originaltext. Dass das Stück erst in Koltès' Nachlass aufgeaucht ist, liefert eine mögliche Antwort. OK, er hat noch den Generationenkonflikt viel offener und herausfordernder behandelt als das Original, in dem Hamlet nie direkt einen Anspruch auf den Thron erhebt. Auch sterben beim grossen Morden neu noch Claudius und Gertrud. Aber ob das über die 100-minütige Langeweile, die das Stück verbreitet, hinwegtrösten mag?

An den Schauspielern kanns nicht liegen. Die sind eigentlich ganz okay. Nicht Weltklasse, aber zumindest engagiert und gut bei der Sache. In seinen besten Momenten lässt Samuel Zumbühl des Hamlets Wahnsinn regelrecht in sich hineinfahren und das rockt! Samia von Arx als Ophelia wirkt daneben stellenweise – nicht erst nach ihrem Tod – blass. Dafür schaut sie sonst gut aus. Jörg Dathe als schleimiger «Bösewicht» Claudius ist bestimmt eine sehr gute Besetzung. Die Message kommt rüber. Wiebke Kayser ist bereits in den 90er- Jahren des letzten Jahrhunderts mit Robert Wilson – der u.a. Tom Waits' «Alice» inszenierte – um die Welt getourt. Dort brillierte sie als Grechen in «Doctor Faustus lights the lights». Heute ist sie Gertrud, Gattin des Claudius, Mutter des Hamlet. Verwirrt, verängstigt, mit traumwandlerischer Sicherheit. Als Bühnenbild werden von der Decke sechs grossflächige Papiervorhänge hintereinander gehängt. Immer schön zwei nebeneinander. Dies gibt eine gute Ahnung von der Atmosphäre an den Höfen der Welt. Die Wände sind aus Papier, jeder hört mit, irgendwo. Gegen Ende des Stücks werden sie dann auch verstümmelt und heruntergerissen, was wahrscheinlich die Aflösung in den Seelen der Protagonisten symbolisieren soll.

«Wie soll man das ertragen ohne zu schlafen?», mit diesem Aufschrei weckt mich Hamlet, einige Zeilen bevor er zum bedeutungsschwangeren «Sein oder nicht Sein»-Satz anlegt, der im Publikum aus unerforschten Gründen irgendwie peinliche Berührung auslöst. Frag das nicht mich, Hamlet, sondern deinen Regisseur. Ein Drittel des Textes hätte es getan, und es wäre dank der Kürze, den Schauspielern und dem Bühnenbild eine ganz anschauliche Aufführung geworden.

Fotos: zvg/Ingo Höhn,dphoto.ch «Hamlet. Der Tag der Morde»: Weitere Vorstellungen bis 23. Mai. www.luzernertheater.ch