What would Fredy do?

Am 22. August ist der Musiker Fredy Studer im Alter von 74 Jahren verstorben. Er war eine Schlüsselfigur der improvisierten Musik, des Jazz, des Rock. Und ein ausserordentlicher und authentischer Mensch. 

In den letzten Wochen wurde viel und liebevoll über Fredy Studer geschrieben. Man las über Fredy den Luzerner, der seine Stammbeizen und das Understatement liebte, der im Sedel übte und Karate trainierte. Man las auch über Fredy den Musiker, der mit OM die Bühnen Europas unsicher gemacht, mit Erika Stucky Hendrix-Tribute gespielt und mit Pierre Favre improvisiert hat.

Weniger vordergründig war Fredys vielschichtiger Einfluss, den er seit einem halben Jahrhundert auf die internationale Musikszene hatte: Hinter den Kulissen bei der Nottwiler Beckenfirma Paiste etwa war er jahrelang nicht nur als Produktentwickler und Berater tätig. Er nahm dort auch den legendären Led-Zeppelin-Schlagzeuger John Bonham unter Vertrag. Bald schlugen sich Leute wie Rod Stewart und Ronnie Wood an Fredys luzernischem Küchentisch die Nächte um die Ohren. Über die Jahrzehnte hinweg gingen – unter dem Radar, ohne grosses Trara – Superstars wie der Zappa- und Sting-Drummer Vinnie Colaiuta bei Fredy ein und aus.

Zu den vielen Freundschaften kamen unzählige Kollaborationen, die Fredy mit der internationalen Szene verbanden. Er musizierte mit Jack DeJohnette, John Zorn, John Abercrombie, Joe Henderson, Joey Baron, Jojo Mayer. Und das sind nur die Beispiele, die mit J anfangen. Fredy hinterlässt uns ein umfangreiches und grenzüberschreitendes Werk; alle oder alles aufzuzählen, würde diese Seiten sprengen.

Dass Fredy nie so etwas wie einen Schweizer Musikpreis (Grandprix, mindestens!) gewonnen hat, ist unter diesen Gesichtspunkten ein Versäumnis. Dieses ist wohl weniger auf seine Arbeit zurückzuführen als vielmehr auf die höfliche Distanz, die er zur selbstreferenziellen Seite der Musikwelt – wie übrigens auch zu Hochschulen und ähnlichen Institutionen – stets hielt. 

Wer in Fredys riesiges Œuvre eintauchen mag, sollte «Now’s the Time» hören und lesen: Seine Solo-Platte ist Musik gewordene Lebenserfahrung. Ein Meisterwerk. Co-produziert hat sie Roli Mosimann, der seinerseits Björk, New Order oder die Young Gods produzierte. Erwähnte Lebenserfahrung kann man im gleichnamigen Buch auch in Fredys Worten lesen. Sein langjähriger Freund Pirmin Bossart hat ihn dazu auf dem Vierwaldstättersee interviewt.

Ich habe Fredy erst spät kennengelernt und erlebte ihn als ausserordentlichen Menschen. Und zwar nicht nur hinter seinem knallgelben Gretsch-Kit. Sondern auch, wenn ich Zeit mit ihm, seiner Katharina und meinem Freund verbrachte. Ich glaube, er hinterliess bei allen, mit denen er zu tun hatte, einen bleibenden Eindruck. Er berührte. Er fehlt. Wenn ich mich in den letzten Wochen in einer unüberschaubaren Situation wiederfand, fragte ich mich manchmal: «What would Fredy do?» Darum hier der persönliche Versuch einer nicht abschliessenden Liste von Studer’schen Weisheiten.

 

NR. 1:

HÄNG AB

«I like to hang out», liess Fredy 2019 im Modern Drummer Magazine verlauten. Das ist eine leichte Untertreibung. Wer das Vergnügen hatte, Abende und lange Nächte mit ihm zu erleben, weiss, dass dieser Mann ein Meister der Hangouts war. Viel Wein, gute Geschichten, Musik, Kunst, philosophische Höhenflüge mit Tiefgang, Humor und viel Gemütlichkeit. Fredy war ein ebenso guter Erzähler wie Zuhörer. Und Musikhörer. Über diesen Gesprächen konnte die Nacht gut und gern wieder zum Tag oder aber zum Dämmerzustand werden. Nebst Ausgelassenheit wurden dabei fast immer glasklare Einsichten zu Tage gefördert.

NR. 2:

SEI EHRLICH

Fredy sagte ungeniert seine Meinung. Warum er das konnte? Weil er authentisch war. Jazz und Rock, Improvisation und Rebellion, waren für ihn nicht einfach Musikstile. Er lebte sie. Aufmerksam beobachtete und durchschaute er die Welt. War es an der Zeit für eine Ansage, kam er ohne Umschweife zum Punkt und packte komplexe Sachverhalte in entwaffnende soundbites, die bleiben. Humorvoll und prägnant. Monothematisch war er keinesfalls unterwegs. Seine Expertise reichte von den Beatles über Stockhausen bis hin zu Coltrane und Aphex Twin; oder von Nietzsche über Sushi-Messer bis hin zu frischen Mangos. Sein Talent und seine Offenheit gegenüber der Welt erlaubten es ihm, eine herausragende künstlerische Haltung zu entwickeln. Bei Fredy beruhte diese auf der Klarheit und Unmissverständlichkeit seiner Perspektive.

NR. 3:

BLEIB INTEGER

Im Umfeld von Kunst und Musik zu leben, wirkt ungeheure Kräfte auf einen aus. Man gerät künstlerisch oder auch mal politisch bisweilen an Grenzen. Fredy konnte in solchen Extremen existieren, das Wesentliche vom Unwesentlichen unterscheiden. Seine Lebens- und Abenteuerlust speiste sich aus seiner Neugier. Er war interessiert am Diskurs. Wusste er mal etwas nicht, hatte er überhaupt kein Problem, dies zu sagen. Fredy wusste, wie man mit Angst umgeht, und beugte sich nie dem bullshit. Er war unkorrumpierbar, seine Integrität ausserordentlich.

NR. 4:

ENTDECKE DEIN KORREKTIV

Fredy war ein Auge des Orkans. In seiner Nähe herrschte etwas, das man vielleicht als explosive Ruhe bezeichnen könnte. In ihm ruhte nämlich ein Karatemeister des dritten Dan, der einen physischen Konflikt innert zwei Sekunden hätte beenden können. Als ein Journalist ihn einmal fragte, vor wem er sich mit Karate schützen wolle, antwortete er: «Vor mir selber.» Karate habe ihn in Form gehalten, wenn er es mit den Partys übertrieben habe. Es ist egal, wer es womit übertreibt: Ein Korrektiv brauchen alle. Wir finden damit die Balance, die es uns erlaubt, Extreme auszuloten.

NR. 5:

FINDE DEN BOGEN

Wollte man von Fredy wissen, wie ein Gig war, bekam man eine Antwort, die in etwa so lautete: «Doch, der war gut. Er hatte einen guten Bogen.» Oder: «Du, es geht. Ich glaube, der Bogen hat nicht ganz funktioniert.» Als grosser Improvisator war er nicht nur in der Musik, sondern auch im Leben immer dem optimalen Energieverlauf auf der Spur. Einer Dramaturgie, die eine Message transportiert. Zeit mit Fredy zu verbringen hiess, gute Bögen zu erleben. Erlebnisse, die bleiben.

 

Danke, Fredy!

 


041 – Das Kulturmagazin Oktober 10/2022

Text: Katharina Thalmann
Bild: Emanuel Ammon und Dragan Tasic

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