Western, Noise and silent Movies – «Discover Sudpol» – starring Marc Ribot (pronounced REE-bow).

Heute befinden wir uns in einem Tiefdruckgebiet mit einer Intensität wie seit 45 Jahren nicht mehr. Wenn Sie also Kopfschmerzen haben und sich schlapp fühlen – alles wird gut. Zum Lokalteil. Der unter Anderem durch seine Zusammenarbeit mit Tom Waits, dem Rabaudi mit der Reibeisenstimme, bekannt gewordene Gitarrist Marc Ribot gastiert heute im Südpol. Möglich gemacht habens die Veranstalter von Discover, die schon seit geraumer Zeit erfolgreich Künstler, die mit ihrer Musik und nicht mit dem Namen überzeugen, nach Luzern holen. Weitere Tourschauplätze des Herrn Ribot sind/waren: Paris, Amsterdam, Rom und San Francisco.

Marc Ribot, du spielst auf und ich höre zu. Marc Ribot, einundzwanzig Franken und vierzig Rappen, am 5. März 2009. Ich drifte ab, in fremde Elysien. Marc Ribot, komm schon, spiel noch'n wenig weiter. Achte nicht auf die, die rauslaufen. Das tun sie bei jedem Konzert, das herausfordert. Und sowieso: Sind sich die Kritiker uneins, ist der Künstler im Einklang mit sich selbst. Der war jetzt geliehen. Von wem wohl? Marc Ribot, Punker, Chnuschti, genialer Dilletant. Waren die Probleme mit der Technik am Anfang gespielt? Nach 20 Jahren weisst du doch bestimmt, wo man ein Gitarrenkabel einstecken muss (?!?). Du spielst mit uns, right? Anyway. War trotzdem grossartig. Auch wenn ich dich schon überzeugender erlebt habe, mit Ceramic Dog in der guten, alten, toten Boa zum Beispiel. Brachialer bestimmt. Warten auf die Planierraupen. Diese Stücke, die du alleine und für uns spielst sind zarter. Pflänzchen in feuchter Frühlingserde. Keine Wucht, hauen nicht um. Sie brauchen Zeit, um zu wachsen. Hingabe & Engagement. Am besten begegnet man ihnen mit geschlosenen Augen. «Silent Movies» nennst du sie. Vertonungen von real existierenden Filmen, die es selten bis zur Veröffentlichung schaffen. Dies liege aber nicht an dir, bemerkst du. Natürlich nicht. Und wenn jemand von uns einen besseren Titel wisse, solle er nach dem Konzert zu dir kommen. Bescheiden. Sympathisch. Vielleicht gibt es keinen. Marc Ribot, alles in allem sind es diese Momente, für die es sich zu leben lohnt. Nicht für die nächste Welt. Du hast es gut arrangiert mit dem Wechselbad zwischen Noise und bekömmlicherem Western. Du machst Leute hungrig, Gitarre zu spielen.

Film ab. Ich liege an einem Hügel auf Gras und schaue elektrischen Monden nach, stampfe durch staubige Strassen vor runtergehuberten Saloons mit dem Rücken zum Feind, einem Revolver und sechs Schuss, als die Sonne die Mitte des Firmaments durchbricht, fahre nach Berlin über Autobahnen, nachts, nur nachts - die Strassenbeleuchtung flackert im Takt der Fahrgeschwindigkeit - mit Jack und Neal, die schlecht übersetzt zwischen zwei Buchdeckeln und eselohrigen, vergilbten Seiten «Dufte, Baby!» heulen, in Bergdörfern alten Babuschkas «Flittchen!», nachrufen. Marc Ribot, du gehst zum ersten Mal von der Bühne. Ich denke, du solltest wiederkommen. Du beklagst dich nochmal übers Equipment. Es sei hart an der Grenze. Jetzt echt? Dieser Dreck gehört doch zu dir, wie die zerknitterten Notenblätter, die auf der Bühne verstreut liegen. Ich versuche zum Punkt zu kommen. Das Publikum ist zahlreicher erschienen, als ich befürchtet habe. Haben sie erhalten, was sie erwartet haben? «Tom Waits. Hab ich auch schon gehört. Klingt gut, klingt berühmt. Also nichts wie hin!» Das würd mich echt interessieren. Wie viele waren wegen dir da, Marc Ribot, und wie viele wegen des Gitarristen von Tom Waits? Marc Ribot, ich denke an das Lied über Pablito, das du letztes Mal in der Boa gesungen hast. Heute gibst du keine Töne von dir. Zwei kurze Ansagen. Eine in der Mitte des Sets, eine vor der letzten Zugabe. Beschissen, wenn man seinen Pass verliert, mitten in Europa. Wo alle paar hundert Kilometer eine Landesgrenze existiert. Marc Ribot, was gibts noch zu sagen? Du bist abwechslungsreich, technisch genial. Ab und zu glaube ich tatsächlich an Loops. Anscheinend liege ich falsch. Du verblüffst mich immer wieder. Mit deiner Experimentierwut, mit deiner Vielfältigkeit, mit deinem Können. Auch wenn du heute nicht in Höchstform bist (oder das Equipment). Ich hab schon einige in Höchtform gesehen, die nicht an einen Hangover von dir herankommen. Eigentlich die Meisten. Ausser die Meister. Die Schamanen, Vodoo-Priester, illuminierten Hexer der Klanglandschaften. Es ist wahr. Du lehrst uns einmal mehr, dass gute Musik nicht Konsum, sondern Herausforderung ist. Die Fabrik meiner Filme schmerzt aufgrund des Tiefdruckgebiets. Marc Ribot, hier scheiden sich unserer Wege.

Auf bald, in Brooklyns Strassen, oder diesem Provinznest. By the Way: Die nächsten Discover-Vernanstaltungen findet ihr hier. (Es lohnt sich!)