Wenn Flächen in den Raum wachsen

Galerie Kriens, 29.1.2019: Besuch mit Anna Margrit Annen (*1951, Baar) in ihrer Einzelausstellung, die sie in den renovierten Räumen der ehemaligen Seidenspinnerei Schappe eingerichtet hat. Zu sehen ist eine Serie neuer Arbeiten auf Leinwand und Papier, die einen leicht schwankend zurücklassen.

Bilder: Galerie Kriens

Schwarz vs. farbig leuchtend, reduziert vs. komplex, Einzelbild vs. serielle wolkenartige Hängung. Ein Raum voller Gegensätze? Scheinbar. Anna Margrit Annen’s Arbeiten brauchen Zeit, erfasst werden zu können. Zeit, ein rares Gut im Alltag der konstanten Ablenkung, des ständigen Online-Seins. Wie wärs, wenn wir also das Natel für einmal Beiseite legen, um einfach mal vor einem Kunstwerk zu verweilen? Durchschnittlich elf Sekunden verharren Museumsbesucher*innen laut einer Studie vor einem Ausstellungsobjekt. Das entspricht etwa drei Atemzügen. Ist denn unsere Konzentrationsfähigkeit so kurzlebig geworden, haben wir das Sehen verlernt?

Monochrom

Das schwarze Monochrom in der Galerie Kriens.

Betrachten wir das gänzlich schwarze Bild der Künstlerin auf der fotografierten Ausstellungsansicht, so erscheint es ebenmässig, quasi „geliftet“. Bei näherer Betrachtung vor dem Original dringt jedoch nach und nach ein Leuchten an die Oberfläche. Geometrische Strukturen und Pinselstriche scheinen durch, je länger sich das Auge an den dunklen Farbwert gewöhnt hat. Dies lässt an Ad Reinhardts «black paintings» (entstanden zwischen 1953 und 1967) denken, an die schwarzen Monochrome, die sich erst auf den zweiten Blick als geometrische Kompositionen unterschiedlicher Farbschattierungen entpuppen. Bei deren ersten Präsentation im MOMA in New York haben sie die Geduld einiger Besucher so sehr auf die Probe gestellt, dass einige angeblich ihre Mitgliedschaft kündigten. «Slow Art» wird diese Art der Kunstbetrachtung neuerdings auch genannt: Verweilen vor einem Kunstwerk als Kontrapunkt zur heutigen Schnelllebigkeit.

Wohin die Farben in der Nacht gehen

Tatsächlich befand sich auch bei Annens schwarzen Leinwänden unter dem Farbmantel einmal ein anderes Bild, erklärt die Künstlerin. Schon als Kind fragte sie sich, wohin die Farben in der Nacht verschwinden. Bis heute scheint diese kindliche Neugier bei der Künstlerin ungestillt geblieben. Statt die ersten Entwürfe zu verwerfen und auf einer anderen Leinwand neu anzufangen, werden sie schwarz übermalt. Weiterarbeiten an dem, was einmal da war und nicht zufriedenstellend erscheint. Darauf aufbauen. Dieser Zugang ist für die seit 1985 aktive und sich immerfort weiterentwickelnde Künstlerin bezeichnend.

Annens grossformatige Papierarbeiten

Blick auf Annens grossformatige Papierarbeiten: Die Wände werden zum Rahmen eines neuen Bildes.

Raum und Massstab

Die in der Galerie Kriens ausgestellten Leinwände und Papierarbeiten eint ein grosses Interesse an Raum und Massstab. Man könnte an den nebeneinander gereihten farbigen Linien eine gewisse Präzision bemängeln. Diese Ungenauigkeit ist jedoch Konzept. Anna Margrit Annen hat die einzelnen Farben mithilfe eines als Lineal verwendeten Modellbau-Kartons aufgetragen. Abdrücke der Kartonschiene auf den Bildern zeugen vom Malprozess und wurden bewusst so belassen. Ähnlich wie bei der Arbeit des Webens, wo verschiedenfarbige Fäden in ihrer Verflechtung einen neuen Farbton ergeben, schichtet Annen die rechteckigen Rahmenlinien zu in den Raum hineinwachsenden Felder auf, vom Rand hin zur Mitte des Bildes. In der Manier einer Vermesserin der weissen Fläche, die zur Verfügung stand.

Analoge Printscreens

Besonders die grossformatigen Leinwände und Papierarbeiten bestechen in ihrer zugleich textil-artigen und skulpturalen Wirkung. Letztere fügen sich optimal in die nicht ganz einfach zu bespielenden Räumlichkeiten der Galerie ein. Die ungewöhnliche Präsentation auf dem Boden ist ein äusserst gelungener kuratorischer Entscheid und ermöglicht nochmals eine andere Perspektive auf die Arbeit der Künstlerin. Das Rechteck als einrahmendes Prinzip deutet auf das Festhalten eines Moments hin. Vielleicht eine aufs Papier übersetzte Metapher des digitalen Printscreens? Oder die Suche nach Ordnung und Verortung in einer mehr und mehr mobilen und instabilen Welt?

Anna Margrit Annens Ausstellung ist noch bis am 10. Februar in der Galerie Kriens zu sehen.

Öffnungszeiten: MI und SA 16 bis 18 Uhr und SO 14 bis 18 Uhr