«Wenn diese Energie fehlt, verarmt die Welt»

Livio Andreina ist einer der am längsten aktiven Theaterschaffenden in Luzern. Er hat 25 Jahre Theater in Luzern und darüber hinaus erlebt und ist mit seiner «Werkstatt für Theater» sowie zahlreichen Inszenierungen bei Laientheatern oder Freilichtspielen einer der erfolgreichsten freien Theaterschaffenden. Einen Tag vor dem Aktionstag gegen den Leistungsabbau beantwortet er uns drei Fragen zur freien Theaterszene gestern und heute. Nächsten Montag ist übrigens Premiere von «Hilnars Ode», dem Musikworttheater, das er zusammen mit Philipp Fankhauser in der Loge Luzern aufführt.

 

Herr Livio Andreina, bereits 2001 hiess es im «041 – Das Kulturmagazin», dass die Situation von freien Theaterschaffenden prekär und unbefriedigend ist und dass Produktionen in Luzern im Gegensatz zur restlichen Schweiz völlig unterfördert sind. Was hat Sie so lange bei der Stange gehalten?

Zuallererst ist es meine Leidenschaft für das Theater, für die künstlerische Arbeit in meinen beiden Theatertruppen Werkstatt für Theater sowie Theater Rostfrei und die Arbeit am Theater überhaupt. Theaterarbeit, so wie ich sie verstehe, ist als Tätigkeit politisch, sie stellt den Menschen in allen seinen Aspekten in den Mittelpunkt. In den Recherchearbeiten für unsere Projekte begegne ich den zentralen gesellschafts- und sozialpolitischen Fragen. Dann ist es die lebendige künstlerische Zusammenarbeit mit zeitgenössischen Autoren und Autorinnen, mit KünstlerInnen und MusikerInnen, die mich stets von neuem inspiriert und kreative Räume eröffnet.

Die öffentliche finanzielle Unterstützung in Luzern war und ist tatsächlich sehr unbefriedigend. Die Theaterarbeit mit Laientruppen und die Regiearbeit für grosse Freilichtspiele (Tribschen, Andermatt, Ballenberg, Einsiedeln, Malters ...) geben mir die Möglichkeit, meine professionellen Projekte zu realisieren.

Dass kulturpolitisch Stadt und Kanton Luzern viel zu wenig Wert legen auf alle freie Kunst, dieses Kapitel sozusagen unter «nicht vorgesehen» ablegen und die Lebenshaltung der künstlerisch Schaffenden strategisch benutzen – «Sie machen’s ja trotzdem, sind ja Idealisten ...» bringt es mit sich, dass die Vielfalt langsam zu verschwinden droht und damit auch eine kulturelle Farbigkeit.

 

Hat sich die Situation der professionellen freien Theaterschaffenden positiv oder negativ verändert? Was ist heute besser, was schlechter?

Sie hat sich mehrheitlich verschlechtert:

  • Finanziell: Tendenziell gibt es stets weniger öffentliche Unterstützung, auch private Stiftungen ziehen sich vermehrt zurück, legen andere Schwerpunkte. (Etwa Atelierreisen: Künstler «ziehen» ins Ausland.)
  • Räumlich: Es gibt fast keine Probemöglichkeiten in guten und der Theaterkunst förderlichen Räumen.
  • Produktions- und Aufführungsorte: Sind unter anderem von Co-Produktionen mit Südpol und Kleintheater abhängig. Falls diese schon vergeben sind oder die Theaterthemen nicht passen, wird es beinahe unmöglich, professionell zu produzieren.
  • Künstlerisch: Die Planungszeiten für ein Projekt werden stets länger, bedingt durch den Mangel an geeigneten und «niederschwelligen» Spielorten, das heisst konkret, dass ich meine Anliegen weniger zeitaktuell und politisch relevant umsetzen kann, bedingt auch durch stets weniger finanzielle Mittel.

 

Wie kann man der Luzerner (Stimm-)Bevölkerung mittel- und langfristig klarmachen, dass (freies) Theater kein Luxusgut, sondern eine grundlegende Bedingung von einer funktionierenden, gut gedeihenden Kulturstadt ist?

Es ist eine Tatsache, dass das freie Theater, überhaupt die Kunst und alle Tätigkeit, die irgendwie kreative Energie produziert (Architektur, Bildung, Handwerkskunst, etc.) kein Luxus ist, im Gegenteil, es ist vielfältige und belebende Nahrung für die kulturelle Landschaft in einer Stadt und der ländlichen Gebiete, es ist ein Mehr an inneren Werten. Wenn diese Energie fehlt, verarmt die Welt. Dieser Mangel muss sichtbar, erlebbar werden, und zwar radikal. Aufmärsche oder revolutionäre Schläge sind eher kontraproduktiv und die Wirksamkeit ist kurzfristig. Ich bin mir bewusst, dass der folgende Vorschlag einen utopischen Aspekt hat, aber: Die Vorstellung, dass zum Beispiel nur eine Woche lang am Lucerne Festival kein Ton ertönt, dass alle Theater schliessen, kein Film mehr läuft, die Köche nur noch für sich kochen, die Handwerker ihr Werkzeug ablegen etc. gefällt mir gut. Eine solche Aktion würde etwas sichtbar machen und müsste natürlich so lange dauern, bis es niemand mehr aushält ...

Hilnars Ode, MO 11. September, MO 18. Oktober, MO 13. November, MO 11. Dezember, jeweils 20 Uhr, Loge, Luzern. Reservationen: www.hilnars.ch / info@werkstatt-theater.ch / 078 839 89 93.