Wenn die Liebe schwindet

Literaturhaus Zentralschweiz - lit.z, 06.06.2019: Martin R. Dean las am Donnerstagabend in Stans aus seinem neuen Roman. In filigraner Weise schreibt er über moderne Beziehungsformen und deren Scheitern. Die Sprache überzeugt dabei mehr als die Figuren.

Es fanden sich zu wenige Menschen ein im Literaturhaus in Stans, wenn man bedenkt, dass Martin R. Dean zu Gast war. Der Essayist und Schriftsteller aus Menziken bewegt sich seit fast vier Jahrzehnten in der Schweizer Literaturszene. Sein Erstling «Die verborgenen Gärten» erschien 1982, 2015 war er mit der Essaysammlung «Verbeugung vor Spiegeln» für den Schweizer Buchpreis nominiert. Da sollte kein Stuhl leer bleiben.

Wie dem auch sei; Dean ist auf Lesetour, sein neuer Roman «Warum wir zusammen sind» erschien im März dieses Jahres. Darin bildet er anhand eines Freundeskreises, bestehend aus unglücklichen Bildungsbürgerpaaren – ein Journalist, eine Psychotherapeutin, eine Kunstmalerin, ein Arzt – verschiedene Beziehungsmodelle und deren Bewältigung ab: eine offene Beziehung, das Aussteigertum, eine Trennung oder Seitensprünge zur Rettung der Liebe werden thematisiert – doch bleibt für alle die erhoffte Erfüllung aus.

Missgebildete Föten zum Einstieg

Bereits bei der Einführung zeigte Dean sein aussergewöhnliches Gespür für narrative Sprache. Angesprochen auf seinen Bezug zur Zentralschweiz erzählte er, wie er gemeinsam mit seinem Grossvater sonntags mit dem Motorrad Ausflüge aus dem nördlichen Nachbarkanton in die «Grossstadt» Luzern unternahm. Auf dem Weg über den Erlosen – Beromünster, Neudorf, Hildisrieden – verteilte der Grossvater, Angestellter von Villiger Zigarren, Stumpen an die Knechte der Bauernhöfe. Eine Geschichte, die man ihm gerne glaubt, auch wenn sie genau so gut erfunden sein könnte. Auf jeden Fall hübsch erzählt.

Mit diesem Gedenken an eine spezielle, familiäre Beziehung stieg Dean in die Lesung ein. Die ausgewählten Passagen fingen im Südfranzösischen Sommer an: Die Protagonist*innen Marc und Irma sitzen Rücken an Rücken. Sie erinnert sich an das eben besuchte anatomische Museum: Ausgestellte Föten von siamesischen Zwillingen, «Missgeburten» nennt Irma sie, in Formaldehyd auf ewig präpariert, zusammengewachsen an verschiedenen Stellen, die Verschmelzung von zwei Menschen zu einem. Eine pathologische Beziehung, die Grundlage für das Folgende.

Auch ihr Partner Marc denkt an die Ausstellung: Ihm aber waren nicht die pränatalen Geschöpfe geblieben, sondern «verschrumpelte, verwarzte, an der Spitze blau verfärbte oder rostrot gefaltete Penisse». Diesen Gedanken vorgelagert beschäftigt ihn der Seitensprung, den er seiner Frau noch nicht gebeichtet hat.

Die Sprache ist detailreich und ruhig, feinfühlig. Man versteht, warum Dean ein ausgezeichneter Essayist ist. Er hat einen sehr genauen Blick für Situationen und arbeitet sich sehr akribisch von Wort zu Wort. Da ist nichts Zufälliges.

Klischees und alte Werte

Doch die von Dean vorgestellten Figuren wirken in den gewählten Passagen klischiert. Marc, der schweigsame, fleissige, einzelgängerische und triebgesteuerte Mann, der seine Frau betrügt und sich vor seiner verwelkenden Männlichkeit fürchtet. Demgegenüber Irma, die geschwätzige (oder mit Deans eigenen Worten: «Als Übersetzerin in doppelter Weise der Worte mächtig»), emotionale und gesellige Frau.

Dazu kommen eine plapperhafte Freundin, die kein Geheimnis für sich behalten kann und damit Unheil stiftet, und die Figur der Evelyne, eine Art «Femme fatale», die sowohl den 17-Jährigen Sohn des Protagonist*innenpaars als auch Marc selbst verführt – ohne dass sich einer der Männer der Anziehung dieser Frau hätte erwehren können. In einem anderen Erzählstrang scheitert der Versuch einer offenen Beziehung, weil es der Frau emotional zu viel wird. Es wirkt, als verpasse Dean hier und da die Chance, die Rollen weniger erwartbar zuzuteilen. Vielleicht zeichnet er aber einfach das Abbild einer Generation, die sich zwar offen gibt, aber dennoch, um es mit den Worten des jugendlichen Matti zu sagen, «altmodisch» bleibt.

Glücksgriff bei der Moderation

Deans Text überzeugt dennoch in den grossen Fragen: Was gehört zu einer Beziehung ausser der Liebe? Was geschieht mit den Routinen, sobald eine langjährige Beziehung endet? Und wie wirkt sich der für unsere Zeit typische Egoismus auf unsere Beziehungen aus?

Der Text verwehrt uns die Antworten auf die Fragen. Er ackert sich daran ab und stellt sie neu, wie auch Irmgard Wirtz Ebyl ausführt. Die Moderatorin führt kompetent durch den Abend und man hätte gerne noch mehr Interpretationsansätze und Gedankenstränge der Leiterin des Schweizer Literaturarchivs gehört. Leider war dazu die Zeit zu knapp. Doch das Schöne am Literaturhaus ist ja, dass die Diskussion nicht mit dem Applaus endet, sondern einen Stock tiefer bei einem Glas Wein weitergeführt werden kann.