Weihnachten in Zeiten der Finanzkrise

Wie fühlt es sich heute an katholisch zu sein, in einer säkularisierten, auf- und abgeklärten Gesellschaft? Der Kritiker, bei weitem unorthodoxer als sein Papst aus dem grossen Kanton, will es wissen und begibt sich an die Front.

Ort: Hofkirche Luzern. Zeit: 23 Uhr. Wetter: Sternenhimmel. Stimmung: Apathisch bis feierlich. Leute: Gestanden.

Flirtfaktor: Eher klein. Es sind zwar viele Singles anwesend, doch die befinden sich in einem eher höheren Alter und tragen seltsame Gewänder. Die wenigen jungen BesucherInnen werden streng von den zwei bis drei Generationen vor ihnen bewacht. Die Ministrantinnen sind süss, doch dies gehört – beiläufig – nicht hierher.

Zustand des Schreiberlings: Unangenehm nüchtern.

Wo sollte man dem Katholizismus in der Innerschweiz auf den Zahn des Zeitgeists fühlen, wenn nicht in einer der grössten und kunsthistorisch wertvollsten Kirchen der deutschen Spätrenaissance, der Hofkirche, inmitten der Urbanität Luzerns. Hier treffen sich die Reichen, die Schönen und die Gläubigen der Stadt Jahr für Jahr, um die grösste Party der Christenheit, das Wiegenfest Jesu, zu zelebrieren.

ER ist rechtzeitig da, was selten ist. Von der Kirche in seiner Heimatgemeinde ist er sich gewohnt, dass man bereits eine Stunde vor Messebeginn um die letzten Plätze feilschen muss. (Um sie danach einer durchtriebenen, alten Frau freizumachen, die in letzter Minute aufkreuzt und sich tatterig neben seinen Bank stellt. Was will man da tun, als guter Christ?) Hier hätte man auch noch eine Viertelstunde zuvor problemlos eine Sitzgelegenheit gefunden. Erkenntnis Nummer 1: Auf dem Land ist man katholischer als in der Stadt – oder bloss pünktlicher? Denn bei Beginn des Gottesdiensts ist auch hier Full House.

Am Anfang schweigt die Stille. Das Auge in einer Pyramide starrt aus der Mitte der vordersten Kuppel hinab. Auf einmal Weihrauch. Orgelklänge vom Ausnahmeorganisten Wolfgang Sieber. Dann der Einzug. Gloria! In excelsis Deo! Die Kirchgemeinde singt in feierlichem Einklang.

Als musikalischer roter Faden zieht sich das Weihnachtsoratorium von Camille Saint-Saëns, das dieser der Legende nach in sagenhaften 11 Tagen geschrieben haben soll,  durch die Messe. Es wurde am Heiligabend 1858 in der Kirche La Madeleine in Paris uraufgeführt. Die Musiker vom Kammerorchester der Hofkirche Luzern sowie die Vokalisten überzeugen restlos. Das Werk an sich sowieso. Es fügt sich virtuos zwischen die aus den Bibel gelesenen Passagen – Jesaja & Lukasevangelium – ein.

Die Predigt jedoch fällt leider ziemlich fahl und banal aus. Der Priester stützt sich auf die Worte des Jahres in Deutschland (Finanzkrise) und der Schweiz (Rettungspaket), fabuliert so über das Christ-sein in Zeiten der Finanzkrise. Leider wiederholt er damit bloss, was wir alle schon zigfach gehört haben. Das einzig wahre Rettungspaket sei Jesus und der sei in gar keinem Paket, sondern gerade eben selbst der Retter. Weihnachten als Erneuerung des Vertrauens in Jesus und seine Kirche. Die Worte bleiben Worte.

Kollektiert wird - begleitet von einer Solidaritätsbekundung mit den Kindern aus Palästina - für das Kinderspital in Bethlehem. Darauf folgen Fürbitten für den Frieden, die Armen & Schwachen, die Kinder sowie zum Lobpreis Gottes. Anschliessend geht man zur Kommunion über. Dann das obligate «Stille Nacht».

Same procedure as last time, Holy Father? Same procedure as every time, my son!

Das Weihnachtsoratorium von Camille Saint-Saëns, sowie die Art und Weise seines Vortrags berühren sehr. Bei den religiösen Kulthandlungen jedoch will der Funken nicht so recht zum Publikum herüber springen. Zu routiniert, zu abgedrescht wirkt der Ablauf der Feier.

So lasset uns enden wie der grosse Monsieur Saint-Saëns in seinem Weihnchtsoratorium, dem Psalm 96:

Es jauchze das Feld und alles, was darauf ist! Dann sollen alle Bäume des Waldes jubeln vor dem Herrn, denn er kommt, denn er kommt, um die Erde zu richten! Er wird den Erdkreis richten mit Gerechtigkeit und die Völker in seiner Treue.

AMEN