We have the best «woerdz». Der Donnerstag am Spoken Word Festival

Südpol, 20.10.2016: Am Mittwoch wurde das «woerdz 2016» mit einem Poetry-Slam eröffnet. Am Donnerstag fand der erste Tag mit «Vollprogramm» statt. Es gab eine abwechslungsreiche Mischung zu sehen, mit einer gelungenen Balance zwischen Unterhaltung und politischem Gespür.

(Fotos:  MC Graeff, Patrick Hegglin und Franca Pedrazetti)

menschen laufen auf menschen laufen des öfteren und immer mal wieder irgendwo auf sie laufen dann sehr dicht hintereinander so dicht, dass zehen fersen treffen und schultern schultern und hände, die sich nicht berühren wollten sich berühren

So beginnt das kurze Textchen, dass sich der Autor von Gianna Molinari zum Thema «Menschenauflauf» gewünscht hat. Molinari sass mitten darin, zusammen mit Julia Weber und beide mit Schreibmaschine. «Literatur für das, was passiert», nennt sich das Projekt, das am ganzen «woerdz» (also noch bis und mit dem 23. Oktober) präsent sein wird, und Spenden für Menschen auf der Flucht sammelt. Eine gute Sache.

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Julia Weber und Gianna Molinari

Der Menschenauflauf war beachtlich und sicherlich zum allergrössten Teil Stargast Laurie Anderson zu verdanken. Vor dem Auftritt der Amerikanerin stand aber der erste Teil der Werkschau (die anderen finden am Freitag, respektive Samstag statt) auf dem Programm. In der Werkschau wird, wie es auf der Website des «woerdz» so schön heisst, ein «Strauss der aktuellen Spoken Words» präsentiert. Berner Schule, Basler Schule An dieser Stelle soll analog zum Diskurspop-Begriff der «Hamburger Schule» die «Berner Schule» eingeführt werden. Spoken Word Künstler der «Berner Schule» müssen nicht aus Bern kommen, sind aber eventuell Teil der Spoken Word-Supergroup «Bern ist überall». Höchstwahrscheinlich publizieren sie im Luzerner Verlag «Der Gesunde Menschenversand». Ihre Bühnensprache ist Mundart, als «Alltagssprache übersetzt in eine Kunstsprache», wie Beat Mazenauer, der kompetent und lockenprächtig durch den Abend führte, über Guy Krneta sagte. Ihre Texte sind oft in Alltagsszenen angesetzt, die aber transformiert oder ins Absurde getrieben werden. Stilistisch kommt das ganze pathosfrei daher, mit sorgfältig komponierter Leichtigkeit und Dynamik und einer guten Dosis Humor.

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Der Büchertisch, dominiert vom Gesunden Menschenversand

Mit Gerhard Meister (zuletzt: «Eine Lichtsekunde über meinem Kopf», Menschversand, 2016) und Guy Krneta (z. B.: «Unger üs», Menschenversand, 2014) bildeten zwei Vertreter dieser Gruppe die Klammer der Werkschau. Meister trug etwa einen Text vor, in dem aus dem Warten an einer Ampel plötzlich Überlegungen über einen «Minuten-Loop» erwachsen. Was wäre, wenn die ganze Welt in einen solchen fallen würde? Würde man es überhaupt merken? Meister kommt zur schönen Erkenntnis, dass man «sinnlos, aber unsterblich» würde. Krneta eröffnete auf der Meta-Ebene, mit einem Text darüber, auf der Bühne zu stehen, und seinen Text zu suchen. Es entwickelt sich eine «Publikumsbeschimpfungen»-artige Situation, aber als Interaktion mit dem Publikum im Text, darüber, vor diesem Publikum zu stehen. An einer Stelle sagte Krneta fast paradigmatisch: «Der Text holt die Realität ein und die Realität den Text.»

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Guy Krneta

Zwischen Meister und Krneta zeigten Patti Basler und Philippe Kuhn Auszüge aus ihrem Bühnenprogramm «Frontalunterricht». Es geht – erraten – um die Schule. Kabarettistisch werden Geschichten aus einem fiktiven Klassenzimmer erzählt, wo Lehrerin Scheidegger mit Freude, und nicht nur bei verbalen Wortketten, Subjekte isoliert und der unbegabte René schliesslich Abwart wird, weil es seine einzige Chance ist, «die Schule abzuschliessen». Daneben Ausflüge in die Gegenwart: Sparmassnahmen, moderne Medien, ein paar Spitzen gegen Rechtspopulismus. Eine abwechslungsreiche, vergnügliche Angelegenheit. Storytime mit Laurie Anderson Um 21:30 war es dann Zeit für die US-Amerikanische Multimedia-Künstlerin Laurie Anderson und ihr Programm «The Language of the Future». Wobei Programm nach einer strengeren Form klingt, als wirklich geboten wurde. Anderson erzählte Geschichten: aus ihrer Jugend, von ihrer Zeit als erste und letzte Künstlerin in residence bei der NASA, von gescheiterten und gelungenen Kunstprojekten. Sie sprach über Einstein, der Theorien fallen gelassen habe, weil sie nicht «beautiful» waren, über Aristophanes und dessen Komödie «Die Vögel», über Henry David Thoureau, dessen «Walden» essentieller «cabin porn» sei. Sie sprach über Donald Trump (an dessen grandioses Zitat: «I know words. I have the best words.» der Titel dieses Textes angelehnt ist) und manchmal griff sie zur Geige, manchmal stellte sie sich hinter den Synthesizer und im Hintergrund wurden Bilder projiziert. Zwei besonders gelungene, einander kontrastierende Momente kreierte Anderson, als sie auf der Geige spielte und dazu die Projektion einer Waldhütte im Schnee zeigte. Später griff sie diese Szene auf, aber die Projektion zeigte nun Manhattan, auf das Buchstaben wie Schneeflocken herunter rieselten, und riesig durch den Hudson River zogen. Will man einen roten Faden in Andersons Performance benennen, so wäre es wohl die Reflexion über das Wesen der Geschichten. Wie sie sich verändern, mit der Zeit und mit jeder Erzählung und wie sehr sie von den Erzählenden abhängen.

Laurie Anderson am woerdz Festival I'm Südpol Luzern

Laurie Anderson

Laurie Anderson ist selbst eine extrem charismatische und begabte Erzählerin. Schon ihre Ansage, in der sie auf die am Vorabend stattgefundene dritte Debatte im US-Wahlkampf zu sprechen kam, klang wie ein kleines Gedicht. Die Debatte habe sie an einen Spoken Word Anlass erinnert, und man habe gesehen «how hard it really is / to make good / spoken word», sagte sie, und liess ihre Stimme eine Oktave tiefer fallen. Anderson gelang das problemlos, collagenartig, in freier Form, mit einer gut abgewogenen Mischung aus ergreifenden, persönlichen Erzählungen, politisch engagierten Geschichten und der richtigen Dosis Humor. Und darunter gestreut immer mal wieder poetische Kompositionen: «If your house was on fire, what would you take? /And she said: I’d take the fire.» «So, we kind of made Jens rap» Nach Laurie Anderson begann der Menschenablauf. Das ist schade, denn auch der letzte Programmpunkt war äusserst sehenswert. Neben der dreiteiligen Werkschau wird am «woerdz» auch ein dreiteilige Werkauftrag gezeigt, unter dem Titel «5. Landessprache». Das Konzept, so erklärte Mazenauer, sei es, zwei Personen mit unterschiedlichen Wurzeln oder Herkunft zu einem künstlerischen Dialog zusammenzubringen. Den Anfang machten der Schweizerisch-Dänische Doppelbürger Jens Nielsen (zuletzt: «Flusspferd im Frauenbad», Menschenversand, 2016) und die Südafrikanische Rapperin und Spoken Word Künstlerin Burni Aman (zuletzt: «Sweet Science», 2015), die seit einigen Monaten in der Schweiz lebt. Zusammen mit den hochklassigen Musikern Davide Di Spirito, Meisterbeatz und Toni Schiavano spielten sie effektiv ein Konzert. Fühlte man sich zunächst in eine Reprise der Performance von Laurie Anderson versetzt, als sphärische Klänge durch den Raum zogen und Aman erklärte: «Now, let us experience a human», zog das Tempo dann mehr und mehr an.

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Jens Nielsen – Rap-Name: Jens Nielsen – und Meisterbeatz

Etwas bemängeln könnte man vielleicht, dass der Dialog mehr ein Nebeneinander war als ein Miteinander. Meist abwechselnd trugen Aman und Nielsen ein Stück vor. Aber auch der Kontrast zwischen ihren Texten machte einiges deutlich. Während Aman sehr direkte, angriffige Texte über die Südafrikanische Realität vortrug, zeigte sich Nielsen – wie Meister und Krneta – in seiner Paradedisziplin: der Transformation des Alltäglichen ins Merkwürdige. Burni Aman rappte schnell und gekonnt, während Jens Nielsen etwa so Hip-Hop ist wie sein Name. Aber auch seine Texte funktionierten sehr gut mit musikalischer Untermalung. In der Summe machte die Performance vor allem Spass.

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Davide di Spirito, Burni Aman und Toni Schiavano

Letzte Bemerkung Eine sehr erfreuliche Tendenz, die sich an diesem Donnerstag am «woerdz» zeigte, ist ein Sinn für das Politische. Spoken Word ist meist Humor-orientiert und kann leicht in (sprachlichen) Selbstzweck abgleiten. Humor war am Donnerstag reichlich vorhanden, aber, wie an einigen Stellen erwähnt, gab es viele engagierte Texte und Auftritte. Das ist auch ein Verdienst der Programmierung, die die «Literatur für das, was passiert» ins Haus holte, und mit dem Werkauftrag grosses Gespür bewies. Hoffentlich geht es so weiter.