Was wir für Geld tun

Kunsthalle Luzern, 15.10.2020: Die neue L21-Ausstellung «Die dunkle Seite des Löwen» ist eröffnet. Sie bietet viel und verlangt gleichzeitig nach Antworten – eindrucksvoll, aber überwältigend.

Titelbild: Helena Deck 

Vier Tonnen Schutt beherbergt die Kunsthalle dieser Tage. Gesteinstrümmer, Zaunsplitter, eine ausgediente Mikrowelle: Was sich heute lose übereinanderstapelt, muss früher einmal Teil eines grösseren Ganzen gewesen sein. Die dystopische Landschaft – ein präzise angeordnetes Chaos – ist Verweis auf die Vergangenheit, gespickt mit potenziellen Geschichten und wird von einem konstanten, düsteren Sound durchzogen. Damit kommt das ausgestellte Objekt seinem übergeordneten Thema, dem Löwendenkmal, unheimlich nahe.

Das Mehrjahresprojekt «Löwendenkmal 21» seine neue Ausstellung «Die dunkle Seite des Löwen». Darin vertreten sind Positionen von insgesamt zwölf Künstler*innen – den gemeinsamen Nenner bilden das Löwendenkmal im politischen Kontext und das damit verbundene Unbehagen, erläutert Kuratorin Karin Mairitsch in ihrer Eröffnungsrede.

Grrrraaaaooooww

Auch Stadtpräsident Beat Züsli sowie Kunsthalle- und «L21»-Präsident Marcel Glanzmann sind anwesend. Während ersterer «den Blick über das eine Denkmal herauslenkt» und es auf verschiedenste aktuelle politische Bewegungen bezieht, geht Glanzmann gezielt auf das Denkmal ein und fragt: «Was hat der Löwe uns zu sagen?»

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Mögliche Antworten finden sich im Kabinett im Untergeschoss des Bourbakis. Wer nämlich die Wendeltreppe der Kunsthalle hinabsteigt, wird in «FAQ» von Jeanne Jacob und Mirjam Ayla Zürcher mit Fragen und Statements konfrontiert, die die Besucher*innen direkt ansprechen – und unbehaglich sein können. Neben einem gelegentlichen «Grrrraaaaooooww» stehen da Sätze wie «Wie oft wird nach deiner Herkunft gefragt?» oder «Privilegien abgeben ist Arbeit». Daneben wird ein verzerrtes Bild des Löwendenkmals an die Wand projiziert. Die Werke von Jacob und Zürcher überzeugen durch Simplizität und Direktheit.

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Im Erdgeschoss wurden zwei grossformatige Fotografien auf die Wände der Kunsthalle tapeziert, beide zeigen zwei unabhängige Performances vor dem Löwendenkmal – und ergänzen sich gegenseitig wunderbar. Zwischen den beiden befasst sich Claudia Schildknechts dokumentarische Arbeit «How we might be» mit der Beziehung des Menschen zur Natur.

Zum Schluss ihrer Rede schenkt Karin Mairitsch Beat Züsli eine Münze. «Was bist du bereit für Geld zu tun?», steht darauf. Und Züsli gibt kleinlaut zu: «Fast alles.» Auch die anderen Besucher*innen erhalten die Münze am Ausgang der Ausstellung, im Austausch gegen eine Antwort auf die Frage.

Überfordernde Vielfalt

Züslis Worte könnten aber auch Antwort auf eine andere Frage sein, etwa: Was wird in der Ausstellung an prekären Themen aufgegriffen? Von der Corona- über die Flüchtlingskrise zur Denkmal-Diskussion und globalem Wildtierhandel – «fast alles.»

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Diese thematische Vielfalt, die das Löwendenkmal hervorzurufen vermag, ist zum einen bemerkenswert – zum anderen überfordernd. Dazu stellt sich die Frage, ob oder wann Kunst dazu imstande ist, ein politisches Statement aus der eigenen Bubble in die Welt hinauszutragen. Vielleicht dann, wenn sie ins Extreme geht, wie Barbara Kieners 24-Stunden-Performance vor dem Löwendenkmal, die sie anschliessend sieben Tage mentale Erholung gekostet hat.

Allegorisch zu dieser Frage passt auch Olga Georgievas Live-Painting: Am Ende der Ausstellung wird ihr Wandbild überstrichen, weil die nächste Ausstellung wartet. Und dann existiert das Bild nur noch als Erinnerung – mit uns als Entscheidungsträger*innen, ob oder wann wir es je wieder hervorholen wollen.

Die dunkle Seite des Löwen
Bis SO 13. Dezember
Kunsthalle, Luzern

Künstler*innen: Jeremias Altmann & Andreas Tanzer, Paul Busk, Olga Georgieva, Jeanne Jacob & Mirjam Ayla Zürcher, Barbara Kiener, Christian Löffel, Deborah Luder, Barbara Hennig Marques & Olivia Lecomte, Claudia Schildknecht

Kuratorin: Karin Mairitsch