Was macht die Zeit mit den Alben? [#3]

Eine Kolumne von Dr. Knobel «Without You I'm Nothing» von Placebo - 1998 Ich versuche mich zu erinnern: Da war dieser Sog des Verruchten. Quasi eine Nach-Partyband. Zwei burschikose Zwillingsfrauen auf dem Cover. Der Titelsong war sensationell, weiter hatte es einen punkigen Kracher und ein paar grosse Popsongs – den Rest hab ich vergessen. Los geht's!

 

«Pure Morning»: Ein Gitarrenloop, verzerrte stoische Drums. Dann Gesang: «A friend in need = A friend indeed/A friend with weed is better/A friend who's dressed in leather». Weil sonst alles so trist ist, rettet der Humor dieses Lied vorm Pubertäts-Pathos-Absturz. Es kommt noch ein wenig Lärm dazu, aber sonst gibt sich dieser Opener damit zufrieden. Am Ende hört man Herrn Hewitt noch seine Stöcke ablegen, wie sich's gehört. Klack! «Brick Shithouse»: Schroffe Gitarren bellen ins Nichts, jemand funkt durch den Äther und dann geht's richtig los. Der Text ist nicht ganz durchsichtig, aber es geht wohl um Eifersucht in einer Dreierbeziehung. Guter Kracher. «You Don't Care About Us»: Zum ersten mal klingt's richtig schön, aber schon nach kurzer Zeit kommen die bösen Gitarren zurück. Herr Molko will jemanden verlassen, der ein Arsch ist. Interessant: Immer wenn er ihm fürsorgliche Ratschläge gibt, sind die Gitarren lieb, schimpft er, werden sie böse. Gut gemacht. «Ask for Answers»: Ein gedämpftes Lied. Herr Molko beklagt, immer zweitbester und eine Medienhure zu sein. Überzeugend. Der Titelsong: Grosse, schöne, hypnotische Rockmusik. Dazu ein Gedicht über die Schattenseiten der Abhängigkeit. «Without You Im Nothing». Gewaltig. «Allergic (To Thoughts Of Mother Earth)»: Ein energischer, lärmender, treibender Rocksong. «The Crawl»: Ein Lied mit Klavier. «Every You, Every Me»: Eine sportliche Gitarre eröffnet, Schlagzeug und Bass zaubern daraus eine Rock-Disco. Oh je, ich habe es wahrgesagt: «Schnitz deinen Namen in meinen Arm». Sonst ein gutes Lied, aber das mit dem Arm? [youtube]http://www.youtube.com/watch?v=R-fJ9ROrW08[/youtube] «My sweet Prince»: Wieder ein gedämpftes Lied. Aha! Auf einen lauten Song folgt ein leiser. So einfach diese Taktik ist, so gut funktioniert sie. Ein steriler Drumcomputer spielt den Walzer. Der Text ist zur Abwechslung mal euphorisch: Herr Molko ist verliebt und davon recht erschlagen. Doch damit Placebo Placebo bleibt, wird das etwas niedergeschlagen vorgetragen. OK. «Summers's Gone»: Aha, ein 6/8-Rhythmus, keck! Aber sie erlauben sich kaum zu schaukeln. Irgendwie ein Aufbruchslied. Aber ein Aufbruch zum letzten Gefecht. Lustig wie das Wort «Surprise» eine kleine Überraschungs-Gitarre bringt. Es könnte hier ums Älterwerden gehen. «Scared Of Girls»: Wieder mal böse Rockgitarren. Die Musik dreht sich selbst schwindlig. Es geht einerseits um ein Mädchen, das mal mit der Ur-Punkband MC5 auf Tour war und um Herr Molko, der behauptet im Bett ein Lügner zu sein. Wild! «Burger Queen»: Ein gemütlich fahrendes Lied über einen alten, langweiligen, potenzschwachen Mann, der hier bemitleidet wird. Gegen Ende des Liedes bekommt er dann den Titel: «Königin von Luxemburg». Ah, ein Hidden-Track. Fängt an wie «Burger Queen» und wächst zu einem gewaltigen Lärmgewitter heran. Fazit: Mit diesem Album haben Placebo ihren Sound gefunden, den sie bis heute kaum verändert haben. Die Texte sind eher Dekoration. Es gibt hier viele gute Songs, die einem in die eigene Pubertät beamen können (ausser man ist schon in der Pubertät). Nächsten Monat geht's nach Pennsylvania und zurück ins jahr 1994...