Von der Ballade über einen Magier in einem sehr gepflegten Anzug

Gestern Abend feierte das Freilichtspiel «Doktor Faustus» – frei nach Christopher Marlowe, in der Bearbeitung von Gisela Widmer – vor der atemberaubenden Kulisse der Tribschenhalbinsel Premiere. Regie führte Livio Andreina. Die Tribüne war gut gefüllt, die VBL verteilte aufblasbare Sitzkissen, das Wetter hielt. Es war mega.

Am Anfang ist das Splätterlitheater. Also ganz am Anfang ist der politisch angeschlagene Kurt Bieder, der beim Premierenapéro eine Ansprache hält, in der er betont, dass beide, Kunst und Politik, stets ein Risiko seien. Dann kommt das Splätterlitheater, begleitet von Teufelstrommeln und Engelsposaunen. Tra Tra Trallala, Tra Tra Trallalla.

Die heutigen Protagonisten in der Puppenkiste sind: der Chaschperli, Mephisto und ein unablässig rezitierender Faust – «...und wenn dich erst ein Dutzend hat, so hat dich auch die ganze Stadt!» (oder wie auch immer). Bis mal genug Heu unten ist und der Chasperli den Faust darauf hinweist, dass heute Abend nicht Goethes Meisterwerk, sondern die bereits 200 Jahre früher entstandene Version von diesem Mythos, jene des Shakespeare-Zeitgenosse Christopher Marlowe, gespielt wird. Kurz was zu Marlowe. Ein Englischer Dramatiker und Lebemann. Gehört im Rahmen der Jahrhunderte alten Shakespeare'schen Urheberschaftsdebatte zu den am meisten diskutierten Kandidaten. Wurde offiziell bei einer Kneipenkeilerei getötet. Es existieren jedoch Verschwörungstheorien wie Sand am Meer. Er sei einem Komplott zum Opfer gefallen, da er Atheist, Freigeist und Spion war. Er habe seinen Tod vorgetäuscht, um sich aus dem Land zu schmuggeln und in Italien Tragödien wie «Romeo und Julia» zu schreiben, die heute Shakespeare angrechnet werden. Wild wuchernde Legenden umranken seinen Namen, hier und dort will man ihn nach seinem Tod gesehen haben. Und das vor Adi dem Postkartenmaler, Jim Morrison und Kurt Cobain. Wie auch immer. Dass «The Tragical History of Doctor Faustus» aus seiner Feder stammt, gilt unter Literaturhistorikern als gesichert.

Die von Gisela Widmer bearbeitete und in Mundart übertragene Fassung hält sich grösstenteils an die höchst ausgeklügelte Dramaturgie des Originals. Die Dialoge jedoch wurden auf die heutige Zeit, wie auch an die Anforderungen einer rhythmisierten theatralen Mundart angepasst, was erstaunlich gut funktioniert. Neben den beiden Berufsschauspielern Michael Wolf (Faustus) und Walter Sigi Arnold (Mephisto) aktieren Laien – und dies auf einem sehr professionellen Niveau. Stimmig musikalisch untermalt wird das Drama von einer Livekapelle mit Musik von Christoph Baumann. Anders als der Faust mit dem Pudel und dem Gretchen ward Marlowes Exemplar vor der Aufklärung, zu einer Zeit als Wunderglaube, Hexenverbrennungen und schwarze Magie noch an der Tagesordnung waren,  kopfgeboren.

So geht es in dieser Version der Legende mehr um plumpe Zaubertricks und laues Amusement denn um das Verlangen nach dem Wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält. So ist die ganze Geschichte weniger tiefsinnig und grübelnd, deshalb umso grotesker, humorvoller. Wie beispielsweise in der letzten Szene, als der Teufel Faust holt und dieser sich in einem Rollstuhl im Altersheim wiederfindet, gepflegt von drei nervtötenden Teeniegören. Der hochbetagte Doktor Professor Faust wird in die Villa Kunterbunt gefahren, um ein Kasperltheater schauen zu gehen, wo nochmals das Splätterlitheater –das während des ganzen Stücks als episches Element die Handlung trug, dem Zuschauer die kommenden Szenen erläuterte, zum besseren Verständnis – auf den Plan tritt und das Spiel zu einem Ende bringt. Die Moral von der Geschicht' – verkauf deine Seele nicht. Ich für meinen Teil hab mich köstlich unterhalten und amüsiert. Ich kann das Freilichtspiel uneingeschränkt weiterempfehlen.

Es wird noch gespielt bis zum 15. Juli 2009. Infos: www.freilichtspiele-luzern.ch