Völlerei im Warenposten

Kunsthaus Sursee, 17.04.2018: Ein Coup für Wetz: Mehrere hundert Leute feierten am Dienstag die Eröffnung des «Kunsthaus Sursee». Es befindet sich mitten in der Ottos-Filiale. Geleitet wird es von der Künstlerin Kathrin Rölli.

Cervelats, Gnagis und Mutschli hängen von der Decke. Dazwischen Biberli von Ottos. An der Bar gibt es Bier. Noch traut sich niemand, den Apéro von den Schnüren zu reissen. Auf dem Parkplatz vor der Festlokalität der Firma Sigmatic paradiert eine Feldmusik im Gänsemarsch. Sie spielt ein einziges Stück in Dauerschlaufe: «Eine Herde weisser Schafe ist mein Königreich, und die kleine Hütte mein Palast.» Dieser Liedtext wird bald Programm.

Wolhuser-Dachbläser

Denn wenig später wird man von Helferinnen und Helfern in orangen Westen zu Ottos Warenposten geleitet. Auf dem Dach stehen die Wolhuser-Dachbläser. Auch sie spielen die «Herde weisser Schafe». Im Inneren des Geschäfts führt der Parcours durch stapelweise Discount-Produkte. Über Ottos sagt Wetz: «Es gibt kein Warenhaus in der Schweiz, das nur annähernd so einen Kreativitätsraum darstellt.» Auf den roten Stützpfeilern im Geschäft hat sich der Künstler mit geistreichen Sprüchen verewigt: «Stehen sie hier kurz still und atmen sie 5x ganz tief durch.» Daneben hängt eine Hundertschaft von Klobürsten. In der geometrischen Mitte des Geschäfts steht das Kunsthaus Sursee: ein königsblauer Pavillon, golden dekoriert. 25 Quadratmeter klein, aus rohem Holz gebaut und mit den klassischen Wetz-Schafen ausgestattet, erinnert er an ein Mini-«Zihlenfeldhölzli», diese überwältigende Installation in der Scheune neben dem Landessender Beromünster. Das Kunsthaus Sursee, die kleine Hütte mit den Schafen, ist nun Teil des Wetz’schen Königsreichs.

Wetz-Schafe

Im Kunsthaus Sursee

Den klassischen – und nicht selten elitären – «white cube» sucht man hier freilich vergeblich. Zwei Farbeimer in der Ecke verweisen auf das prozesshaft-unaufgeräumte in Wetz’ Kunst. Auf einem Bildschirm läuft die Sendung «Persönlich» von Tele 1, wo Wetz vergangenen Herbst mit allerhand Artefakten das Studio eingenommen hat. Die Sendung hat schon jetzt Kultstatus und wird dieses Jahr an der Art Basel und an der Art Basel Miami gezeigt. Gegenüber vom Monitor steht eine Theke mit jenem kreativen Chaos, das Wetz im Tele 1-Studio ausgebreitet hat. Das könnte man, ketzerisch gesagt, selbstreferenzielle Kunstinstallation nennen. Andere erkennen darin einen ironisch-subversiven Akt. «Wir müssen versuchen, wieder mehr Unordnung ins Leben zu bringen.», sagt Wetz in besagter Fernsehsendung. Wer das erkennt, der oder die lässt sich von der Tatsache verzaubern, dass dank dem Kunsthaus Sursee die ganze Ottos-Filiale plötzlich aussieht wie eine Kunstinstallation. Zeit zum Verweilen bleibt bei der Kunsthaus-Eröffnung jedoch kaum. Von der Menschenmenge wird man durch den Ottos wieder hinausgeschoben. Drüben im Sigmatic-Festsaal bricht inzwischen die Völlerei aus. Neugierig bis gierig reissen die Gäste die Delikatessen von der Decke. Auf dem Boden kleben Zettel: «Schnüre, Klebeband und Verpackungen aller Art bitte auf den Boden werfen.» Dann stellt sich Wetz auf die Bühne und startet seine Performance. Statt Politiker sei er «begnadeter Künstler» mit «revolutionär-marxistischer Gesinnung» geworden. Bescheidenheit ist seine Sache nicht; fast vierzig Minuten dauert der Monolog. Man könnte ihm, ketzerisch gesagt, einen Hauch Grössenwahn attestieren. Andere sehen ihn als Visionär. «Beim Fest ging es darum, die Leute von Ottos davon zu überzeugen, dass Kunst nicht kompliziert sein muss. Und wir wollen artikulieren, dass Ottos-Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wichtig sind. Zu jeder Eröffnung tragen sie jetzt einen Anzug.», so Wetz. Und tatsächlich: Die ganze Ottos-Belegschaft trägt Schale. Auf ihren Namensschildern stehen jetzt zwei Logos; jenes von Ottos und jenes vom Kunsthaus Sursee. Einige stehen mit stolz geschwellter Brust da, andere wirken noch etwas unbeholfen.

Kunsthaus Sursee
Kunsthaus Sursee: Wo fängst Kunst an, wo hört sie auf?

Musikalische Performance

Pierre Favre wird als «der beste Musiker, den es gibt» angekündigt. Wetz verlangt absolute Ruhe. Doch fällt es ihm schwer, das aufgeladene, mit Bier und Gnagi beschäftigte Publikum zu domestizieren. Rückblickend sagt Wetz: «Ich habe einfach einen riesigen Respekt vor Pierre. Wenn die Leute mir nicht zuhören, ist mir das egal. Aber ich wollte, dass seine ruhigen Töne durchkommen. Für einen Moment wurde ich echt nervös.» Erst Favre selbst gelingt es, die Leute zum Zuhören zu bringen: mit seiner Präsenz und seiner Gelassenheit. Und mit seinem Können, entlockt er doch seiner schlichten Djembe-Trommel unerhört differenzierte Klänge. Nach einigen Minuten steigt mit Christian Hartmann ein Kontrabassist in die Improvisation ein, der auch Wetz’ Hausfotograf ist. Aus dem intimen Duo wird nach und nach eine bluesige Gruppenimprovisation mit Wetz und seinen Mitarbeitenden.

Gnagi
Gnagi, Gruppenimprovisation, Gaudi (Bild: Mart Meyer)

Ob Wetz zufrieden sei mit der Eröffnungsfeier? «Ich bin extrem zufrieden. Ich habe niemals damit gerechnet, dass so viele wichtige Leute aus Kunst und Kultur kommen. Wir hatten 420 Gäste aus der ganzen Schweiz.» Der Anlass wurde mit vier Kameras und einer Drohne akribisch dokumentiert. Dass Kathrin Rölli das Kunsthaus Sursee leitet und in Zukunft Ausstellungen mit Persönlichkeiten wie Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger und als nächstes Urs Heinrich plant, ist für Wetz ein Glückfall: «Ich kann von aussen zusehen und das ist traumhaft. Kathrin ist eine äusserst begabte Künstlerin.»

Das Sublime

Weitere Informationen: www.kklb.ch/kunsthaus-sursee