Unglaublich? – Die Kutti-Talkshow geht in die zweite Runde

Als im Herbst 2009 die erste Staffel der «unglaublichsten Talkshow der Welt» anlief, war Rezensent Zihlmann an dieser Stelle voll des Lobes. Gestern ging die erste Episode der zweiten Runde über die Bühne, mit den üblichen Verdächtigen und dem Gesprächsgast Endo Anaconda. Für die Musik sorgte Joy Frempong alias OY. Den Zusammenschnitt gibt's hier. Sam Pirelli & Pablo Haller liessen sich bereden

Haller: Ja, ich war kritisch. Aber nach Sichtung des Werbetrailers war auch gar nichts anderes möglich. (Vielleicht verstehe ich bloss diese Form von Humor nicht). Und ja, ich fand es völlig blasiert, wie Master of Ceremony Kutti im Kulturmagazin kein gutes Haar an anderen Talkshows liess. Da musst du aber schwer was Besseres bieten, Bürschchen. Und ja – das tat er. Kritische Zeitgenossen mögen einwerfen, das ganze Konzept sei verwässert: zu brav. Auf alternativ gemachte Kommerzsendung. Die Negation der Negation. Eigentlich bloss konsequent, finde ich. Ein wenig lang wars gestern, doch sinniere ich nach, was man hätte streichen sollen, fällt mir nichts ein. Vom ersten bis zum letzten Ton – um die Musik war die absolut fantastische, unglaublich-fabulöse Joy Frempong alias OY besorgt – brannten Feuerwerke der kunstvollen Unterhaltung; einmal, im wahrsten Sinne des Wortes um ein Haar der MC selbst.

Angesiedelt zwischen Late-Night- und Freak-Show (mit der Feuerfrau Zora Viperaz und dem komischen Mann mit der multiblen Persönlichkeit und begnadeten Drummer Giulin Stäubli) zementiert die unglaublichste Talkshow der Welt Kuttis Ruf als absurder Intelligenter, das erst noch mit schwer positiven Vibes. Über sein Talent als Talkmaster kann man sich streiten, aber darauf kommt's nicht an. Stargast Endo Anaconda hat auch so was zu erzählen oder aber liest vor allem Gedichte, die er mit 22 Jahren schrieb und für die er ein Werkjahr der Stadt Bern erhielt, wie er sagt, weil er so gestürmt hat. (Brotlose des Landes, jetzt wisst ihr, was ihr müsst.) Neben der Tatsache, dass die Poeme zum Besseren gehören, was Schweizer Literatur anbelangt – Herr von Matt, widersprechen Sie mir, ich bleibe dabei – ist es auch einfach schön, dem lesenden Endo zu horchen. Das erste, ein Frühlingsgedicht, floss bruchstückhaft in das erste Stiller-Has-Tape ein. Jetzt hab ich mich in eine Sackgasse geschrieben und würde wahrscheinlich bei der Geschichte vom stillen Hasen weitertippen – was nicht wirklich reinpasst, also geb ich das Wort an meinen «Partner in Crime», den Mann mit dem Hut und der lauten Stimme. 

Pirelli: Schon recht. Man sagte mir ja schon nach, ich hätte ein Megafon verschluckt. Dabei bin ich einfach schon bizzeli harthörig, da redet man halt lauter. Item. Du hast vieles schon aufs Tapet gebracht. Auch ich war nicht wirklich hingerissen von der Show; das mag aber daran liegen, dass Kutti nicht viel von Vorbereitung zu halten scheint. Weshalb sollte er auch? Der Mann hat einen ganzen Kosmos im Kopf, er ist Freestyle, also die radikale Improvisation, gewohnt – das belegte auch der grossartige «Waldschnecken-Rap». (Das Publikum war aufgefordert, einen Begriff zu nennen, über den der MC dann improvisierte. Das tat er ganz fantastisch – mit hinreissender Unterstützung von OY und Stäubli.) Kutti weiss, dass er sich dabei auf seine Echtzeit-Assoziationsketten verlassen kann – nur verträgt sich das schlecht mit seiner Figur des blasierten, letztendlich gelangweilten Moderators. Der müsste besser vorbereitet sein; der Talk mit Anaconda scheiterte genau daran – da fehlte die Chemie, und prompt bliebs beim eher öden, nichtssagenden Geplänkel. Ein paar vorbereitete Fragen, etwas Provokation: das A und O jedes gelungenen Talks. (Klammerbemerkung

Haller: Genau dieser Dilettantismus war mir sympathisch. Und auch dass in einem erfolgreichen, ausverkauften Programm mal die lange Weile, das Unbedeutende Platz haben darf). Dann fehlt dem Mann, so gross er im Freestyle auch sein mag, ein gutes Stück komödiantisches Talent: Sein Timing ist nicht der Bringer. Das wäre nun nicht so schlimm, schnitte es sich nicht einmal mehr mit der Moderatorenfigur, die er verkörpern will: Die manieristische gespielte Gelangweiltheit funktioniert nur, wenn das Timing messerscharf ist. Sonst zerbröselt die Figur und die Show franst aus. Man schaue sich einmal die Kurt Krömer Show an – da sind Welten dazwischen. Sehr gut fand ich hingegen den «Einblick ins Kleinbürgertum», den schrägen, nasal gebernerten «Dialog» mit Stäubli. Der war lustig und gut getimt und bildete die so oft gehörte Gesprächsform, viel zu reden, aber sich auf Floskeln zu beschränken und daher nichts zu sagen, grossartig ab. (Haller nickt zustimmend.) Die Show bietet viele «Rubriken», also mehr oder weniger vorbereitete Elemente, die manchmal gut funktionieren wie oben erwähnter «Dialog» und manchmal eher nicht wie etwa «Halternatives Kochen». Man merkt jeweils die dahinterstehende Idee, aber die Umsetzung klappt nicht so recht – eben: das Timing. Es steht und fällt alles mit Kutti, und der hat seine Figur nicht vollständig im Griff. Aber man will ja nicht nur motzen. Grosses Highlight des Abends, du erwähntest es schon: die unvergleichliche Joy Frempong alias OY. Was für eine Stimme! Was für eine Bühnenpräsenz! Was für grossartige, fein ziselierte Musik! Du hast sie ja unlängst auch im Freundeskreis gehört. Lass uns ein paar Worte darüber verlieren.

Haller: Man kann es nicht anders sagen: Das Konzert wurde Opfer des Ascherfreitags. Black Cracker konnte nicht aus Brooklyn ausgeflogen werden und der Veranstaltungsort wechselte (aus finanziellen Gründen?) vom Südpol in den Freundeskreis. Ich kam hin, sah und ging in der Hälfte, da diese Bar an einem Freitagabend schlicht nicht zum Konzertraum taugt. Bei der Unplugged-Reihe am Sonntag ist das was anderes, da sind die Leute wegen der Musik dort. Beim OY-Konzert wars grässlich. Imaginiere: Zwei Drittel vom Raum Bar, Leute quatschen, als hätten sie drei Megafone verschluckt, dann eine Türe, wo neugierige Hotelgäste und Knast-Besucher schnatternd in den Raum drängen und wieder raus, dann ein Drittel – nicht abgetrennt – Auditorium. Von der Bühne schallt musikalische Kost vom allerfeinsten mit Wortwitz und 'nem faszinierenden Textuniversum, und du kannst dich nicht drauf konzentrieren wegen «all this noisy chatters». Über OY hab ich an dieser Stelle nichts mehr zu sagen. Geht sie schauen, wenn ihr könnt! Kauft, stiehlt oder borgt euch das Album «First Box Then Walk» (Creaked Records). Eine neue CD – mit Phall Fatale – wird am kommenden Willisauer Jazzfestival getauft! Sam, ich geb dir jetzt noch mal ein paar Abschnitte, um dich in einer Lobeshymne für Joy zu verlieren, dann zurück zu Halter mit Haller.

Pirelli: Ich fand die Venue auch eher ungeeignet, aber das Konzert war ganz gross: Joy Frempong ist nicht nur eine herausragende Sängerin und Spoken-Word-Artistin, sondern setzt auch elektronische und akustische Instrumentschaften in hoher Virtuosität und innovativ ein. Da singt eine Altblockflöte über Kirchenorgelgewitter; die pfeifend einem Ballon entweichende Luft wird gesampelt und zu einem Song verarbeitet; für Live-Looping werden neue Massstäbe gesetzt; laufend entstehen neue, nie gehörte Klangwelten, mit angenehm gemächlichen, wenngleich gern schweren Beats. OY erzählt Geschichten wie die vom kleinen Mädchen, das nicht gehorchen will, oder berichtet von Freunden, die gemeint haben, sie müsse die Dinge positiver sehen, sodass sie sich vorgenommen habe, dreimal am Tag positiv zu denken: «Positivily – positivily – positivily.» Vorgetragen in herzigem indischem Akzent, ist das Stück reines akustisches Antidepressivum. Sie trat nicht allein auf, sondern brachte ihre Band mit: vier an Ständern befestigte kleine Stoffpuppen (Jimmy, Pat, Alberta und Zack), die mit Triggern versehen sind, sodass sie durch Anschnippen die Samplings auslösen, was neben der umwerfenden Ausstrahlung der Sängerin bei der Arbeit dem Konzert auch eine amüsante visuelle Note gibt. So viel zu diesem. Zurück zu Haller.

Haller: Zurück in den Süden. Der Polarkreis schliesst kurz. Der Text ufert aus. Deshalb schnell ... zum Fazit vom «anderen Luzerner Dienstag»: Wer noch nie war, sollte zumindest mal. Es gefällt oder fällt durch. Ich persönlich finde das Ganze einen spannenden Ansatz zur Beantwortung der Frage, wie Kunst und Unterhaltung, TV und Dada zusammenfinden können.

Wettbewerb: Es gibt mal wieder was zu gewinnen und zwar eine Flasche Hanfblütenbier (Teilnahmeberechtigung ab 18 Jahren, Preis muss abgeholt werden): Wer bis zum 23.5.2010 eine Postkarte mit einer Anaconda und 'nem Frühlings-Haiku drauf einsendet an: Kulturforum Luzern, c/o LA, Bruchstrasse 53, 6003 Luzern, nimmt an der Verlosung teil. Weitere Sendedaten der «unglaublichsten Talkshow der Welt» sind: DI 11. Mai (mit Stephan Eicher), und DI 1. Juni (Mit Bettina Oberli), jeweils 20.15 h im Südpol.

Nachtrag, 2. Mai: Den Zusammenschnitt des Abends gibt's als Video: [youtube]http://www.youtube.com/watch?v=yqM6iFjzt1A&feature=player_embedded[/youtube]