Und plötzlich Muslim

stattkino Luzern, 20.8.2020: Im Dokumentarfilm «Shalom Allah» ist der Journalist David Vogel Schweizer Konvertit*innen auf der Spur. Ein Plädoyer für die menschlichen Nuancen in der Islam-Debatte. Und ein Déjà-vu mit der eigenen jüdischen Vergangenheit. 

Dies sei kein Film über den Islam. Sondern über die Menschen, die damit umgehen, sagte Journalist und Filmemacher David Vogel nach der Premiere im stattkino. Es stimmt schon: Viel zu oft geht es in der Berichterstattung über «den» Islam. Und zu wenig über die Nuancen, den persönlichen Antrieb, ja auch Widersprüche im Alltag der Religiösen.

Der SRF-Radiojournalist David Vogel hat für den Dokumentarfilm «Shalom Allah» Schweizer Konvertit*innen während zwei Jahren im Alltag begleitet und ermöglicht so einen menschlichen Einblick in ein kaum bekanntes Milieu.

Shalom Allah

Da ist der Lausanner Johan, der wir zu Beginn in Militärklamotten bei Kraftübungen kennenlernen – und der somit gleich ein paar unschöne Klischees des kämpferischen Extremisten bedient. Der Zugang zu ihm bleibt schwierig, wird aber am Ende des 90-minütigen Films eine überraschende Wendung nehmen.

Da ist die fünfköpfige Patchwork-Familie Lo Manto, gewissermassen die Hauptakteur*innen des Films. Sie verteidigen ihren neu gefundenen Glauben eisern auch gegen Vorurteile aus ihrem nächsten Umfeld. Und da ist die Ostschweizerin Aïcha, die Informatik und zunehmend auch den Koran studiert, aber im Verlauf der Zeit mit dem Regelwerk der Religion hadert.

Es ist eine grosse Stärke des Films: Er stellt unseren eindeutigen Vorstellungen, die wir vom Islam haben, Menschen gegenüber, die zwar im Glauben auf ihre ganz eigenen Weisen Halt finden. Aber Vogel will und kann keine eindeutigen Antworten geben, warum diese Menschen zum Islam übertreten.

Die Offenheit und Nüchternheit, mit der er die Protagonist*innen begleitet, ist alleine schon sehenswert und erkenntnisreich. Dazu kommt, dass sich David Vogel nicht scheut, seine eigene Vergangenheit mit der Religion zu hinterfragen.

Er ist in einer jüdischen Familie geboren, trug die Kippa und feierte die Bar Mitzwa. Doch er hat sich von den Fesseln gelöst und lebt heute als bekennender Atheist. Er verstehe sich nicht als jüdischer Filmemacher oder Journalist, sein Glaube habe mit seinem Beruf nichts zu tun. Aber in der Auseinandersetzung mit den Konvertit*innen hat ihn seine eigene religiöse Vergangenheit zwangsläufig eingeholt.

Shalom Allah

Seine eigene Inszenierung – etwa wie er die Relikte der jüdischen Vergangenheit aus dem Estrich holt – bleibt zwar Geschmacksache. Aber die Zweifel, Fragen und Erkenntnisse, die er als Erzähler einbringt, machen den Film nahbar und glaubhaft.

Der Antrieb für den Film kam aus einer Unzufriedenheit über die niveaulose Debatte über den Islam in der Schweiz im Nachgang zur Minarettinitiative. Im Journalismus blieb für die Zwischentöne zunehmend weniger Platz, es dominieren die politischen Polterer auf der einen, die Extremisten des Islamischen Zentralrats der Schweiz (IZRS) auf der anderen Seite. Und so beginnt der Film denn auch mit einer gehässigen «Arena»-Debatte zwischen SVP-Hardliner Oskar Freysinger und IZRS-Präsident Nicola Blancho.

Shalom Allah

«Die Zuspitzung gehörte zur täglichen Routine eines Journalisten – und das machte mir zu schaffen», sagt David Vogel. Mit dem Film «Shalom Allah» hat er keinen Aufwand gescheut, dem entgegenzuwirken. Die Konvertit*innen bleiben zwar rätselhaft und voller Widersprüche. Aber sie sind Teil unserer Gesellschaft, und da ist dieser unvoreingenommene Blick ein grosser Gewinn.

Für den Regisseur blieb die Arbeit nicht ohne Folgen. Er wurde zwar nicht wieder religiös, aber er brachte es im Gespräch mit dem Filmwissenschaftler Till Brockmann auf den Punkt: «Ich glaube nicht an Gott, aber ich vermisse ihn.»

Shalom Allah
Bis 1. September
stattkino Luzern