Triple-Solo

Neubad, 30.03.2017: Das ehemalige Hallenbad wird zum Sammelbecken für Soundsüchtige. Nach dem winterlichen Ohrenschmaus-Festival finden passend zum Frühlingsbeginn die Solotage statt: ein Festival für «Ein-Mann-Frau-Orchester». Dreimal Solospiel pro Abend, eröffnet von Martina Berther alias Frida Stroom, Manuel Troller und Mario Hänni aka Rio. 

Pedalnerds und Soundgourmets im Freuderausch. Was auf den frisch gebauten Brettern von Bassistin Martina Berther alles drauf ist! Was auf den bekannt-beliebten Brettern von Gitarrist Manuel Troller alles drauf ist! Was auf dem Boden um Multiinstrumentalist Mario Hänni alles sonst rumliegt, das den Bau eines Pedalboards zur soundtechnischen Knobelaufgabe verkommen liesse. Spannung in der Luft. Solotage-Spannung!

Die Solotage wurden vom Neubad-Veranstaltungsteam unter der Leitung von Urs Emmenegger konzipiert. Während dreier Tage treten am Festival für Ein-Mann-Frau-Orchester jeweils drei Solomusizierende auf. Sollte sich das Konzept bewähren, soll es weitergeführt werden: kommendes Jahr als Duotage, danach als Triotage... Und am Schluss als Big-Bandtage? Nein, genug der zähen Zukunftsfabeleien. Besser auf den Eröffnungsabend konzentrieren. Denn dort traten drei Musiker_innen auf, die bereits zusammen in einem Quartett spielten. Wie einer von ihnen denn auch ausführte: «Irgendwie komisch, wenn man jeden einzeln abklatscht und ihn auf die Bühne gehen seht, die man doch sonst immer als Band betreten hat». 

Martina Berther

Martina Berther ist Frida Stroom. Das Solo-Projekt der begnadeten Bassistin versprach «ein Sammelsurium an Sounds, sphärisch und wuchtig, zwischen Wind und Wand, frei improvisiert am Elektro-Bass.» Und hielt dieses Versprechen. Eingeleitet von Mitveranstalter Fabian Mösch, betrat die gebürtige Bündnerin die Bühne, hochkonzentriert. Sofort erstummte die zahlreich erschienene Poolzuhörerschaft. Aus den beiden Amps erklangen alsbald gespenstische Soundschwaden, mal knurrte der Bass, mal schrie er, dazwischen metallische Pfeiftöne. Dabei arbeitete Berther mit verschiedenen Werkzeugen, nutzte beispielsweise den Bogen, einen Vibrator, eine Stimmgabel – und ihre beiden Pedalboards. Man staunt immer wieder, wie diese Musikerin Effektgeräte einsetzt; da bekommen die von vielen Bassspielenden verhassten Tretminen eine völlig neue Bedeutung. 

Berther bezeichnet ihre Musik als ein Schreiten von Soundfeld zu Soundfeld, wobei ihr Kraft und Attitüde wichtig sind. Diese Handlungsmaximen erfüllte die Bassistin zur Gänze, ja manchmal überbordete sie hierbei gar. Da schrillte es aus den Amps, frivole Feedback-Freuden, dann gerzerrte Downtuning-Grooves, ohrenbetäubend, energetisch, wütend; aus dem Bass wurde ein barbarischer Brüllaffe, das Plektrum zum Punkkumpanen, die Saiten schreiende Sirenen. Beeindruckend brachial. Was Berther in ihren verschiedenen Projekten immer mal wieder andeutet, verdichtet sich hier zu einem Statement. Stian Westerhus braucht eine Bassistin? Berther steht bereit. 

Manuel Troller

Manuel Troller ist Gitarrist. Ein faszinierender Gitarrist. Wenn der Luzerner etwas anpackt, dann bedacht, scharf durchdacht und gar nicht sacht. Troller beherrscht sein Instrument wie kein Zweiter, und er weiss genau, wie er dieses Können anwenden muss. Während sich bei Berther im Vorfeld die freie Improvisation in Flächen und gelegentlich Grooves äusserte, setzte Troller stärker auf Patterns, ohne die Sounds zu vernachlässigen. Schon beim gestrichenen Bogen-Einstieg kam Atmosphäre auf; der Neubad-Pool wurde zu einem Krimi in den nordischen Wäldern, gleich einem Kameraschwenk über die Szenerie – gestört lediglich durch ein dröhnendes Brummgeräusch, welches jedoch prompt von Troller eingebaut wurde. 

Und dann, aus der Fläche, aus der Stille entspringt plötzlich Bewegung, als ob viele Tiere aufgeschreckt wurden. Man denkt an einen Fluss, stilles Wasser, durch den plötzlich tausende von Lachsen auf ihrem Weg zum Laichen ziehen; Troller garniert diese Pattern mit Slapback-Delay, was jeden seiner Töne verdoppelt, baut sie mit Reverbs aus und lässt sie durch das Ausschalten der Effektgeräte wieder klarer wirken. Jene Kombination aus Repetition und Dynamik ist ein Meisterstück der Minimal Music, wie es nur wenige Instrumentalisten – beispielsweise ein Patrick Higgins – hinbekommen. Oder eben Troller, der an diesem Abend einmal mehr unterstrich, warum er zu den wichtigsten Vertretern seiner Zunft gehört.

Mario Hänni

Mario Hänni ist Rio. Ein Multiinstrumentalist. Und als Einziger der drei Musizierenden gleich mit seinem Red Brick Chapel-Manager angereist, der meinte, er sei aufgeregter als Hänni selbst. Aufregung, das kann man sich bei diesem  Musiker eigentlich fast nicht vorstellen. Und doch ist sie präsent. Das hat auch seine Hintergründe: Hänni ist nicht einfach aus dem Nichts hervorgeploppt. Er machte wie seine beiden ExBandmitglieder, die an diesem Abend auftraten, eine gewaltige Entwicklung durch. Musikalisch wie menschlich. Dieser Weg verkörperte sich auf der kürzlich erschienen EP «Magnus», und er zeigte sich auch beim Gig von Hänni. Wunderschöne Pop-Melodien, viel Stimmung, dazwischen aber auch energetische Schlagzeugausbrüche und ein verfremdetes «The Knife» erzählen Geschichten von Liebe, Leben, Lust. Hierfür muss Hänni zwar keine Heinz Herbert-Harmonien herumschleppen; dafür aber (gefühlt) hundert Pedals, ein Schlagzeug, diverses Trommelwerk, eine (ungenutzte) Balalaika, eine Gitarre und einen Gitarren-Amp. Aber das lohnt sich.

Wenn Berther für den kraftvollen, brachialen Auftritt stand und Troller für den durchdachten, präzisen, so stand Hänni an diesem Abend für den berührendsten, emotionalsten Gig. Als Einziger nutzte er die Stimme und kombinierte diese mit Gitarren- oder seinem kongenialen Schlagzeugspiel. Stimme und Schlagzeug: Immer noch jene Elemente, die uns Menschen am nächsten stehen, haben wir sie doch alle bei uns: Füsse, Hände, Mund und der (Resonanz)körper; mehr braucht es nicht zum Musik machen. Genau das bewegte. Und zum Schluss «Stand Inside» von Kurt Vile; inside the pool with all the people listening to magical music.

Fazituös ist Urs Emmenegger und seinem Team nicht nur ein tolles Konzept gelungen, sondern mit dem ersten Abend auch ein Clou. Durch das Setzen auf drei regional gut verankerte und zugleich national aufstrebende Musikzierende erwies sich die Premiere der Solotage als voller Erfolg. Drei Konzerte an einem Abend sind zwar ein durchaus der Gefahr eines mastigen Anlasses ausgesetzt – zu vergleichen mit gut Speis und Trank im Übermass. Doch stellte sich nie ein Völlegefühl ein, sondern schlicht wohltuende Sättigung. Für Soundgourmets wie Pedalnerds gleichermassen. 

Kleiner Kniff am Rande: Man lasse die drei Videos gleichzeitig laufen; voila, eine neue Nereid-Komposition. Fehlt nur noch Sebastian Strinning. Vielleicht für die Quartetttage?

Die Solotage: Festival für Ein-Mann-Frau-Orchester finden noch heute Freitag und morgen Samstag statt, jeweils ab 20.30 Uhr. Mit Trixa Arnold, Julian Sartorius und Moses Sumney am FR 31. März sowie Lex Lennox, Palin und Ephrem Lüchinger am SA 1. April.