Traum und Wirklichkeit

Theater Pavillon Luzern, 17.2.2017: Dritte abendfüllende Produktion und zugleich erstes eigenes Stück des Kollektivs «Fetter Vetter & Oma Hommage», das ist «Die Traumfabrik» aus der Feder von Béla Rothenbühler. Ein Musiktheater, beklemmend, gespenstisch, intensiv, stimmig inszeniert von Damiàn Dlaboha. Prädikat: unbedingt sehenswert.

Nicht «Das Leben ist ein Traum», eher umgekehrt. Wir flüchten uns in Anders- und Scheinwelten, in künstliche Paradiese. Wachsein ist, wie es einmal im Text heisst, «verdammt beschissen» – «alles ist wahr und echt und grau und hässlich – zu wahr, um schön zu sein». Die Realität im Wachzustand macht flüchten, wo es doch darum ginge, sich der Wirklichkeit, möge sie noch so widrig scheinen, zu stellen. Aber wie?

traumfabrik2Das Stück versetzt uns in die Modellwelt eines totalitären Staates mit Propagandaapparat, in ein Unterdrückungssystem, das üble Sachen mit den Menschen anstellt. Im Zentrum des Geschehens: Protagonist Juri (Mark Jenni). Er flüchtet nicht freiwillig. Er ist gar Gefangener, unschuldig und grundlos, wie er meint, wird er in eine Zelle gesperrt. Die Schergen des Systems drangsalieren ihn, sie lassen ihn brüten, foltern mit Essensverweigerung, mit Waterboarding.

Hier träumt Juri. Imaginiert kommen seine Lieben zu Besuch, Freundin Masha, Bruder Anatol, die Eltern, die bald andere Eltern sind, wenigstens ein Neuer der Mutter, den er «Vater» nennen soll, Gefährte Milos. Menschen verschwinden. Juri bleibt standhaft, obwohl: «Ich habe nicht das Zeug zum Helden.» Er sehnt sich danach, «ein wenig weniger wach sein zu müssen, weniger machtlos und klein». Widerständige, auch überraschend-unerwartete, geben sich durch die geheime Parole «Der Morgen gehört uns» zu erkennen. Sie geben die Hoffnung nicht auf. Klar wird, Milos spricht es an einer Stelle aus: «Wir sind durchsichtig geworden. Die Regierung kennt uns besser als wir selbst.» Selbst die Träume.

traumfabrik3Juri wird erkennen: «Sie sind in meinen Kopf; ich bin für meine Träume verantwortlich.» Es ist für viele zu spät. Ein Knall macht allem und allen ein Ende.

Kein leichte Kost, und nichts von «Hollywood» à la «La La Land», wie eine Assoziation des Stücktitels «Die Traumfabrik» vermuten liesse. Dies hier ist eine ernsthafte theatrale Auseinandersetzung mit Zuständen von trostloser Wirklichkeit, mit Zwängen, Gewalt und Fluchtwelten (wie es, doch noch, auch Hollywood sein kann).

«Die Traumfabrik» ist als «Musiktheater» deklariert. Nicht, dass etwa gesungen würde. Doch da ist stets Musik, sicht- und hörbar, ein fünfköpfiges Kleinensemble spielt erhöht auf der hinteren Bühne, eine dramaturgisch integrierte Musik in klassischer Instrumentierung. Vier hängende Stoffbahnen lassen dank vertikaler Drehung den Blick frei auf die Spielenden. Der Bühnenraum entspricht einer Zelle: Vier Gitterpritschen liegen im Raum, von der Decke kommt kaltes Licht, drei Leuchtstelen stehen auf der Bühne. Von der Decke hängen Schläuche, die von gekippten Kanistern gespeist werden, daraus spritzen Wasser, Drogen oder Blut.

Auf einer solchen Bühne spielt es sich ab, mit reduzierten äusseren Mitteln, dafür umso intensiver in der Darstellung, in einem abstrahierenden Zugang, mitunter mit grotesken Schlenkern. Die Realität, die gemeint ist, braucht nicht noch ein realistisches Theater. Aber ganz realistisch wird natürlich, fast schon Pflicht, geraucht im Stück.

Ein besinnliches Schlussmotto ging uns während der Vorstellung durch den Kopf; es kommt nicht vor im Stück, passt aber doch auch ganz gut:

Everything's illusion
And I flatter to deceive
My life is going fast
It's make believe
(Teenage Fanclub, «It’s All In My Mind»)

Die Traumfabrik
Buch und Dramaturgie: Béla Rothenbühler
Regie: Damiàn Dlaboha
Theater Pavillon Luzern
Aufführungen 18.2., 14.–23.3., je 20.00
Reservationen: http://www.fettervetter.eu/

Mit: Désirée Akwamoa, Benjamin Barmettler, Elias, Barmettler, Sonja Barmettler, Leonie Bollinger, Jules Gisler, David Inauen, Mark Jenni, Gilda Laneve, Tiffany Limacher, Sandro Niederberger

Musik: Djordje Kujundzic (Klarinette), Josua Dill (Perkussion), Lovisa Ehrenkrona (Violine), Olivér Mohácsi (Cello), Roman Müller (Flügel)

Komposition: Roman Müller / Bühne: Savino Caruso & Elke Mulders
Kostüme: Melanie Sidler / Choreografie: Johanna Sofia Heusser
Produktionsleitung: Emil Birnstiel
Ausführende Produzenten: Benjamin Barmettler & David Inauen
Musikalische Mitarbeit: Silvan Koch

Bilder: PD/Savino Caruso