Studien über zerbrechliche Schönheit

Seit einem Jahr macht Elischa Heller elektronische Popsongs unter seinem eigenen Namen, ausserdem ist er Gitarrist bei der Krautrock-Band Film 2. Was ihn immer wieder beschäftigt, ist die Frage, wie Musik von den Räumen und Settings abhängt, in denen sie gespielt und performt wird.

«Arbeitsverweigerung!», dachte sich wohl die Person aus dem Publikum, die dem Performer von der Bühnenkante her zurief. Was er da eigentlich tue? Elischa Heller solle sofort wieder Musik machen. Eine seltsame Forderung eigentlich, denn die Musik hatte gar nie aufgehört zu spielen, als Heller den Tisch mit seinen Geräten verlassen und sich ein paar Meter entfernt auf die Bühne gesetzt hatte, um in einer Schale etwas Weihrauch zu räuchern. Was ein Konzert sein soll, das führte diese irritierte Reaktion vor, kann eine ziemlich eng gespurte Erwartung sein, die sich mit wenigen Schritten und Gesten brechen lässt.

Das einfache, aber effektive Räucherritual ist ein fester Bestandteil von Hellers Auftritten, so auch an der Bad Bonn Kilbi in Düdingen im letzten September, wo sich jene Begegnung zutrug. Jetzt erzählt Heller diese Anekdote in einer Bar in Luzern und sie führt ihn direkt zu den Fragen rund ums Verhältnis von Pop und Performance, auf die er als Musiker und Performer immer wieder stösst. «Wenn ich elektronische Musik aufführe, habe ich die Wahl: Ich kann dastehen und Knöpfe drücken – oder ich kann mich als Figur auf der Bühne komplett neu erfinden», sagt Heller. «Was zwischen diesen Polen möglich ist und was der Körper dabei für eine Rolle spielen kann, das interessiert mich.»

Im Spannungsfeld von Performance und Musik
Im Dezember erschien «Unsere Kanten sind aus Samt», die erste EP von Elischa Heller, nur zwanzig Minuten lang, aber etwas vom Aufregendsten, was es im hiesigen Pop 2021 zu hören gab. Die fünf Songs sind eine Studie über zerbrechliche Schönheit und feiern liebevoll die emotionale Kraft von Pop. Berührend sind diese Songs gerade darum, weil ihre eingängigen Gesten ständig von Schichten aus Geräuschen verschüttet oder verzettelt werden, aus denen sie sich aufs Neue befreien können. Heller baut Welten aus fremden oder seltsam vertrauten Sounds und Fragmenten von Beats, durch die er freimütige Melodien und zauberhaften Technogesang ziehen lässt.

Hellers Soloprojekt gibt es gerade mal ein Jahr. Die Grundlage dazu entstand während einer Residenz für junge Künstler:innen in Lichtensteig, Toggenburg. «Eigentlich wollte ich dort eine Performance ohne Musik erarbeiten», erzählt Heller, der sich während seines Studiums in Bern intensiv mit Sounddesign und Performancekunst beschäftigt hatte. «Stattdessen machte ich Musik ohne Performance.» Es lief gut in der Abgeschiedenheit des Toggenburgs, besser als bei all seinen früheren Versuchen mit eingängigen Popsongs, deren Resultate er letztlich immer belanglos gefunden hatte.

In Lichtensteig stellte Heller fest, dass das Problem bei diesen Versuchen vielleicht gar kein musikalisches gewesen war. Denn der Knopf löste sich erst in dem Moment, als er über seine Geräte und ihre Bedienung nachzudenken begann. «Früher fügte ich in der Spuransicht einer Computersoftware einzelne Elemente aneinander – dabei hatte ich immer das Gefühl, auf komplizierte Weise vorgefertigte Ideen von mir nachzubauen. Dann versuchte ich eine andere Variante, in der ich mir ein Setup baute, über das ich meine Samples und Field Recordings spielen und gleichzeitig nach Melodien suchen konnte. In diesen Schichtungen, die spontan entstanden, hörte ich plötzlich Dinge, die ich mir nicht hätte ausdenken können. Erst da begann ich, meine Songs interessant zu finden.»

 

«Wenn ich elektronische Musik aufführe, habe ich die Wahl: Ich kann dastehen und Knöpfe drücken – oder ich kann mich als Figur auf der Bühne komplett neu erfinden.»

 

Störung als Programm
Ob es ihn während der Produktion des Albums auch mal gereizt habe, einen handelsüblichen Popsong auszuformulieren, die ganzen Brüche und Störungen einfach mal wegzulassen? Heller verneint umgehend: «Ich hatte das versucht, die Songs hörten sich für mich aber immer an, als würde ich irgendetwas nachspielen, was es schon gibt.» Also hat Heller die formalen Bewegungen, mit denen in Popsongs die Erwartungen der Hörer:innen gelenkt werden, auf «Unsere Kanten sind aus Samt» selbst zum Thema gemacht. Obwohl die Klangwelten zur Dunkelheit und die Melodien zur Melancholie neigen, liegt in dem ständigen Spiel mit Andeutungen, die unser Bedürfnis nach Auflösung kitzeln, durchaus Humor. Aber gleichzeitig entsteht auch nie das Gefühl, dass Pop hier unterwandert werden soll – im Gegenteil: Die Brüche und Richtungswechsel schärfen das Bewusstsein für dessen einstudierte Gesten und steigern die Sehnsucht nach erlösenden Momenten.

Nach zahlreichen Soloauftritten im Herbst arbeitete Heller den Winter durch viel alleine in seinem Studio in Luzern. Nun beschäftigt ihn gerade wieder seine andere Band, Film 2, wo er Gitarre spielt. Der finstere, hypnotische Krautrock, den Film 2 spielen, hat vordergründig wenig zu tun mit der elektronischen Musik, die Heller unter seinem eigenen Namen macht. Doch wenn er von der Arbeitsweise der Band erzählt, fällt eine wichtige Parallele auf: Musik nicht abstrakt zu denken, sondern aus Livesettings heraus, in denen etwas gesucht, aber nicht konstruiert werden kann.

Gerade arbeiten Film 2 an einem neuen Album, das aus einem einzigen einstündigen Stück besteht. Am Schluss soll es drei Aufnahmen des Albums geben, das im Herbst in dreifacher Ausführung erscheinen soll. Es gehe ihnen bewusst darum, die Vorstellung einer idealen Version des Albums zu unterwandern, sagt Heller. «Ob wir als Band aufeinander eingehen können, hängt so stark ab vom Ort, an dem wir spielen. Also wollen wir das auch einfangen, indem wir schauen, was in drei unterschiedlichen Kontexten mit der Musik passiert.»

Diese Sensibilität für den Raum zeigt sich auf andere Weise auch wieder im Soloprojekt. Hier sind es Geräusche, die Heller auf alltäglichen Spaziergängen durch die Stadt aufnimmt, die ihm innerhalb der Songs dazu dienen, Räume aufzutun oder auch zu brechen. Denn das, was wir als störungsfreie Popform wahrnehmen, funktioniert nicht zuletzt auch über eine ziemlich statische räumliche Anordnung. Wer die Musik von Elischa Heller hört, durchläuft nicht nur intensive Gefühlswelten, sie oder er ist am Schluss auch ein bisschen klüger.


Konzerte

FR 17.06.2022
B-Sides Festival, Kriens

DJ-Set: FR 03.06.2022
Mit Film 2: SO 05.06.2022
Bad Bonn Kilbi, Düdingen


041 – Das Kulturmagazin Mai 05/2022

Text: David Hunziker
Bild: zvg

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